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Unter #unbezahlt berichten Wissenschaftler von ihrer prekären Arbeitssituation
#unbezahlt: Nachwuchs-Wissenschaftler klagen über miesen Lohn
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Wer einen Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni bekommt, hat bis dahin schon viel geleistet: Nach dem (guten) Abitur das Studium mit Bestnoten abgeschlossen, eine Doktorarbeit angefangen, sich für eine Stelle als Nachwuchswissenschaftler qualifiziert und gegen andere Mitbewerber durchgesetzt.
Doch was danach kommt, erscheint nicht nur vielen Nachwuchswissenschaftlern bizarr: Wer seine Doktorarbeit macht und nebenher als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet, wird häufig wie ein Bittsteller behandelt und verdient miserabel: Laut dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs von 2017 sind 93 Prozent der Nachwuchswissenschaftler befristet beschäftigt. Mehr als die Häfte dieser Arbeitsverträge (52 Prozent) haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Vor allem Promovierende, die als wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen beschäftigt sind (und das sind immerhin 67 Prozent aller Promovierenden), leisten eine große Menge an unbezahlter Mehrarbeit.
So ist die Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen meist unbezahlt, häufig werden sie noch zusätzlich in anderen Bereichen der Uni eingesetzt, ohne Geld dafür zu sehen. Das Problem, wie mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland umgegangen wird, ist durchaus bekannt und wurde auch schon von der Politik angegangen: So hat die Regierung 2016 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erneuert und darin festgehalten, dass die Vertragslänge der angestrebten Qualifizierung entspricht.
Doch offenkundig ist das an deutschen Unis noch nicht angekommen, wie man an einem neuen Hashtag erkennen kann, der derzeit auf Twitter trendet. Unter dem Hashtag #unbezahlt berichten Nachwuchswissenschaftler von ihren prekären Arbeitssituationen, die teilweise an Ausbeutung grenzen.
So berichten viele, dass Überstunden grundsätzlich unbezahlt zu leisten sind:
Als ich mich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin auf 50% Stelle an meine Arbeitszeit halten wollte, wurde mir vom Chef gesagt ich würde mit dem unausgesproch. Imperativ d. Wissenschaft brechen & mich unsolidarisch ggü den Kolleg_innen verhalten. #unbezahlt #academicsunite
— Jule Kuehn (@ju_kuehn) 21. November 2018
An uns anonym herangetragen: "Als ich nach Abfeiern von Überstunden fragte, erntete ich erst zynisches Gelächter und dann den Hinweis, dass das 'bei uns' niemand mache."#unbezahlt
— Mittelbau HD (@MittelbauHD) 21. November 2018
Häufig werden halbe Stellen für Jobs ausgeschrieben, die offensichtlich nicht in der vorgesehenen Zeit zu bewältigen sind:
Stellenausschreibung: Job: 0,5 Lehrkraft fuer bes. Aufgaben "Geschichte der Fruehen Neuzeit sowie Neuere und Neueste #Geschichte". #unbezahlthttps://t.co/6STbcqKszI
— sonja dolinsek (@sonjdol) 21. November 2018
- überdurchschnittliche Promotion erwünscht
- Lehre in zwei Epochen
- 7 SWS (Profs haben 9 SWS)
- Verwaltung usw. pic.twitter.com/aBXSI6A5bl
Doktoranden in den Naturwissenschaften arbeiten fast durch die Bank weg 40-60 h für weniger als 20 h Bezahlung. #unbezahlt Ist Forschung keine Arbeit? Ist das Gerecht? Wird hier Idealismus ausgenutzt?
— Philipp Jäker (@PhilJaeker) 21. November 2018
#unbezahlt , wenn du eine 0,5 Stelle hast aber von dir erwartet wird, dass du 100% arbeitest.
— nici (@PlaySomeShit) 22. November 2018
Teilweise sollen Nachwuchswissenschaftler sogar komplett auf Gehalt verzichten und für „die Erfahrung“ arbeiten:
Bei uns leider auch in Mode: unbezahlte Lehraufträge vergeben an Promovierende, die ja die Erfahrung brauchen. #unbezahlt
— Lena van Beek (@thiliel) 20. November 2018
Auch der Druck, den sich die Wissenschaftler gegenseitig machen, wird auf Twitter thematisiert:
Schwierig auch, wenn es nicht vom Chef sondern von tonangebender Person im Kollegenkreis kommt & du neu im Laden bist. "Frau D. meint Do. & Fr. hier nicht erscheinen zu müssen"
— Karoline Döring (@karolinedoering) 21. November 2018
Ja, weil Frau D. mit dem Chef abgesprochen hat, dass sie ihre 50% Mo.-Mi. leistet 🤯 #unbezahlt
Wenn viele von uns Doktorand_innen Konferenzen #unbezahlt mitorganisieren nur um auf kulturelles Kapital zu hoffen und "aus Engagement". Und dann auch noch stolz drauf sein sollen "überhaupt mitorganisieren zu dürfen". #classmatters #unbezahlt
— Queering Care (@Francis__Seeck) 22. November 2018
Als ich mich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin auf 50% Stelle an meine Arbeitszeit halten wollte, wurde mir vom Chef gesagt ich würde mit dem unausgesproch. Imperativ d. Wissenschaft brechen & mich unsolidarisch ggü den Kolleg_innen verhalten. #unbezahlt #academicsunite
— Jule Kuehn (@ju_kuehn) 21. November 2018
Die Arbeitsbedingungen in der #Wissenschaft führen übrigens nicht nur zu Stress, Armut & Ausgrenzung, sondern schaden auch der Forschung: Wissenschaftler*innen, die stets auf "Beschäftigungsfähigkeit" achten müssen, können sich weniger freies Denken erlauben. #unten #unbezahlt
— Kürbisköpfchen (@kuerbiskoepfchn) 22. November 2018
Diese prekären Arbeitsbedingungen haben weitreichende Auswirkungen. Im Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs wird eine Studie von 2006 zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie erwähnt, nach der 49 Prozent der Frauen und 42 Prozent der Männer im wissenschaftlichen Betrieb bewusst kinderlos bleiben. Aber nicht, weil sie keine Lust auf Kinder haben (die haben 90 Prozent der Befragten), sondern weil ihre berufliche Situation so prekär ist, dass sie keine Familien gründen wollen und können. Die meistgenannten Gründe sind die fehlende finanzielle Sicherheit und die mangelnde Planungssicherheit, sowie die lange Dauer der beruflichen Etablierung.
#unbezahlt ist auch das fragwürdige 'Vergnügen', Partner/Familie nur nach 8h Fahrt am Wochenende zu sehen, weil man gezwungen ist, jede Stelle anzunehmen und sich wg Befristung kein Umzug der ganzen Familie lohnt...
— Christiane Gante (@historiavocis) 23. November 2018
Und natürlich bedeuten diese Verhältnisse auch, dass man sich seine wissenschaftliche Karriere leisten können muss, wie viele auf Twitter konstatieren:
Komplett absurd wird es ja, wenn man nicht nur #unbezahlt publiziert, sondern auch noch Geld für die Veröffentlichung zahlt, die dann vom Wissenschaftsverlag deines Vertrauens wieder gegen Geld an deine Universitätsbibliothek veräußert wird. #elsevier #opensource
— anja schürmann (@schalkewins) 21. November 2018
Genau das muss man sich aber eben auch leisten können, nämlich #unbezahlt zu arbeiten. Wer Kinder betreuen muss/darf oder stets Anschlussverträge erkämpfen muss oder Bewerbungen schreibt, kann eben nicht unendlich unentgeltliche Arbeit in Freizeit inkl. die des Partners ausdehnen
— Sebastian Kubon (@SebastianKubon) 23. November 2018
Dass ganz viele wiss. Tätige wg. Stipendien, Teilzeitstellen und Arbeitslosigkeitsphasen auf die Alterarmut zulaufen, muss auch nochmal gesagt werden. #unbezahlt
— Dr. Kristin Eichhorn (@DrKEichhorn) 22. November 2018
Wie sich die prekäre Situation von Nachwuchswissenschaftlern verbessern lassen könnte, ist bislang unklar und wird auch auf Twitter wenig diskutiert. Auch von Seiten der Universitäten oder dem Ministerium für Bildung und Forschung gab es bislang keine Reaktionen auf die vielen Berichte. Für 2020 ist jedoch eine Evaluierung vorgesehen, die untersuchen soll, wie das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz an den Universitäten umgesetzt wurde.
chwa
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