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„Die Leute können sich kein Brot mehr leisten“

Unsere Autorin lebt in Deutschland und kann gerade nicht bei ihrer iranischen Großmutter sein – dies ist ein altes Foto von den beiden.
Foto: privat

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Es klingelt. Sehr lange. Dann rauscht es und ich höre eine Stimme aus der Ferne. Ich habe meine Großmutter also doch erreicht, erst nach einigen Tagen wieder. Sie klingt etwas dösig, so als wäre sie aus einem Mittagsschlaf erwacht. Oder als wäre sie bekifft. Verübeln würde ich ihr es nicht.

Angesichts der Proteste im Iran, ist momentan das Internet meiner Großmutter in Isfahan nicht stabil. Die iranische Regierung kappt landesweit das WLAN, damit keine Informationen rein- oder rauskommen. Seit den Straßendemonstrationen gegen die Benzinpreiserhöhung Ende Dezember herrscht Chaos im Land. Die Revolutionsgarde schießt die Demonstrierenden nieder. Die Zahl der Toten ist unklar. Reuters berichtet während der Höhepunkte der Proteste von 1500 getöteten Menschen. Verletzte werden aus Krankenhäusern entführt und Häuser werden gestürmt.

Einerseits bedrücken meine Oma also die Proteste, anderseits der Konflikt mit den USA: Iran ist im Allgemeinen genauso instabil wie Omas Internet im Konkreten. Durch die Tötung des Generals Soleimani könnte es „Krieg geben… Elena joon … Krieg“, sagt meine Großmutter mit nervöser Stimme.

„Die Leute können sich kein Brot mehr leisten, weil alles so teuer geworden ist“

Es fühle sich an wie bei der Islamischen Revolution 1979, betont sie immer wieder. Ich weiß nicht, wie sich die iranische Revolution angefühlt hat. Unkontrolliert und chaotisch muss sie gewesen sein. Aber Oma sei zu alt, um auf die Straßen zu gehen. Sie sitzt an der Heizung und wärmt sich. Sie wolle nicht mehr raus und habe keine Kraft mehr. „Die Banken brennen, die Polizeistationen brennen, alles brennt.“

Lebensmittel erreichen Rekordpreise in Iran. Das Tempo, in dem die Preise steigen, ist gefühlt rasanter als die neuen Kampfjets der iranischen Regierung: „Die Leute können sich kein Brot mehr leisten, weil alles so teuer geworden ist. Der Preis ist um 400 Prozent gestiegen. Mittlerweile haben wir viel mehr Kriminalität auf den Straßen, es wird in Häuser eingebrochen und gestohlen. Das Handy deiner Tante wurde geklaut von einem kleinen Jungen – kannst du das glauben? Er kann sich wahrscheinlich nur dadurch etwas zu essen kaufen. Gott behüte ihn.“

Ach ja, Gott musste ja auch noch erwähnt werden. Gott erwähnt sie immer: „Gott sei Dank haben wir keine Verwandten im Militärdienst“, „Gott sei Dank haben wir keine Bankleute in der Familie“, „Gott sei Dank sind wir versichert durch den guten Job meines Onkels, ansonsten wären Medizin und die Arztbesuche unbezahlbar“, so meine Oma.

Aus 3500 Kilometern Entfernung weiß ich nicht, wie ich sie beruhigen kann

Sie betet viel. „Manchmal werde ich trotzig auf Gott … aus Angst“, fügt sie ehrfürchtig hinzu und wird kurz still: „Aber er wird uns beschützen. Auch dich, mein Herz. Hauptsache, dir geht es gut und du bist glücklich. Dann ist egal, wo du bist. Aber ishalla wird es bald ruhiger und du kommst auch wieder zu mir. Wenn du nicht kommst, dann verpasse ich dir eine, hörst du? Oma wird alt. Ich bin 75 und das Ganze lässt mich nur älter werden.“

Ich kann den Stress und die Aufgebrachtheit in ihrer Stimme hören. Aus 3500 Kilometern Entfernung weiß ich nicht, wie ich sie beruhigen kann. Es tut mir weh, wie sie da an der Heizung sitzt und sich wärmt. Das ist nicht meine Großmutter Zari. Sie ist eine agile Frau, die immer noch ihren Friseurladen führt und viel unterwegs ist. Glücklicherweise lebt sie am Stadtrand, weshalb sie die Demonstrationen nicht aktiv miterlebt. Aber sie fühlt die Spannung in der Luft und sie fühlt die Angst.

Für einen Moment vergisst sie, worüber wir sprechen und wechselt abrupt das Thema. Es geht um meine Talente und wie stolz sie auf mich ist. Dann sagt sie „Ich führe jetzt ein Vokabelbuch, um ein bisschen Deutsch zu lernen … Isch libbe disch.“

Ich dich auch, Maman.

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