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Alleinerziehende Mutter bekommt 17.000 Euro Spenden

Illustration: Katharina Bitzl

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Judith* ist 35, arbeitet als Kinderkrankenschwester in Baden-Württemberg und ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Am Freitag erzählte sie auf Twitter davon, dass sie voraussichtlich nicht genug Geld haben wird, um ihren Töchtern die Klassenfahrt und die Ferienbetreuung zahlen zu können. Der Tweet ging viral. Mittlerweile hat neben vielen nationalen Medien auch die BBC über ihren Fall geschrieben und Judith hat eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Statt der 750 Euro, die sie eigentlich einnehmen wollte, sind mittlerweile mehr als 17.000 Euro beisammen (Stand 13.06., 12 Uhr). Wir haben mit Judith gesprochen.

jetzt: Judith, du bist 35 Jahre alt, Kinderkrankenschwester und seit über einem Jahr alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Am Wochenende bist du plötzlich auf  Twitter berühmt geworden. Was ist da passiert?

Judith: Bis Freitag hatte ich keine 300 Follower. Twitter war wie ein Stammtisch für mich, die meisten in meiner Timeline sind auch alleinerziehend. Und dann kotzt man sich halt auch mal aus, genau das habe ich mit diesem Tweet getan: Die Klasse meiner großen Tochter macht eine Alpenüberquerung und ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass das so viel kosten würde. Dazu kam noch die Gebühr für die Ferienbetreuung meiner beiden mittleren Kinder und ich wusste nicht, woher ich das Geld so schnell nehmen sollte. Das ist nichts Besonderes, solche Tweets habe ich wöchentlich in meiner Timeline. So ist es einfach, das blöde Leben. Auf diesen Tweet kam viel Zuspruch und auch der Rat, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten. Erst fand ich das nicht gut, ich wollte nicht betteln. Aber dann dachte ich: Okay, ich probier's mal aus.

Deine Situation ist gerade nicht einfach, oder?

Ich bin es gewöhnt, mein Leben alleine zu stemmen, aber gerade ist es wirklich schwer. Bis vor kurzem hatte ich neben meinem Beruf als Kinderkrankenschwester noch einen Nebenjob und habe insgesamt 90 Prozent gearbeitet, also fast Vollzeit. Den Nebenjob musste ich im Frühjahr aufgeben, weil die Erzieher in dem Kindergarten meines Sohnes meinten, es tue ihm nicht gut, so lange dort zu sein. Die haben nicht darüber nachgedacht, was sie mir damit antun. Ich sehe zwar, dass es meinem Sohn gut tut, aber die 300 Euro im Monat fehlen extrem. Für Alleinerziehende ist es nie einfach, man hat jeden Monat Ausgaben, jede Saison brauchen die Kinder neue Kleidung und Schuhe, es kommt ständig irgendetwas Unvorhergesehenes. Man hangelt sich so durch und denkt: Kommenden Monat kann ich etwas zurücklegen. Und dann kommt die nächste Rechnung. Ich wollte eigentlich dieses Jahr mit meinen Kindern in den Urlaub fahren, das haben sie sich so gewünscht und ich wollte dafür sparen. Und dann kommt so ein Brief von der Schule und in dir zieht sich alles zusammen.  

Würde in deinem Fall das Teilhabegesetz greifen, bei dem der Staat auch solche Sonderkosten für Kinder übernimmt, damit sie an Klassenfahrten teilnehmen oder ein Musikinstrument lernen können?

Da rutsche ich durch, weil ich zu viel verdiene und zu viel Miete für unsere Wohnung bezahle, die zentrumsnah in einer Uni-Stadt gelegen ist. Das ist in unserem Fall wichtig, weil ich kein Auto habe. Ich habe mich aber auch nie für irgendwelche Leistungen vom Staat angemeldet. Ich habe immer gearbeitet. So fällt man aus dem Sozialsystem raus. Ich glaube, dass auch deshalb so viele reagieren.    

„Alle sagen: Die Alleinerziehenden sollen für ihre Rechte kämpfen. Aber dafür haben sie gar keine Zeit“

Die Reaktionen auf deinen Tweet waren enorm.

Das Ziel meiner Crowdfunding-Kampagne war innerhalb von zwei Stunden erreicht. Aber die Leute spenden weiter. Das ist irgendwie total explodiert. Ich war dann auch in einer Zwickmühle, weil ich nicht wusste: Soll ich die Kampagne  jetzt beenden oder nicht? Aber dann habe ich gemerkt, dass es den Leuten wichtig ist. Die wollen uns und vor allem den Kindern wirklich helfen.    

Mit so viel Zuspruch hattest du nicht gerechnet, oder?

Es ist unglaublich, ich kann es noch gar nicht fassen, was da passiert ist. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn ich aufgewacht wäre und alles wäre nur ein Traum gewesen. Das ist wirklich etwas Heiliges für mich. Da spenden nämlich auch Leute, die sich am Ende des Monats überlegen müssen, ob sie fünf Euro für etwas ausgeben oder nicht. Und deshalb habe ich jetzt auch beschlossen, etwas von dem Geld zurück zu geben, dieses Geschenk zu teilen. Ich möchte Menschen unterstützen, denen es so geht wie mir.

Wie genau?

Ich habe schon ein paar Familien aus meiner Timeline angeschrieben und ihnen angeboten, auszuhelfen. Erst wollen die das immer nicht, aber dann erzählen sie doch von einer Rechnung, die sie gerade nicht zahlen können. Da handelt es sich fast immer um Mini-Beträge, vielleicht 20 Euro. Ich habe wirklich großes Glück gehabt und wir müssen doch zusammenhalten. Außerdem würde ich es gerne nutzen, dass mein Fall gerade viral geht und alle auf mich schauen. Ich möchte eine Stimme sein. Alle sagen ja immer: Die Alleinerziehenden sollen aufstehen und für ihre Rechte kämpfen. Aber nach meiner Erfahrung hat man dafür gar keine Zeit. Ich schlafe pro Nacht sechs Stunden. Der Rest ist vollgepackt mit Familie, Arbeit und Haushalt. Es gibt dieses afrikanische Sprichwort: Um ein Kind großzuziehen, braucht man ein Dorf. Das haben wir aber nicht mehr, erst recht nicht die Alleinerziehenden. Das isoliert einen extrem.  

„Ich glaube, die Leute haben wirklich Lust darauf, etwas Gutes zu tun“

Hat dein Tweet auch darum so viele Menschen angesprochen?

Erst habe ich das überhaupt nicht verstanden, aber dann hat irgendjemand geschrieben: „Du bist eine von uns“. Und das stimmt schon. Es sind auch erstaunlich wenige Trolle unterwegs, das ist höchstens eine Handvoll, von denen ich es mitkriege. Klar wurde auch kritisch hinterfragt, warum ich die Kampagne nicht beende. Aber für uns bedeutet dieses Geld vor allem, dass wir durchatmen können. Vorher war das Gefühl eher: Oh Gott, jetzt darf wirklich nichts passieren, wir haben noch soundso viele Tage bis das Gehalt auf dem Konto ist.  

Was machst du jetzt mit dem Geld, das du für euch behältst?

Es gibt ein paar Anschaffungen, die wir jetzt tätigen werden. Zum Beispiel eine Freibad-Saison-Karte für uns alle, das war vorher nicht drin. Und ich würde uns gerne ein Geschirr kaufen, das zueinander passt. Und natürlich die Kosten für die Alpenüberquerung und das Schullandheim.  

Twitter gilt als ziemlich krawallige Plattform, auf der viel miteinander gestritten wird und viele Shitstorms durchwehen. In deinem Fall nicht. Hast du eine Idee, warum?

Ich glaube, die Leute haben wirklich Lust darauf, etwas Gutes zu tun, Nächstenliebe zu zeigen und aufeinander aufzupassen. Das geht uns nämlich verloren. Ich arbeite in demselben Krankenhaus, in dem ich auch gelernt habe. Zu meinen Lehrjahren war der Tisch im Schwesternzimmer immer voll mit Schokolade und Pralinen – ein Zeichen der Dankbarkeit der Eltern und Patienten. Heute kriegen wir nichts mehr geschenkt, außer zu Weihnachten. Ich glaube, die Menschen halten es nicht mehr für nötig, weil sie denken: Das ist eine Dienstleistung und selbstverständlich. Das ist auch in Ordnung, wir machen unsere Arbeit total gerne, aber es ist eben nicht selbstverständlich, sich so reinzuhängen. Aber es kommt nichts mehr zurück, jeder ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Vielleicht ist das der Grund, warum mein Fall so viral gegangen ist. Weil sich viele Menschen daran erinnert haben, wie gut es tut, Gutes zu tun. Es ist auch nicht nur das Geld. Die Leute passen echt auf, wenn „doofe“ Kommentare kommen und springen für mich ein. Und vielleicht wollten auch andere zeigen, dass das Internet und die „Bösen“ dort nicht alle so sind.  

*Judith möchte aus Sorge um ihre Kinder ihren vollen Namen nicht veröffentlichen. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.

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