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„Viele normale Leute sehen Influencer als Schmarotzer“

Anna Ix verdient ihr Geld als Influencerin.
Bild: Anna Ix

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Anna Ix, 30, ist gelernte Bankkauffrau und Kosmetikerin, doch seit zwei Jahren arbeitet sie hauptberuflich als Influencerin: Auf Instagram (148 000 Follower) und auf ihrem Blog wirbt sie für Marken. Als Reisebloggerin wird sie regelmäßig von Agenturen auf organisierte Reisen eingeladen, um ein Land oder eine Reisegesellschaft zu bewerben. Als sie von einem türkischen Veranstalter eine Einladung erhielt, auf dessen Kosten einige Nächte in einem Hotel in Antalya zu verbringen und Ausflüge zu machen, war das also kein exotisches Angebot für sie, sondern eines von vielen. Als sie in der Türkei zusammen mit 20 anderen Influencerinnen und Influencern in den Bus einstieg, der sie zum Hotel bringen sollte, stellte sich allerdings bald heraus, dass sie alle auf einen ziemlich ausgefuchsten Betrug hereingefallen waren. Das Ziel: An ihre Reisepässe kommen. Wir haben mit Anna gesprochen.

Jetzt: Anna, was ist da passiert auf deiner Reise in die Türkei?

Anna Ix: Ich habe eine Mail von einem Reiseveranstalter bekommen, der mich buchen wollte für eine Reise. Auf den ersten Blick war die Mail nicht besonders seriös, weil viele Schreibfehler drin waren, aber ich dachte, das sei eben der Tatsache geschuldet, dass der Text von „Google Translate“ schlecht übersetzt war. Ich habe die Flugzeiten gecheckt und die Reservierung im Hotel, das wurde alles bestätigt. Als wir in Antalya aus dem Flughafen raugekommen sind, warteten drei Damen, die wie Hostessen gekleidet waren, mit einem Namensschild auf uns. Sie sagten, sie seien für uns zuständig und bräuchten kurz unsere Pässe, um abzugleichen, dass wir auch die richtigen Personen sind. Wir haben ihnen die Pässe gegeben. Sie meinten dann, sie würden sie gerne behalten, um den Check-in im Hotel zu übernehmen. Ich habe den Damen dann meinen Reisepass überlassen, weil ich noch einen Personalausweis dabei hatte. Das Ganze hat ungefähr eine Minute gedauert und dann waren wir im Bus. Niemand von uns hat da schon realisiert, was vor sich ging – und dass die Frauen nicht mit in den Bus gestiegen sind.

Wann schwante dir, dass etwas nicht stimmen kann?

Im Bus habe ich auf meinem Handy gleich das Navi angemacht, wie ich das immer tue. Nach 15 Minuten habe ich gemerkt, dass wir in die falsche Richtung fahren und habe den Busfahrer gefragt, was los sei. Der meinte aber, alles sei in Ordnung, wir müssten nur eine Nacht in einem anderen Hotel verbringen, da unseres überbucht war. Spätestens da haben wir dann alle gemerkt, dass da was nicht stimmt. Wir sind zwei Stunden nach Alanya gefahren und wurden dann von dem Busfahrer an einem Hotel ausgesetzt, wo es keinerlei Reservierung für uns gab. Und da sind wir dann natürlich wirklich in Panik geraten.

Was habt ihr dann unternommen?

Irgendwie haben wir es hingekriegt, zur Polizei zu gehen, wo aber nur ein Nachtwächter da war und kein Kommissar. Bis wir dann am nächsten Morgen unsere Aussage machen konnten, waren 20 Stunden vergangen, was bedeutet, dass die Leute mit unseren Pässen schon längst verschwunden waren. Bei der Polizei haben alle Teilnehmer der Reise ein Formular bekommen, mit dem wir das Land verlassen konnten.

Du vermutest, dass die Betrüger euch einzig und alleine deshalb in die Türkei gelockt haben, um an eure Reisepässe zu kommen. Warum?

Die  Polizei hat uns gesagt, dass unsere Pässe vermutlich auf dem Schwarzmarkt verkauft werden sollen. Ob das so stimmt, weiß ich nicht. Wir haben Anzeige erstattet und die Polizisten haben versprochen, dass die Ermittlungen laufen und sie sich um unseren Fall kümmern werden.

Weißt du, ob so ein krasser Betrug in der Influencer-Szene schon mal vorgekommen ist?

Nein, das ist das erste Mal, soweit ich weiß. Es ist ja im Prinzip ganz einfach, uns Influencer zu buchen. Wir bezahlen so eine Reise ja nicht, sondern bekommen eine Gage, weil wir vor Ort arbeiten müssen. Und wir dachten alle, dass, nachdem die Türkei in der letzten Zeit viel in den Schlagzeilen war, der Tourismus ein bisschen gepusht werden sollte und deshalb Influencer eingeladen wurden. Etwas stutzig hat mich aber schon gemacht, dass bei der Reisegruppe nicht nur Travel-Blogger eingeladen waren, sondern auch Fitness-Blogger, Mami-Blogger und Fashion-Blogger.

Welche Reaktionen hast du denn bekommen, nachdem du von diesem Vorfall berichtet hast?

Ich habe wirklich eine super Community und habe keine negativen Kommentare bekommen. Aber einige meiner Kollegen wurden schon richtig krass fertiggemacht.

„In manchen Monaten verdiene ich vielleicht 5000 Euro – und im nächsten gar nichts“

Warum denn?

Ich glaube, viele normale Leute sehen Influencer irgendwie als eine Art Krankheit und als Schmarotzer, denen alles in den Arsch geschoben wird. Wie viel Arbeit dahinter steckt, das sehen die einfach nicht.

Was steckt denn dahinter?

Das muss man sich so vorstellen: Du bist immer geschminkt, immer gut gelaunt, auch wenn du dich gerade mit deinem Mann gestritten hast. Du musst immer positiv sein und bist ununterbrochen mit deinem Handy beschäftigt. Du musst Bilder machen, sie bearbeiten und ständig neuen Content bieten. Du musst deine Community unterhalten – und zwar wirklich den ganzen Tag. Zudem kommt, dass ich selbständig bin und kein geregeltes Einkommen habe. In manchen Monaten verdiene ich vielleicht 5000 Euro – und im nächsten gar nichts.

Was bedeutet das für solche Blogger-Reisen?

Wenn eine Reiseagentur einen Trip für Influencer plant, dann ist jeder Tag durchgetaktet. Da steht dann zum Beispiel auf dem Plan: Gerade mal zwei Stunden Zeit für Frühstück im Hotel und danach musst du eine Rundfahrt auf einem Schiff mitmachen. Und zwar auch, wenn du keine Lust hast oder krank bist. Du musst dann eben deinen Job machen. Das ist genauso wie bei einer normalen Arbeit.

Gibt es Kooperationsangebote, die du ablehnst?

Na klar, ich habe schon tausende Firmen-Angebote abgelehnt. Ich sollte zum Beispiel mal für solche Kapseln werben, die beim Abnehmen helfen sollen, habe mich aber geweigert, das zu tun. Wenn ich meinen Followern erzählen würde, dass sie das nehmen sollen – das wäre kompletter Bullshit, das glaubt mir kein Mensch. Die wissen ja, dass ich einfach von Natur aus total dünn bin. Es kommt auch vor, dass mir Klamotten geschickt werden, die schlecht verarbeitet sind oder schlimm aussehen. Die schicke ich dann auch zurück und verzichte auf das Geld, denn ich drehe meiner Community keinen Bullshit an. So bin ich eben.

Gibt es Länder, in die du aus politischen Gründen nicht reisen würdest?

Bisher noch nicht. Man muss natürlich aufpassen, was man sagt und nicht irgendwelche politischen Dinge erwähnen, von denen man keine Ahnung hat. Ich erledige dort meinen Job, werde nicht politisch und sage nichts Schlechtes. Deshalb habe ich auch keine Angst, in drei Wochen wieder in die Türkei zu fliegen.

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