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„Bei uns fährt niemand mit dem Fahrrad“

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Es war Tag drei in der Selbstquarantäne, als ich einen Whatsapp-Video-Anruf meiner kleinen Schwester bekam. „Hast du schon gesehen? Beim Lidl gibt’s jetzt Erdbeeren im Angebot!“, erzählte sie mir ganz aufgeregt und hielt eine Frucht in die Kamera, bevor sie in ihrem Mund verschwand. „Aber die haben doch noch gar nicht Saison. Woher kommen die denn?“, fragte ich und fühlte mich dabei schon wie eine richtige Öko-Tante. „Weiß ich nicht, Moment, ich habe die Verpackung weggeschmissen. Aus Spanien“, sagte sie und zuckte weiternaschend mit den Schultern.

Zwischen meiner Schwester und mir liegen gerade einmal anderthalb Jahre Altersunterschied und obwohl wir als Kinder immer alles gemeinsam gemacht haben, könnten wir heute kaum unterschiedlicher sein. Das merke ich auch bei unseren Kaufgewohnheiten. Versteht mich nicht falsch – ich war nie auf einer „Fridays for Future“-Demo, aber indem ich beispielsweise mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs bin, keine Heidelbeeren aus Peru kaufe und meinen Fleischkonsum reduziert habe, merke ich, dass sich auch bei mir ein ökologisches Bewusstsein eingeschlichen hat.

„Mit den Öffis fahren finden manche sogar asozial“

Bei meinen Eltern sieht es anders aus. Heute wird mir etwas mulmig, wenn ich sehe, dass sie immer noch das billigste Sodawasser in 0,5 Liter Plastikflaschen kaufen – das wahrscheinlich nicht mal so gut ist wie unsere Wasser aus dem Hahn. Ich kann mich gut daran erinnern, wie sehr Freunde meiner Eltern über mich gelacht haben, weil ich als Kind immer nur Leitungswasser trank, statt Cola oder Säften. Leitungswasser war nämlich kein „richtiges Getränk“. Und Fleisch kam und kommt so gut wie täglich auf den Tisch. In Unmengen, wenn man bedenkt, dass meine Mutter stets für sieben Personen kochte, und zwar so viel, dass sich jeder noch einen Nachschlag nehmen konnte. Bio-Fleisch? Fehlanzeige. Das wäre auch zu teuer gewesen.

Ich sprach mit meiner Bekannten Dijana, deren Eltern ursprünglich aus Mazedonien stammen, darüber und entdeckte erstaunlich viele Parallelen. „Ich merkte schon in meiner Schulzeit, dass meine Eltern ein viel geringeres Bewusstsein für das Thema Umwelt hatten als beispielsweise die meiner österreichischen Klassenkameraden“, erinnert sie sich. „Wir Migranten haben immer Plastikflaschen benutzt und sind mit Billa-Plastiksackerln (Plastiktüten, Anm. d. Red.) rumgelaufen. Im Englischunterricht sprachen wir einmal über Ernährung und als die Lehrerin sagte, zweimal pro Woche Fleisch zu essen sei gesund, da lachte meine albanische Sitznachbarin laut los und meinte, bei ihnen gebe es zweimal täglich Fleisch.“

Umweltbewusstsein ist auch etwas, was man sich leisten können muss

Dijana erzählt weiter, dass sie und ihre Freunde sich auch viel ungesünder ernährt haben, zum Beispiel mit Chips statt Äpfeln in der Schulpause. Sie sagt, dass das auch mit der Kostenfrage zusammenhänge: „Viele aus meiner Klasse waren aus der Arbeiterschicht, wie ich.“ Die 22-Jährige wuchs in Ottakring auf und hat einen Cousin, der buchstäblich zehn Minuten mit dem Auto ins Fitnessstudio fährt. „Bei uns Jugos fährt niemand, erst recht nicht die Männer, mit dem Fahrrad. Mit den Öffis fahren finden manche sogar asozial. Ich denke, dass bei vielen das Auto noch ein großes Statussymbol ist. Gerade bei Familien, die sozioökonomisch schwacher sind“, erklärt sie.

Umweltbewusstsein ist nicht zuletzt etwas, was man sich leisten können muss. Das Interesse daran hält sich für die meisten Menschen aus Arbeiter- und Dienstleistungsverhältnissen, die häufig auch Migrationshintergrund haben, in Grenzen. Was die Menschen in ihrer Lebensrealität nicht direkt betrifft, spielt auch für ihr Handeln keine Rolle. Wenn also meine Mutter zu Hause die Familie satt bekommen muss und nur ein knappes Budget zur Verfügung steht, ist das ihre konkrete Realität und Priorität. Die Ozonschicht oder schmelzende Polkappen sind dann meistens sehr weit weg. Andererseits ist auch fehlendes Wissen um ökologische Zusammenhänge ein Grund für klimaschädliches Konsumverhalten in sozial schwächeren Familien, von denen eben besonders viele Migrationshintergrund haben. Zuletzt habe ich meine Gewohnheiten geändert, weil ich in einer anderen Informationsblase bin als meine Eltern. Auf der Universität lernte ich viele junge Menschen kennen, die zu Hause mit Bio-Produkten kochten, Stoffbeutel für ihren Einkauf benutzten und Öko-Reinigungsmittel im Haus verwendeten.

Die Bienenwachs-Tücher meiner Freundin waren ein kleiner Kulturschock

Anfangs war das fast wie ein Kulturschock für mich, dass eine meiner Freundinnen selber Bienenwachs-Tücher bastelte, die sie anstelle von Frischhaltefolie verwendet. Als ich zu Hause meiner Mutter erzählte, was die Fürze aller Kühe, die für die Fleischproduktion auf der ganzen Welt gehalten werden, mit unserer Atmosphäre machen, versetzte sie das in ungläubiges Staunen. Aufklärung ist also ein wichtiger Punkt – die kommt aber nicht von alleine.

Eine andere Bekannte von mir, Samira (Name geändert), deren Eltern ursprünglich aus Iran kommen, erzählte lachend: „Zum Thema Nachhaltigkeit habe ich schon so viel auf meine Eltern eingeredet. Meine Mutter glaubte lang, weil ich seit sechs Jahren Vegetarierin bin, ist das der Grund dafür, wenn ich krank werde. Ich versuchte es mal mit Veganismus, sie wusste nicht, was das bedeutet. Ich erklärte ihr, dass man da zusätzlich noch keine tierischen Produkte wie Honig oder Käse isst. Eines Tages tauchte sie mit einer Hühnersuppe vor meiner Tür auf und sagte, sie habe vegan für mich gekocht – weil da kein Käse und kein Honig drin waren.“ Sie beschreibt ihre Mutter als wissbegierigen Menschen, der seine Gewohnheiten aber niemals ändern wird. Wahrscheinlich wird das Dijanas Cousin, der selbst kleinste Wege mit dem Mercedes zurücklegt, auch nicht tun. Bei ihrem Vater hingegen hat Samira schon Erfolge erzielt. Er entschloss sich gemeinsam mit Samiras Stiefmutter ebenfalls vegetarisch zu leben. Sie haben Alternativen gefunden, persische Gerichte fleischlos zu machen. „Sie haben mir erzählt, dass sie Fleisch gar nicht vermissen“, so Samira.

Nachhaltiges Verhalten geschieht oft unbewusst

Aber: Es gibt es auch etwas, das Dijanas, meine, oder Samiras Familien gut draufhaben. Und das ist kreativ sein, wenn es um nachhaltiges Wiederverwenden von Dingen geht. Wer kennt nicht die berüchtigte Keksdose mit dem Nähzeug drin? Für Generationen von Kindern und Jugendlichen mit Wurzeln aus aller Welt ist das der Inbegriff von Enttäuschung. Es gibt in vielen Haushalten auch die riesige Tüte mit allen Plastiktüten darin. Samira findet im Gefrierfach riesige Eiscremepackungen – die sich als Behälter für die besten persischen Gerichte ihrer Mutter herausstellen. Mein Vater verwendet Kübel von Persil Waschmittel oder Maggi-Pulver als Blumentöpfe. Außerdem hat er aus einem alten Kühlschrank ein Mini-Treibhaus gebaut, um darin Molokheya-Pflanzen zu kultivieren. „Ich denke, dass dieses Wiederverwenden von Plastiksacken, Dosen, und Verpackungen irgendwo unbewusst nachhaltig ist. Wenn auch aus finanziellen Gründen, und nicht aus Umweltschutz“, sagt Samira. Diesen DIY-Erfindergeist könne man sich locker abschauen! Sonst ist es auf jeden Fall einen Versuch wert, auf Alternativen zu Fleisch oder anderen Haushaltsprodukten aufmerksam zu machen. Umweltbewusstsein lernen unsere Eltern nämlich am besten von uns Kindern.

*Unsere Redaktion kooperiert mit biber – was wir bei jetzt ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung. Hier könnt ihr die Ausgabe sehen, in der der Text zuerst erschienhttps://www.dasbiber.at 

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