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Danke, dass du meinen Mann gevögelt hast!

Illustration: Julia Schubert

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Eine Beziehung zwischen zwei Menschen ist oft schon schwierig. Wie soll es dann erst funktionieren, wenn drei oder mehr Menschen involviert sind? Unsere Autorin und ihr Mann führen seit fünf Jahren eine offene Beziehung. Was das im Alltag bedeutet, welche Probleme sie dabei zu lösen hatten und wie sich ihr Leben seitdem verändert hat, beschreibt sie in dieser Kolumne.

Es gibt diese Momente im Leben, da sacken einem die Knie weg, weil man genau weiß: Es ist alles aus. Und es wird nie wieder so werden wie vorher. Mein erster positiver Schwangerschaftstest war so eine Gelegenheit, dann dieser Auffahrunfall mit Totalschaden. Den absoluten Höhepunkt in dieser Reihe aber bildete der Anruf eines mir unbekannten Typen. „Dein Mann schläft mit meiner Freundin“, sagte er, dann fing er an zu weinen.  

Ich verstand gar nichts. Wir waren doch glücklich, absolut glücklich! Es gab keinen Streit, keine Meinungsverschiedenheiten, keine Missverständnisse. Dafür soliden Sex, deepe Gespräche, harmonische Urlaube. Wofür brauchte mein Mann eine andere? Was zu Hölle war da los?

Mein Mann liebte mich ohne jeden Zweifel, aber er hatte auch Lust auf eine andere Frau

Wie sich in den folgenden Wochen herausstellte, eine Menge. Nur, dass wir nie drüber gesprochen hatten. Nicht, weil wir nicht genug miteinander geredet hätten. Sondern ganz einfach, weil es Dinge gab, die allein zu denken wir uns nie erlaubt hätten. Jemanden zu lieben, bedeutet keine Götter neben ihm zu haben — das lernen wir aus Disneyfilmen, Liebesliedern und öffentlichen Hetzjagden auf fremdgehende Promis. Es bedeutet „Alles mit Einem für immer“ zu wollen, und wenn das eines Tages einmal nicht mehr der Fall sein sollte, dann muss dieser Eine eben gehen.

Mein Mann liebte mich ohne jeden Zweifel, aber er hatte auch Lust auf eine andere Frau. Und weil er keine Vorstellung davon hatte, dass das in irgendeinem Leben auch zusammen gehen könnte (zugegeben, zu diesem Zeitpunkt hatte ich die auch nicht), ließ er die Nummer mit ihr ganz einfach heimlich laufen. Für ihn war klar: Wenn das rauskommt, sitzt er so richtig in der Scheiße. Also musste er lügen, Termine erfinden, geschäftig sein.

Lieber im Stillen fremdgehen als über die eigenen Bedürfnisse reden — wer weiß, wie viele Menschen diese Strategie tatsächlich fahren? Hätte ich je von der Affäre meines Mannes erfahren, wenn es nicht ihren mitteilungsbedürftigen Freund gegeben hätte? Und hätte mir nicht das Gleiche passieren können, hätte ich mich zufällig verguckt? Die Antwort darauf weiß vermutlich nur Gott der Allmächtige, und auch der hat vermutlich Besseres zu tun, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Mein Bedürfnis danach, meinen Mann mit diesem Schlangenledergürtel zu erdrosseln, den er mir das Jahr davor zum Geburtstag geschenkt hatte, löste sich jedenfalls ziemlich schnell auf. Nicht, weil ich nicht immer noch wütend auf ihn gewesen wäre. Sondern weil wir anfingen, wirklich miteinander zu reden, nächtelang, über Wochen und Monate. Dabei merkten wir, wie sehr wir uns vorher immer für einander zensiert hatten: Plötzlich lagen Kindheitsgeheimnisse auf dem Tisch, die absurdesten Sehnsüchte, niederste Gefühle, und ja, auch Bock auf andere. Es war fast, als würden wir uns vor einander ausweiden, und vermutlich tat es nicht mal weniger weh. Doch am Ende fühlten wir eine Nähe, die wir vorher nie für möglich gehalten hatten.

Wir erfanden Regeln und verwarfen sie wieder, wir verhandelten, weinten und vögelten miteinander

Bis wir die Beziehung aber definitiv öffneten, dauerte es trotzdem noch etwa ein halbes Jahr. Schließlich kann man so ein Ding ziemlich schnell vor die Wand fahren, wenn Vertrauen ein Problem ist — und das hatte bekanntlich ziemlich gelitten. Also machten wir erst mal langsam, immer nur so viel, wie wir gerade aushalten konnten. Zunächst war das nur ein Flirt, irgendwann ein Kuss und sehr, sehr viel später dann tatsächlich Sex. Wir erfanden Regeln und verwarfen sie wieder, wir verhandelten, weinten und vögelten miteinander, und zwischendurch verzweifelten wir auch ein bisschen. Die meiste Zeit aber waren wir im Himmel der Glückseligkeit.

Fünf Jahre ist der Anruf vom weinenden Boyfriend jetzt her. Wie zur Feier des Jubiläums wühlte mein Mann die längst gelöschte Nummer seiner damaligen Affäre aus den Untiefen des Internets. Und dann rief er sie an. Um zu hören, wie es ihr so geht — schließlich hatte er die Geschichte mit ihr damals ziemlich abrupt beendet, als sie rausgekommen war. Und um ihr zu erzählen, wie froh wir sind, dass es sie gegeben hatte.

Ich hätte früher nie gedacht, dass ich mal jemandem dafür dankbar sein würde, dass er meinen Mann gevögelt hat. Aber heute kann ich sagen: Wahnsinn, es geht tatsächlich!

Drei Tipps für die offene Beziehung:

Dankbarkeit ist euch vielleicht ein Schippchen zu viel, aber eine offene Beziehung kommt trotzdem für euch infrage? Hier sind ein paar Dinge, die ihr beachten solltet, bevor ihr euch ins große Abenteuer stürzt:

  • Seid euch sicher: Es wird wehtun. Nur, weil euer Kopf kapiert hat, dass sexuelle Treue nichts mit Liebe zu tun hat (und umgekehrt), heißt das nicht, dass eure Eingeweide das genau so sehen.
  • Redet miteinander. Redet noch mehr. Und dann noch viel mehr. Gewöhnt euch an den Gedanken, euch vor einander nackig zu machen, denn ohne ständigen Austausch wird das nichts.
  • Überstürzt nichts, sondern guckt erst mal, wie es um eure Beziehung bestellt ist. Seid ihr unzufrieden und sucht ihr Abstand voneinander? Vorsicht! Sonst wird das hier euer Todesstoß, so schnell könnt ihr gar nicht gucken. Seid ihr glücklich? Dann nix wie ab dafür!
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