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„Niemand kann davor sicher sein, auf diese Weise bloßgestellt zu werden“

Y-Kollektiv-Reporterin Alina Schulz hat ursprünglich an einer Reportage zu „revenge porn“ gearbeitet.
Foto: youtube / Y-Kollektiv / Sendefähig GmbH

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„Stell Dir vor, deine Fotos landen auf einer Pornoseite und du weißt nichts davon.“ So beginnt die auf Youtube veröffentlichte Reportage vom Y-Kollektiv, einem Doku-Format von funk. Die Reporterin Alina Schulz hat dafür ein halbes Jahr lang auf Pornoseiten recherchiert – zum Beispiel auf XHamster oder dem Internetforum Tumbex. Dabei hat sie die sogenannte „Exposer-Szene“ aufgedeckt: Männer verbreiten auf diesen Seiten Fotos von Frauen, die sie offenbar nicht persönlich kennen – und die nichts davon wissen. Es handelt sich dabei um Selfies, Bikini-, Sex- oder Nacktfotos, die ursprünglich in einer Cloud gespeichert oder auf Social Media veröffentlicht wurden. Oft werden zusätzlich zu den Fotos der Frauen auch deren persönliche Daten gepostet: zum Beispiel Fotos von Personalausweisen, Adressen, Vor- und Nachnamen. In den Kommentaren stehen dann Vergewaltigungsphantasien, Beleidigungen und Demütigungen. Das Ziel: Bloßstellung.

Wir haben mit der Reporterin Alina über ihre Y-Kollektiv-Recherche gesprochen – und über ihre Begegnungen mit Opfern und Tätern der Exposer-Szene:

jetzt: Für die Reportage hast du ein halbes Jahr lang auf Pornoseiten recherchiert. Was waren die erschreckendsten Entdeckungen?

Alina Schulz: Zum einen hat mich das Ausmaß der Exposer-Szene erschrocken. Mein ursprüngliches Thema war das Phänomen revenge porn. Ich bin also davon ausgegangen, dass viele Posts von den Ex-Partnern der betroffenen Frauen stammen, Nacktbilder und persönliche Daten also aus Rache oder Eifersucht auf den Pornoseiten verbreitet wurden. Aber das Phänomen ist eigentlich viel größer. Bei vielen Posts wurden beispielsweise neben Nacktbildern auch Adressen, Namen und sogar Arbeitgeber der Frauen veröffentlicht. Manches stammte von den Social-Media-Profilen oder einem Smartphone-Hack. Die Auswahl der Frauen, die auf diese Weise online gedemütigt werden, ist willkürlich. Deswegen habe ich im Film auch nicht von revenge porn, sondern von non-consensual porn gesprochen (übersetzt: „Pornographie ohne Einverständnis“). Das bedeutet: Niemand kann davor sicher sein, auf diese Weise bloßgestellt zu werden. 

Du hattest im Laufe der Recherche nicht nur zu den Opfern, sondern auch zu den Tätern Kontakt. Wie haben die Täter denn reagiert?

Da war zum einen Aru (Pseudonym, Anm. d. Red.). Auf seinem Profil wurden Bilder von mehreren Frauen veröffentlicht, die sich dann zusammengetan haben und gemeinsam dagegen vorgegangen sind. Es stellte sich heraus, dass sie auf die gleiche Schule gingen. Ich habe mir einen XHamster-Account gemacht, um mit Aru Kontakt aufzunehmen. Er hat behauptet, die Frauen zu kennen, deren Bilder er veröffentlichte. Durch polizeiliche Ermittlungen konnte er identifiziert werden. Es war ein ehemaliger Mitschüler der Frauen, der sich selber als Außenseiter beschrieb, der nur in der XHamster-Community Anschluss gefunden habe. Später kam ich an seine Handynummer. Er schrieb mir, er habe sich nie Gedanken darüber gemacht, dass er durch seine Posts Frauen erniedrigen oder sich strafbar machen könnte.

Sie nehmen Vergewaltigungsfantasien nicht als Beleidigung wahr, sondern als freie Meinungsäußerung

Hast du ihn angezeigt? Oder hat das eins seiner Opfer getan? 

Mehr als 25 Frauen haben Aru angezeigt. Nach Veröffentlichung der Reportage hat er sich nochmal gemeldet und sogar bedankt, weil ihm dadurch vieles klar geworden sei. Er wollte, dass ich seine Entschuldigung an die Frauen weiterleite. Ich glaube, dass es bei ihm etwas bewegt hat – auch wenn ich natürlich nicht überprüfen kann, ob seine Nachricht von Herzen kam oder von Psychologen formuliert wurde. Mein Gefühl sagt mir, dass er schon etwas daraus gelernt hat.

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Reporterin Alina Schulz im Gespräch mit einem Opfer der „Exposer Szene“.

Foto: Sendefähig GmbH

Wie würdest du die Exposer-Szene denn insgesamt beschreiben?

Mein Eindruck auf Basis der Recherche ist generell, dass die meisten sich gar nicht wirklich bewusst sind, dass ihre Taten tatsächlich strafbar sind. Sie nehmen Vergewaltigungsfantasien nicht als Beleidigung wahr, sondern als freie Meinungsäußerung. Ich glaube, dass viele, die das machen, da einfach sehr tief drin sind. Wenn du auf Pornoseiten unterwegs bist, denkst du vielleicht auch nicht mehr mit deinem Gehirn, sondern mit anderen Körperteilen. Eine heftige Entdeckung war das „Exposer-Manifest“: eine Anleitung mit sieben Punkten dazu, wie genau man die Frauen bloßstellen und deren Bilder verbreiten soll. Am Ende steht dann: download, repost, share, enjoy. Das hat mich lange beschäftigt und auch wütend gemacht. Viele der Exposer präsentieren sich online mit einer erstaunlichen Sicherheit. Die posten manchmal zusätzlich sogar noch Fotos von sich selbst, geben auch eigene Klarnamen und Wohnorte an.

Am meisten mitgenommen war die Frau, deren Mann durch die Fotos erfahren hat, dass sie eine Affäre hatte

Die betroffenen Frauen konntest du auch identifizieren – weil deren persönliche Daten den Bildern häufig beigefügt waren. Viele haben durch dich aber erst davon erfahren, dass ihre privaten Fotos auf Pornoseiten gelandet sind. Wie haben sie reagiert?

Manche der Frauen sind in Tränen ausgebrochen, als sie die Bilder gesehen haben. Andere haben gar nicht erst auf meine Kontaktaufnahme reagiert – vielleicht, weil sie mich für einen Bot hielten. Es war gar nicht so leicht, eine sensible Art und Weise zu finden, so etwas mitzuteilen. Deshalb habe ich mich vorsichtig rangetastet. Ich habe sie beraten, ihnen Anlaufstellen für professionelle Beratung genannt, bei denen sie sich melden können. Und ich habe ihnen natürlich nicht sofort die Links geschickt. Teilweise war ich während der Recherche auch ein Stück weit Psychotherapeutin. Ich war ständig erreichbar für die Frauen, habe versucht, ihnen Tipps zu geben. Am meisten mitgenommen war die Frau, deren Mann durch die Fotos erfahren hat, dass sie eine Affäre hatte. Trotzdem ist auch sie mir dankbar dafür, dass ich sie über die Verbreitung der Fotos informiert habe.

Inwiefern hattest du denn den Eindruck, dass die Exposer-Szene in ihrem ganzen Ausmaß ein Problem der Plattformen ist, auf denen sie stattfinden – also XHamster oder Tumbex?

Vor allem der Austausch mit Aru hat mir gezeigt, dass es auch an den Plattformen liegt: Hauptsächlich Männer posten dort Fotos von Frauen und leben sich dann mit den perversesten Fantasien in den Kommentaren aus, stacheln sich gegenseitig an. Das findet gerade noch weitestgehend ungefiltert statt. Ich finde, dass solche Inhalte nicht auf Pornoseiten gehören: also Fotos von Frauen, die gegen ihren Willen veröffentlicht wurden – und dann noch deren persönliche Daten. Da müsste es einfach mehr Manpower seitens XHamster oder anderer Seiten geben, die solche Inhalte überprüfen. Oder eben einen besseren Algorithmus. Wenn du eine Plattform dieser Größe betreibst, bringt das eben auch eine Verantwortung mit sich. Nämlich zu prüfen: Was gehört dahin und was nicht?

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Einige Frauen haben erst durch die Recherchen von Y-Kollektiv erfahren, dass sie Opfer von „non-consensual porn“ geworden sind.

Foto: Sendefähig GmbH

Wie haben die Plattformen denn reagiert, als du sie darauf aufmerksam gemacht hast? 

XHamster hat überhaupt nicht auf meine Anfrage reagiert, was mich sehr frustriert hat. Tumblr hat sehr schnell reagiert und klargemacht, dass Tumbex eine Seite Dritter ist, die auf deren Inhalte zugreift – aber, dass sie die Urheberrechtsverletzungen und Straftaten verurteilen, die dort stattgefunden haben. Sie haben dann auch dafür gesorgt, dass dies für Tumbex nicht mehr möglich ist. Seitdem sind diese Inhalte auf Tumbex nicht mehr aufrufbar. Es hat mich sehr gefreut, dass wenigstens hier etwas bewirkt werden konnte.

Die Konsequenz kann nicht sein, dass niemand mehr etwas Privates hochlädt

Wenn beispielsweise Nackt- oder Bikinifotos von Frauen im Netz ungewollt verbreitet werden, heißt es schnell: „Hätte sie einfach nicht posten oder verschicken sollen.“ Das Gefühl hatten manche der betroffenen Frauen auch im Umgang mit der Polizei. Wo liegt da das Problem?

Ich denke, dass es mehr Awareness bei Polizei und Justiz im Umgang mit solchen Fällen bräuchte – zum Beispiel Schulungen im Umgang mit Opfern von digitaler Gewalt. Ich habe für die Recherche auch Hintergrundgespräche mit der Polizei geführt und mit ihnen zusammengearbeitet. Dabei hatte ich den Eindruck, dass sie zwar viel mit Internetstraftaten zu tun haben – sich aber vor allem auf so etwas wie Kinderpornografie oder Hacking von großen Unternehmen konzentrieren. Der Straftatbestand in den Fällen der Reportage ist Urheberrechtsverletzung und Beleidigung. Das Strafmaß ist also nicht so hoch. Die Menschen – vor allem Frauen – denen das passiert ist, sollten aber ernst genommen werden, wenn sie Anzeige erstatten. Es gehört nun mal dazu, dass wir alle digital sind und viel teilen. Die Konsequenz kann nicht sein, dass niemand mehr etwas Privates hochlädt – weil alle die Angst haben müssen, dass sie auf Pornoseiten landen.

Bei deiner Recherche kam auch raus, dass nicht nur Nacktfotos, sondern zum Beispiel auch ganz „normale“ Selfies auf Pornoseiten landeten. Was würde denn tatsächlich helfen, um gegen die Exposer-Szene  langfristig vorzugehen?

Zum einen, wie gesagt, eine noch bessere Überprüfung von Pornoseiten. Außerdem gibt es ja das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG. So ein Gesetz sollte auch für Pornoseiten stärker durchgesetzt werden. Wenn auf einer Pornoseite neben den Bildern auch Vergewaltigungsphantasien- und aufrufe stehen, private Daten der Frauen noch dazu gepostet werden, dann kann man schon sagen: Es besteht eine akute Gefahr für diese Frauen. Dann ist das digitale sexuelle Gewalt.  

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