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Ehe, Kinder, Job — und dazu noch eine offene Beziehung?

Illustration: Julia Schubert

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Bevor wir richtig loslegen, muss ich ein kleines Geständnis ablegen. Oder sagen wir, an meiner Außenwahrnehmung schrauben. Ich fürchte nämlich, es liegt in der Natur dieser Kolumne, dass sie mich manchmal so aussehen lässt, als gäbe es für mich im Leben nichts außer Dates und Rumgevögel. Dabei ist da eine ganze Menge anderer Sachen: Ich habe Kinder, einen Ehemann, einen Job, Freundschaften, ein Netflix-Abo und Laufschuhe. Mit anderen Worten, ich führe ein ganz normales Leben.

Oder auch nicht.

Denn mein Mann und ich halten es ganz mit Simone de Beauvoir — wir wollen alles vom Leben. Also ermöglichen wir uns trotz gemeinsamer Familie gegenseitig so viel, wie nur irgendwie geht, beruflich wie privat. Will einer von uns ein paar Wochen allein verreisen? Bitte sehr. Einen Job, der einem für das nächste halbe Jahr keine freien Wochenenden lässt? Viel Spaß. An einer Orgie teilnehmen, sich eine Geliebte zulegen? Schön für dich.

Wer jetzt aber vermutet, dass wir uns permanent am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegen, unsere Kinder vernachlässigen oder einander nur alle Schaltjahre begegnen, liegt falsch. Natürlich straucheln auch wir hin und wieder, vermissen einander oder Zeit allein, aber ein Paar, dem das nie passiert, würd ich echt gern mal kennenlernen. Die meiste Zeit sind wir allerdings sehr zufrieden in unserem freiheitlichen System. Weil wir uns trotz allem als Team begreifen, in dem keiner von beiden dauerhaft sein Ego-Ding durchziehen und den anderen allein lassen würde. Und weil wir klare Prioritäten setzen.

Den Anfang unserer emotionalen Nahrungskette bildet unsere Familie. Wenn es hier nicht läuft, läuft gar nichts. Darum stehen die Bedürfnisse unserer Kinder und die von uns als Paar an allererster Stelle. Was bedeutet, dass wir auch mal Verabredungen absagen, wenn wir das Gefühl haben, zu Hause gebraucht zu werden. Und weil wir als Freelancer die luxuriöse Situation genießen, unsere Arbeitszeit größtenteils selbst einteilen zu können, gönnen wir uns ab und zu einen freien Vormittag zu zweit, wenn die Kinder betreut sind. Notfalls wird stattdessen halt eine Nachtschicht eingeschoben.

Liebhaber und andere Menschen müssen sich zusammen mit meiner Me-Time den dritten Platz in meinem Leben teilen

Damit wären wir auch schon bei Platz zwei unserer Bedürfnisse: der Arbeit. Ein voller Kühlschrank für fünf Personen erfordert einigen Aufwand, darum sind für mich Dates (außer die mit meinem Mann) in der Zeit von neun bis vier tagsüber tabu. Gerade anfangs habe ich das nicht so strikt getrennt, musste aber einsehen, dass sich ein Mittagspausen-Schäferstündchen gern mal so weit ausdehnt, dass es — so schnell kannste gar nicht gucken — plötzlich Nachmittag und Kinderabholzeit ist. Und so etwas ist es mir dann echt nicht wert, mich abends nochmal an den Schreibtisch zu quälen.

Das ist zugegebenermaßen auch der Punkt, an dem es am meisten hakt: Liebhaber und andere Menschen müssen sich zusammen mit meiner Me-Time den dritten Platz in meinem Leben teilen — und das ist einer, für den nach den beiden ersten nicht mehr viel Zeit bleibt. Hier komme ich oft ins Straucheln: Was ist wichtiger, Party mit der besten Freundin oder Rumdümpeln in der Badewanne? Gehe ich zum Sport oder treffe ich meinen Freund? Und wann soll ich es endlich schaffen, das verdammte Buch zu Ende zu lesen, das ich vor einem halben Jahr angefangen habe? Besonders exotisch sind aber auch diese Gedanken nicht, ich wette, ihr denkt sie alle hin und wieder.

Mein Freund hat sich daran gewöhnt, in meiner Prioritätenliste erst ganz unten aufzutauchen. Geil ist das trotzdem nicht für ihn. Vor allem, wenn ich hin und wieder auch noch einen anderen Mann treffen will, ist da schnell das Gefühl, zu kurz zu kommen — berechtigterweise. Deswegen die Beziehung zu beenden, ist aber trotzdem keine Option: Unsere gemeinsamen Ausgeh-Abende sind zwar selten, dafür aber meist der Knüller. Dann haben wir noch all die Dates bei uns auf dem Sofa, wenn mein Mann nicht da ist. Und alle paar Monate auch ein verlängertes Wochenende bei meinem Freund zu Hause oder in irgendeiner schönen Stadt.

Letztendlich geht es in unserer Konstellation aber auch darum, aus der Sache nicht auf Teufel komm raus eine „vollwertige“ Beziehung mit gemeinsamem Alltag machen zu wollen. Dafür sind bei mir durch Mann und Kinder die Weichen schon zu sehr auf „Familie“ gestellt. Sondern die Zeit, die wir miteinander haben, als sauleckeres Topping zu unserem eh schon ziemlich guten Lebenskuchen zu betrachten.

Und wenn das gelingt, das merke ich immer wieder, dann bin ich arg versucht, auf die „Wie schaffst du das alles“-Frage mit einer Gegenfrage zu antworten: „Wie schaffst du es, das alles nicht zu tun?“ Aber das mache ich natürlich nicht. Sondern schreibe einen Text wie diesen hier.

Ihr wisst nicht, wo eine offene Beziehung noch in euer Leben reinpassen soll? Sie passt — wenn ihr diese Dinge beachtet.

  • Eine offene Beziehung bedeutet in erster Linie ein Mehr, nicht ein Weniger für alle. Jedenfalls, wenn ihr es schafft, all das Gute, das euch mit anderen widerfährt, in eurer Hauptbeziehung zu teilen — statt auf dem Ego-Ross in Richtung Horizont davonzugaloppieren.  
  • Was auch immer passiert: Ihr zwei geht vor. Nur, wenn es euch zusammen gut geht, geht auch die Sache mit den anderen gut.  
  • Ihr habt das Gefühl, vor lauter Dates und anderen Verpflichtungen die Verbindung zu eurem Liebsten oder euch selbst zu verlieren? Macht eine Pause, konzentriert euch auf eure Beziehung oder zelebriert eure Zeit allein. Schließlich kann niemand von uns auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen.
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