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Wenn Medizinstudenten zu Influencern werden

Screenshot Instagram/juleunddiemedizin

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Auf einer stylischen Tischdecke in cleanem Weiß steht ein Laptop mit illustriertem Hintergrund, daneben ein Teller mit perfekt geschnittenen Wassermelonenstückchen, die ein gleichmäßiges Kreismuster ergeben. Ein Bild, das man aus der schönen Welt der Instagram-Influencer kennt. Auf diesem allerdings befindet sich ein weiteres Detail, das auf den ersten Blick nicht in die Szene hineinzupassen scheint: ein Stethoskop. 

Auf Instagram gibt es eine neue Spezies der Influencer: Studierende der Medizin. Unter dem Hashtag #MedStudent lassen sich immer mehr Accounts finden, in denen angehende Ärztinnen und Ärzte ihren Fans vom Leben an der Uni erzählen. Wer darunter nun Bilder über stressiges Lernen, blutiges Sezieren und Nächte am Schreibtisch erwartet, liegt falsch. Ihre Posts beschränken sich in den meisten Fällen auf schöne Fotos von Terminkalendern, Laptops und Kaffeetassen – der wahre Alltag eines Medizinstudenten bleibt, zumindest visuell, außen vor.

Die Bilder transportieren viel mehr ein lässiges Hygge-Feeling als trockene Fakten

Jule ist 22 Jahre alt und studiert im fünften Semester Medizin. Neben ihren Vorlesungen und Prüfungen führt sie seit ihrem zweiten Semester einen Blog und einen Instagram-Account über ihr Studium. Ihre Bilder transportieren viel mehr ein lässiges Hygge-Feeling als trockene Fakten über Humanmedizin. Das Konzept kommt an. Bereits nach kürzester Zeit folgen ihr 1000 Abonnenten, dann 5000. Mittlerweile hat sie über 10000 Follower. 

Die Ästhetik ihrer Fotos ist Jule wichtig. Schöne Bilder bringen mehr Leser und mehr Abonnenten. Trotzdem sagt sie: „Es geht mir mehr um die Texte. Ich erreiche meine Follower gerne mit Worten, in denen ich meine Message klar mache.“ Und die lautet: „Das Medizinstudium ist nicht leicht, auch nicht für mich. Wenn ihr daran zweifelt, denkt daran, ihr seid nicht allein.“ Die Influencer-Oberflächlichkeit möchte Jule also trotz gestellter Fotoszenen nicht unterstützen. Für sie ist Instagram mehr als nur eine Platform, auf der man zeigt, wie perfekt das eigene Leben ist. Vielmehr sieht sie darin eine Möglichkeit, sich mit neuen Leuten zu vernetzen, Tipps auszutauschen und ihre Sichtweisen im Austausch mit anderen Studenten zu verändern.

Was sich außerdem in seinem Feed finden lässt: Unzählige Bilder, auf denen er für die unterschiedlichsten Produkte wirbt.

Der Trend kommt ursprünglich aus den USA, wo zahlreiche Studentierende der Humanmedizin zu Influencern werden. Auch Ärztinnen und Ärzte springen auf den Zug auf – teilweise mit bahnbrechendem Erfolg. Einer der beliebtesten Mediziner auf Instagram ist ein Arzt aus New York, der satte drei Millionen Follower vorzuweisen hat. Auf seinem Profil zeigt er zahlreiche Fotos von sich selbst: mal im Arztkittel, mal neben seinem Hund, mal im schicken Anzug, sogar zu Besuch bei Fernsehserien – er ist ein richtiger Star. Was sich außerdem in seinem Feed finden lässt: Unzählige Bilder, auf denen er für die unterschiedlichsten Produkte wirbt – darunter Müsli, Deo, Putzmittel oder ganze Einkaufszentren.

Dass amerikanische Ärzte und Medizinstudierende auf Instagram massiv Werbung machen, liegt wohl daran, dass sie sich so das kostspielige Studium zum Teil finanzieren können. Das vermutet jedenfalls Julia Berger vom Verbraucherschutz. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass es dort kein Gesetz gibt, dass es Ärzten verbietet, Produkte anzupreisen. In Deutschland ist das anders. Das Heilmittelwerbegesetz und die Berufsordnung für deutsche Ärzte und Ärztinnen klären genau, wofür Mediziner werben dürfen, um Patienten nicht zu schaden. Demnach sind sachliche und berufsbezogene Informationen gestattet, um den Patienten bestmöglichst aufzuklären. Explizite Produktwerbungen, mit denen der Arzt Geld verdient, sind hingegen verboten. Man muss Ärzten vertrauen können, dass sie nicht aus Eigeninteresse handeln. Sei es beim Verschreiben eines Medikaments oder wenn sie sich in der Debatte um die Schädlichkeit von Dieselabgasen und Feinstaub äußern wie aktuell der Fall.

„Verbraucher gehen davon aus, von Medizinstudenten eine objektive Meinung zu hören“

Die feste Regelung gilt allerdings nicht für Medizinstudedierende, weil sie ihre Ausbildung noch nicht beendet haben. Solange sie Produktwerbungen auf Instagram klar und deutlich sichtbar machen, dürfen sie sie auch posten. Julia Berger von der Verbraucherschutzzentrale hält das für extrem problematisch. Gerade Medizinern spreche man eine altruistische Grundeinstellung zu, und nicht, dass sie sich von kommerziellen Interessen leiten lassen. „Verbraucher gehen davon aus, auch von Medizinstudenten eine objektive Meinung zu hören“, sagt sie. „Dass die Unternehmen bewusst auf die MedStudents zugehen, übersehen viele.“ Sie rät die Verbraucher davor, sich stets eine gewisse Skepsis zu bewahren, wenn sie sich durch die sozialen Medien klicken. Denn obwohl nun auch auf Instagram verstärkt überprüft wird, ob Werbung auch als solche gekennzeichnet wird, kommen die gesetzlichen Pflichten noch immer nicht bei allen Instagramern an. Bezogen auf die immer beliebter werdenden Medizin-Influencer, die sich auf Sponsorships einlassen, nimmt Berger eine eindeutige Position ein: „Ethisch ist das nicht vertretbar.“ 

Jule sieht das etwas anders. Auch sie wirbt auf ihrem Profil, zum Beispiel für Stethoskope und Lehrbücher. Es sind ebenfalls Produkte dabei, die keine direkte Verbindung zu ihrem Medizinstudium besitzen, darunter Tee und Rucksäcke. „Warum nicht Produkte testen? Das ist eine schöne Chance, Neues zu lernen.“ An ihren Erkenntnissen möchte sie ihre Follower teilhaben lassen und ihnen mit Empfehlungen helfen. Dabei betont sie: „Es gibt Grenzen.“ So werbe sie nur für Dinge, die sie persönlich interessierten und ihre Meinung dazu sei immer ehrlich. 

Dass sie als beliebte Medizinstudentin auf Instagram eine gewisse Verantwortung hat, sieht sie ein. Doch komplett auf Werbung zu verzichten, findet sie nicht notwendig. „Ich sehe das eher hilfreich als schädigend.“ 

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