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Finanzkolumne: Little Treat Culture
Ist man offiziell erwachsen, wenn die ersten Kontogebühren fällig sind? Was haben Heels mit der Wirtschaftslage zu tun? Warum gehört der so genannten Gen Z nichts mehr? In ihrer Kolumne „Cash, Card oder Krise“ geht Lilian Schmitt den großen Finanzfragen ihrer Generation nach. In Folge 5: Der Sinn von vermeintlich sinnlosen Ausgaben.
„Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Ich sage das oft, wenn ich sieben Euro für eine Matcha-Latte-Kreation bezahle oder mich mit einer Freundin zu überteuerten Patisserie-Früchtchen im Café treffe. Ihr wisst schon, diese glasierten Mango- oder Himbeer-Törtchen à la Cédric Grolet, die im Sommer die Sozialen Medien dominierten. Das Original gibt es für rund 20 Euro in Paris und genau das macht es selten. Also wittern andere ihre Chance: Cafés und Bäckereien in Deutschland bringen mittlerweile eigene Versionen heraus. Auch Supermärkte ziehen nach und verkaufen Dupes für beispielsweise 5,99 Euro das Stück. Es ist dieselbe Mechanik wie vergangenes Jahr bei der Dubai-Schokolade: Mini-Luxus, maximaler Hype. Es geht um ein Produkt, das nicht gerade billig ist, viral geht und deshalb plötzlich überall zu sehen ist.
Willkommen in der Little-Treat-Culture. Little Treats sind kleine Belohnungen: ein Iced Coffee, ein fancy Lippen Öl, ein Bubble Tea, ein Pistazien-Croissant. Ein Moment, den man fotografieren könnte, auch wenn man ihn nicht postet. All das sind keine Zufallstrends, es sind Wirtschaftssignale: Man investiert in Mini-Luxus statt in große Träume. Denn jungen Generationen ist klar, dass eine eigene Immobilie für viele in weiter Ferne liegt – zumindest in Metropolen. Deshalb gönnt man sich erreichbaren Luxus. Ja, darüber kann man sich lustig machen. Aber was passiert hier ökonomisch eigentlich?
Kleine Gönnung, große Wirkung
Die Ökonomie kennt dafür den Small-Luxury-Effect, auch Lipstick-Effect genannt: In Krisen verschiebt sich der Konsum. Wenn große Ziele zu weit weg wirken, investieren Menschen in kleine Luxusmomente. Ein eigenes Haus ist sowieso nicht drin, also muss ich ja auch nicht sparen. Dann gönne ich mir eben etwas, das mir heute Freude bringt; mein Geld landet nicht im Eigenkapital-Konto, sondern auf dem Dopamin-Konto.
Aus wissenschaftlicher Sicht greifen dabei mehrere Mechanismen ineinander. Die Verhaltensökonomie untersucht, warum wir beim Geld ausgeben nicht immer rational handeln. Ein Grund dafür ist das sogenannte Mental Accounting, also mentales Haushalten. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler hat gezeigt, dass wir alle, oft unbewusst, in unserem Kopf kleine Geldtöpfe führen. Ein Topf ist für „Pflicht“ vorgesehen, zum Beispiel Miete, Essen und Notgroschen. Ein weiterer Topf ist für das „Überleben im Alltag“ reserviert, also um uns zu belohnen, dass wir durchhalten. Darum fühlt es sich nicht so an, als würden wir unser Zukunftsvermögen plündern, wenn wir fünf Euro für einen Kaffee ausgeben. In unserem emotionalen Budget kommt das Geld nicht vom Sparkonto, sondern aus dem „Ich habe es mir verdient“-Topf.
Ganz ehrlich: Wer würde schon viel leisten, wenn man sich hinterher nichts gönnen dürfte? Dazu kommt dieses Grundgefühl von Knappheit, das als Scarcity Mindset bekannt ist. Wenn Zeit, Geld oder Energie knapp sind, dann hilft kurzfristige Zufriedenheit als Überlebensstrategie. Wenn wir wissen, dass konsequentes Sparen keine Sicherheit garantiert, holen wir uns wenigstens für einen Moment vermeintlich die Kontrolle zurück.
Die Psychologie ergänzt das mit der hedonischen Anpassung. Wir gewöhnen uns schnell an das neue Gehalt, die etwas bessere Wohnung – irgendwann ist das dann das neue Normal. Also suchen wir wieder kleine Momente, die kurz neu und besonders sind, unsere Mini-Freuden. Gleichzeitig funktioniert unser Gehirn nach dem Prinzip „Jetzt schlägt später“. Die Rente 2070? Ist weit weg und daher nicht attraktiv. Freude jetzt? Griffbereit. Marken wissen das: Sie setzen auf künstliche Verknappung, limitierte Drops, Überraschungsboxen und Warteschlangen als Marketingmechanik.
Ein popkulturelles Paradebeispiel gab es erst kürzlich: die Labubus. Diese hässlich-süßen kleinen Plüschwesen in Blind-Boxen, bei denen man nie wusste, welches man bekommt, haben ziemlich schnell die TikTok- und Instagram-Feeds geflutet. Limitierte Stückzahlen, seltene Editionen, das prickelnde Gefühl, vielleicht die „richtige” Figur zu erwischen. Der Hype ist zwar abgeflaut, aber die Logik dahinter bleibt bestehen. Mikro-Status in einer Welt, in der Makro-Status, also Eigentum, Sicherheit und Vermögen, für viele Menschen unerreichbar geworden ist. Und manchmal kostet ein kleiner Trost eben 200 Euro – oder zehn Euro, wenn es sich nicht um die offizielle Version handelt.
Kleine Treats signalisieren „Ich bin auch Teil davon“
Bald könnte sich schon das nächste Kapitel ins Regal schieben. Die Diddl-Maus kommt 2026 zurück nach Deutschland. In Belgien und Frankreich läuft das Comeback bereits. Für manche ist es ein Mein-erstes-Freundebuch-Flashback, für andere einfach ein Retro-Vibe. Klar ist: Die Firma hinter Diddl hat verstanden, dass Plüsch, Pastell und Cute-Universen gerade wieder Kapital sind, also reanimieren sie das alte Icon.
Vielleicht wird Diddl kein neuer Labubu-Moment. Doch allein der Versuch zeigt etwas Grundsätzliches: Treat-Culture ist inzwischen ein kulturelles Terrain, um das geworben wird. Marken setzen nicht nur auf Ästhetik, sondern auf Gefühle. Und Hypes funktionieren heute weniger über Geschmack als über Zugehörigkeit.
Kleine Treats sind ein Weg, um zu signalisieren: „Ich bin auch Teil davon.“ Und wer keinen Labubu am Rucksack hat, trägt vielleicht Plüsch-Charms an der Tasche. Ein bisschen Early-2000s-Vibe, für mich ein Hauch Nici-Anhänger-Energy, nur kuratiert für 2025. In der Forschung nennt man das Social Signaling: Wir kommunizieren Zugehörigkeit über Dinge.
Letztendlich geht es nicht darum, ob ein Sieben-Euro-Matcha „vernünftig“ ist. Finanzkompetenz bedeutet, zu verstehen, warum wir konsumieren und welches Bedürfnis wir gerade stillen wollen. Little-Treat-Culture zeigt: Wir leben in einem System, das Sparen heute weniger belohnt als früher. Die kleinen Belohnungen lösen zwar keine Probleme, aber sie geben uns die Energie, uns ihnen weiter zu stellen. Und irgendwo zwischen Steuerbescheid und Inflation tut ein kleines Mango-Törtchen oder ein Döner einfach gut.