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Diese Frau überprüft für die Washington Post Donald Trumps Aussagen

Michelle Lee

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Als dreifache Bedrohung beschreibt Michelle Ye Hee Lee sich selbst, während sie im Newsroom der Washington Post sitzt, und muss darüber selbst ein wenig lachen. Sie ist jung, eine Frau und eine Asiatin noch dazu – die 28-Jährige überprüft Wort für Wort, was Politiker im Fernsehen, bei Debatten und im Wahlkampf behaupten. Das hat ihr im vergangenen Jahr viele Hassmails und Trollnachrichten eingebracht. "Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich einfach nicht mehr stillsitzen und mich von Fremden beleidigen lassen wollte. Ich habe Leute gezielt zurückgefragt, 'Was an der Tatsache, dass ich eine Frau, jung, Asiatin bin, lässt dich glauben, ich bin nicht gut in meinem Job?' Oder 'Warum glaubst du, diese Qualitäten, mit denen ich geboren bin, beeinflussen meinen Job als professionelle Journalistin'?" Meistens bekommt sie darauf keine Antwort.

Die Washington Post bewertet Behauptungen von Politikern, indem sie Pinocchios verteilt

Seit November 2014 gehört Lee zu den Fakten-Überprüfern der Washington Post. Es ist das Schwarzbrot des Journalismus, sie überprüft die Aussagen von Politikern auf ihren Wahrheitsgehalt. Nachdem Donald Trump seine Kandidatur im Juni 2015 bekannt gab, hat sich ihr Job gewandelt, erzählt Lee: "Donald Trump ist einzigartig aufgrund der schieren Masse an Behauptungen, die er aufstellt. Während des Wahlkampfes war er andauernd im Fernsehen, wurde überall zitiert – das pure Volumen an Behauptungen war höher als das der anderen Kandidaten." Es sei schwer gewesen, sein Team überhaupt zu erreichen und Beweise für Trumps Behauptungen zu bekommen. "Wir mussten uns an die Art und Weise anpassen, auf die Trump arbeitet. Die ist anders als die der Politiker, die wir sonst checken", erzählt Lee weiter.  Die Washington Post bewertet Behauptungen von Politikern, indem sie Pinocchios verteilt: Je falscher die Behauptungen, desto mehr Pinocchios, vier ist dabei die höchste Zahl. Aber immerhin, Fakten-Checken sei inzwischen wieder cool geworden, so Lee.

Ein Beispiel: Trumps Behauptung, er sei von Anfang an gegen den Irak-Krieg gewesen. Zu Beginn erzählte er noch sehr detailliert, er habe sich so vehement und öffentlich gegen den Einmarsch in den Irak geäußert, dass das Weiße Haus einen Abgesandten zu ihm schickte. Wegen seiner Berühmtheit sei man besorgt gewesen, wollte Trump beruhigen. Eine Behauptung, der Lee natürlich nachgegangen ist: "Ich habe keinerlei Beweise gefunden, dass Trump von Anbeginn gegen den Irak-Krieg war, geschweige denn, dass das Weiße Haus jemand entsendet hat, um ihn zur Ruhe zu bringen." Sie habe mit ehemaligen Mitarbeitern des damaligen Präsidenten George W. Bush geredet, keiner konnte die Geschichte bestätigen. Später erzählte Trump nur noch, er sei vehement und öffentlich gegen den Irak-Krieg gewesen, kein Wort mehr vom Weißen Haus: "Auch dafür gab es keine Beweise, nur lauwarme öffentliche Aussagen: Er sei dagegen, dafür, habe keine Meinung", so Lee. Für seine Irak-Krieg Geschichte bekam Trump immer wieder die Höchstwertung von vier Pinocchios. Schlussendlich behauptete er, er habe die Geschichte im Privaten Sean Hannity, einem Moderator des US-Fernsehsenders Fox News, erzählt.

So persönliche Beleidigungen wie Lee bekommen ihre Kollegen nicht 

Lees Schreibtisch ist im Großraumbüro der Washington Post, Zeichnungen von Pinocchio hängen dort neben einem Plakat des „International Fact-Checking Networks“. Ihr gegenüber sitzt Glenn Kessler – ein gestandener, männlicher, weißer Journalist. So persönliche Beleidigungen wie Lee hätte er noch nicht bekommen: "Klar, auch er bekommt die 'Du Idiot'-Nachrichten, aber niemand spielt dabei auf sein Geschlecht, sein Alter oder seine Hautfarbe an", sagt Lee.

Die Hassnachrichten hätten kurz vor der Wahl ihren Höhepunkt erreicht, erzählt sie und hat sogar einen Erfahrungsbericht für die Washington Post darüber geschrieben. Inzwischen sei es besser geworden. Doch trotzdem: Wenn sie an einem normalen Tag den aktuellen Fakten-Check tweetet, ohne Kommentar, nur mit der Headline, zieht sie Nachrichten von beiden Seiten der politischen Landschaft an. Lee ist überzeugt, viele der besonders hasserfüllten Trolle wären sich gar nicht bewusst, dass ein echter Mensch am anderen Ende sitzt und die Nachrichten liest. "Wir versuchen so transparent wie möglich zu sein, mit unseren Kritikern Kontakt aufzunehmen und unsere Analysen zu erklären", sagt Lee, doch alle einzeln zu kontaktieren hält sie trotzdem nicht für die Lösung: "Wenn ich mich den ganzen Tag mit Trollen auseinandersetzen würde, könnte ich meinen Job nicht mehr machen. Ich muss auswählen, wann ich reagiere." Zumindest hin und wieder entschuldigen manche Leute sich für ihre bösartigen Zuschriften – manche legen laut Lee allerdings auch nochmal nach.

Das Weiße Haus unter Donald Trump macht keinen Hehl daraus, dass sie die Presse als Gegner sehen. Trump-Berater Stephen Bannon sprach bei CPAC, einer konservativen Politik-Konferenz im Februar diesen Jahres, von den Medien als Opposition, jeder Tag werde ein Kampf mit den Medien. Die Washington Post schlägt zurück, mit Werbeslogans wie "Democracy dies in Darkness" (deutsch: die Demokratie stirbt in der Dunkelheit), die New York Times startet eine Werbekampagne dazu, dass die Wahrheit hart, aber wichtiger als jemals zuvor sei.

Lee erzählt, sie bekäme seit Trumps Amtseinführungen viele aufmunternde Nachrichten von Lesern. "Journalismus hat eine Art Renaissance. Leute, die an die Wichtigkeit der Medien glauben, unterstützen uns jetzt viel stärker, das ist eine gute Sache. Die Menschen schätzen den Service, den Journalisten ihnen bieten. Für uns ist jetzt wichtig zu merken, dass es nicht um uns geht. Es gab immer eine Spannung zwischen der Regierung und den Journalisten, doch jetzt liegt darauf besondere Aufmerksamkeit, weil das Weiße Haus diese Spannung anstachelt", so Lee. "Fakten überprüfen ist ein wichtiger Teil, um die Regierung und die Politiker zur Verantwortung zu zwingen. Es ist die Basis des Journalismus." Lee liebt ihren Job, sieht es als Service an der Öffentlichkeit und möchte den Rest ihrer Karriere damit verbringen. Doch klar ist ihr auch: Wer einem Politiker unbesehen glauben will, den erreicht sie nicht.

 

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