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Das ist: die Instagrammerin, über die gerade alle lästern

Screenshot: Instagram

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Das ist ...

... Caroline Calloway, die Frau, über die gerade alle online ablästern. Wie kann es sein, dass eine ziemlich normale, junge Frau, 27 Jahre alt, Uni-Absolventin und hauptberuflich „Influencerin“, momentan das halbe Internet in Atem hält? Was ist so außergewöhnlich an ihr, dass alleine auf Buzzfeed in den vergangenen 24 Stunden drei Artikel über sie erschienen sind? Und warum sollte ich mich für sie interessieren?

Die kommt ...

... ursprünglich aus Falls Church, Virginia, lebt aber seit ihrem Studienbeginn in New York.

Die geht ...

... gefühlt gerade der einen Hälfte des Internets irrsinnig auf die Nerven und der anderen nicht mehr aus dem Sinn. Ihr Fall zeigt in erster Linie, was in dieser Influencer*innen-Kapitalisten-Welt gerade so komplett falsch läuft – und wie komplex und sogar toxisch Frauenfreundschaften werden können. Vielleicht sind deshalb so außergewöhnlich viele (in der ganz großen Mehrheit weibliche) Menschen so tief in das Phänomen Caroline Calloway eingestiegen.

Damit man einigermaßen verstehen kann, worüber diese Menschen reden, hier ein kurzer Abriss ihrer Geschichte: Caroline Calloway meldete sich 2012 auf Instagram an, zu einer Zeit also, als die App noch neu war. Relativ schnell beschloss die damalige Studentin, als Insta-Berühmtheit Geld zu verdienen. Dabei behauptete sie, quasi als allererste Person überhaupt auf die Idee gekommen zu sein, ewig lange Bildunterschriften zu den Bildern zu posten und auch in den Stories sehr lange Texte zu schreiben. So habe sie sich ihre Fan-Base aufgebaut, indem sie ihre Follower*innen mitnahm auf ihre Reisen durch Europa, ihren Studienaufenthalt in England und in ihr Apartment in New York. Heute weiß man durch ein Essay, das ihre ehemalige Freundin Natalie Beach für das „New York Magazine“ geschrieben hat, dass das alles nicht so stimmt: Ihr zufolge kaufte Caroline schon ganz zu Beginn ihrer Instagram-Karriere Follower*innen, schaltete Anzeigen, um mehr Traffic zu bekommen und schrieb Hunderte von Medien an, weil sie berühmt werden wollte.

Diese Strategie funktionierte zumindest so gut, dass Caroline 2015 einen Buchvertrag mit einem Vorschuss von mehr als 350 000 Dollar für ihre Autobiografie bekam. Darin sollte sie hauptsächlich über ihren Instagram-Ruhm schreiben. In Wahrheit, wie man jetzt dank des Essays erfahren hat, schrieb Carolines Freundin Natalie einen Großteil der Instagram-Captions ebenso wie die ersten Entwürfe für ihr Buch. Währenddessen verstrickte Caroline sich tiefer und tiefer in ihre Adderal-Abhängigkeit, ein Medikament gegen ADHS, und hörte fast vollkommen auf zu schlafen, zu studieren und zu essen.

Relativ bald war klar, dass Caroline ihren Vertrag mit dem Buchverlag nicht einhalten können würde. Tatsächlich ließ sie auf Instagram sogar einen Countdown bis zum letzten Termin der Deadline verstreichen. Daraufhin wurde sie zur Zurückzahlung der sechsstelligen Summe verklagt. Bald darauf tauchte sie unter, postete nichts mehr und lebte eine Zeitlang außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Bis sie sich 2018 erneut auf Instagram meldete, ihre mäandernden Captions postete und einer neuen Inkarnation ihrer selbst ihre Follower*innen bezauberte: Caroline Calloway war nun ein hübsches, sorgenfreies Bohemian-Mädchen mit überdimensionierten Blumenkränzen im Haar, die immer dramatische, aber auch romantische Abenteuer erlebte und ihr Leben scheinbar so sorgfältig „kuratierte“, dass man vor Ehrfurcht nur erblassen konnte. Zumindest als Fan.

Und dann wurde der Rest des Internets auf sie aufmerksam. Die Journalistin Kayleigh Donaldson schrieb einen extrem langen und dabei extrem unterhaltsamen Thread über den Versuch Caroline Calloways, ihren Fans das Geld auf die wirklich erstaunlichste Art aus der Tasche zu ziehen. 

So hatte Caroline beispielsweise angekündigt, weltweit vierstündige Workshops für ihre Fans abzuhalten, in denen sie ihnen beibringen würde, wie man ein so fabelhaftes Leben führen kann wie sie selbst. Für den sagenhaften Preis von 165 Dollar würden Teilnehmer*innen nicht nur mehrere Stunden in ihrer Gegenwart verbringen dürfen, sie würde ihnen Salat „kochen“, einen Blumenkranz binden und im Übrigen beibringen, ihr Leben zu kuratieren.

Die Journalistin Kyleigh Donaldson bemerkte dabei allerdings einige Widersprüche, die sie in ihrem Twitter-Thread teilte: Caroline Calloway hatte Karten für Veranstaltungen verkauft, für die sie noch nicht mal einen Veranstaltungsort gebucht hatte. Sie verlegte Workshops von Städten an der Ostküste nach New York, sodass Teilnehmerinnen zusätzlich zu dem Eintritt auch noch Transportkosten zahlen müssten. Im Zuge dieser Aufregung sagte Caroline zunächst alle Veranstaltungen ab, um kurze Zeit später erneut „Workshops“ anzubieten, diesmal mit dem Extra-Programmpunkt „Wie man auch schwierige Situationen durchsteht“. 

So entspann sich ein virtueller Kleinkrieg zwischen der Journalistin und Caroline Calloway, wobei Letztere sich als Opfer inszenierte und nebenher mit bedruckten T-Shirts, auf denen „Scammer“ zu lesen war, auch noch Profit aus dem Skandal zu schlagen versuchte.

Der letzte große Aufreger kam nun am vergangenen Dienstag, als besagte ehemalige Freundin Nadine Beach einen langen Essay über die extrem dysfunktionale Freundschaft zwischen ihr und Caroline veröffentlicht hat. Darin beschrieb sie unter anderem, wie sie von Calloway als Putzfrau und Ghostwriterin benutzt wurde. Gleichzeitig habe die echte Caroline Calloways im echten Leben sehr wenig mit der Version zu tun gehabt, die sie auf Instagram präsentierte. Ihr Leben war in keinster Weise eine ewige Abfolge von skandalösen Liebesabenteuern mit europäischen Aristokraten und verschwenderischen Bällen auf britischen Landsitzen. In der Realität saß Calloway in ihren Studentenwohnheimzimmer, aus dem sie verbotenerweise den Teppich entfernt hatte, das Medikament Adderall missbrauchte, nächtelang auf Internet-Shopping-Touren ging und weder ihre Uni besuchte, noch mit einer internationalen Freundesschar die Stadt unsicher machte. Und definitiv nicht an ihrem Buch schrieb, für das sie einen Vorschuss von 350  000 Dollar erhalten hatte.

 

Daraus lernen wir ...

... tatsächlich eine Menge: Vor allem zeigt der Fall, dass es sehr viele Menschen gibt, die in ihrem Leben eine sehr ungesunde Freundschaftsdynamik erleiden. Noch viel interessanter ist allerdings der Einblick, den wir dabei in den Kapitalismus in seiner schlimmsten Ausprägung gewinnen können: Caroline Calloways Erfolg bei ihren Follower*innen beruht alleine auf dem Bild, das sie von sich selbst in der Öffentlichkeit präsentierte. Dass die Realität in den meisten Fällen sehr anders aussieht, wissen wir zwar eigentlich, vergessen es aber häufig wieder. Caroline Calloways Beispiel ist noch mal eine sehr deutliche Erinnerung an uns, nichts, was in den sozialen Medien geteilt wird, für bare Münze zu nehmen. Dass es Caroline Calloway überhaupt möglich war, diese faszinierende Persona aufzubauen, hatte sie alleine ihrem privilegierten Hintergrund  zu verdanken, aufgrund dessen sie in der Lage war, im Ausland zu studieren und wochenlang durch Südeuropa zu reisen. 

Ihre aktuelle Inkarnation ist nun die einer Frau, die das Narrativ über ihr eigenes Leben wieder übernehmen will. Momentan versucht sie das damit, ihr Image als Betrügerin anzunehmen und zu Geld zu machen. Sie hat Scamming-Workshops gegeben, teilt jeden Artikel, der über sie erscheint, egal wie negativ er sie auch zeichnet. Und in den vergangenen Tagen hat sie begonnen, jeden Vorwurf ihrer ehemaligen Freundin zu beantworten. Die nichts mehr mit ihr zu tun haben möchte.

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