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„Ein geschützter Raum, den sie sonst nirgends finden“

Foto: Johanna Roth

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Die Sonnenburger Straße in Berlin-Prenzlauer Berg führt quer durch einen ruhigen Kiez. Vor Cafés sitzen Menschen mit Mate, Laptops und Mini-Bulldoggen, Eltern fahren Kinder in Lastenrädern spazieren. Inmitten der pastellfarbenen Altbaulandschaft sticht ein Flachbau mit großem Garten hervor: “lambda” ist in großen Buchstaben auf ein Papierschild über die Tür gemalt. Hier hat Anfang September Berlins erstes queeres Jugendzentrum offiziell eröffnet. Schwule, lesbische, bi-, trans-, intersexuelle und queere Jugendliche aus Berlin und Brandenburg sollen sich hier in einem geschützten Raum treffen können und beraten lassen, der Berliner Senat fördert die Einrichtung mit 175.000 Euro im Jahr. Das Jugendnetzwerk Lambda gibt es bundesweit schon seit 1990, das Jugendzentrum in der Sonnenburger Straße wird vom Landesverband Berlin-Brandenburg getragen.

Im Eingangsbereich steht ein großes Regal voller Flyer und Aufkleber: „Trans*- ja und?!“ steht auf einem, andere werben für Spenden für Trans-Familien oder betreutes Wohnen für LGBTI*-Jugendliche. Weiter hinten ist neben Räumen für die Gruppenarbeit eine Bibliothek mit über 2.000 Büchern, Filmen und Magazinen zum Thema Queer. An der Wand hängt neben pinken Sternchen-Stickern ein Poster der Musikerin und Trans-Aktivistin Faulenz*A. Das Linoleum auf dem Boden ist wie in einer Turnhalle mit bunten Streifen beklebt. Sie markieren Barrierefreiheit, damit sich auch Menschen im Rollstuhl hier ohne Probleme bewegen können. Im vorderen Bereich ist eine Bar, an der das „Pride Café“ Dienstag und Freitag nachmittags Club Mate, Latte Macchiato und Säfte ausschenkt. Alkohol gibt es nicht, auch keine getrennten Männer- und Frauentoiletten. Unisex, alle sollen hier die sein können, die sie sind – ohne Diskriminierung, ohne blöde Fragen. 

Die Arbeit im Jugendzentrum lebt vor allem von ehrenamtlichen Jugendlichen. Vincent Degener, 19, war bis vor kurzem Mitglied des Landesbeirats von Lambda BB e.V. Inzwischen absolviert er hier ein Freiwilliges Soziales Jahr.

jetzt: Vincent, was ist dieser Ort für dich?

Vincent: Auf den ersten Blick ist es einfach ein Jugendzentrum, in das Jugendliche kommen können, um andere zu treffen, eine tolle Zeit zu haben und sich auszutauschen. Viel wichtiger aber ist, dass das hier ein geschützter Raum für queere Jugendliche ist, ohne Eltern, Lehrer oder andere Jugendliche, die einem verletzende Fragen stellen oder Queerness nicht akzeptieren. Wir arbeiten nach dem Prinzip „Von queeren Jugendlichen für queere Jugendliche“: Wir betreiben das „Pride Café“, organisieren Projekte und Fahrten und leiten die Gruppen. Hier können sich alle akzeptiert fühlen, wie sie sind: schwul, lesbisch, queer, bi, trans, inter – ohne Angst vor Diskriminierungen haben zu müssen.

Das Jugendzentrum ist landesweit das erste seiner Art. Wie kommt es, dass es erst jetzt aufgemacht hat?

Diesen Ort als Treffpunkt für queere Jugendliche gibt es tatsächlich schon einige Jahre. Seit diesem Monat werden wir aber endlich als Jugendzentrum durch den Berliner Senat finanziell gefördert und können entsprechend mehr Angebote machen. Eine Jugendfreizeit zum Beispiel, bei der wir gemeinsam wegfahren und woanders übernachten. Aber das Herz unserer Arbeit sind die Gruppen, in denen sich jede Woche zu einer festen Zeit zehn bis 20 Jugendliche treffen. Sie werden selbst von jugendlichen Ehrenamtlichen geleitet. Ich zum Beispiel leite die “Transformerz”. Die Gruppe ist offen für alle, die sich als trans, queer oder nicht binär definieren. Das Tolle ist: Wir können komplett selbst entscheiden, was wir machen. Es gibt keine Lehrer oder andere Aufsichtspersonen, sondern wir sind unter uns. Das ist ganz wichtig, um sich wohl zu fühlen.

Was macht ihr bei diesen Gruppentreffen?

Einmal im Monat kochen wir zusammen, ansonsten spielen wir Spiele und reden viel über Themen, die Jugendliche viel beschäftigen: Schule, Eltern, Freunde, Liebe und Liebeskummer. Vor allem Schule ist ein wichtiges Thema, denn für queere Menschen ist sie oft eine Qual. In den Gruppen können wir uns darüber austauschen: fehlende Unisex-Toiletten, Lehrer, die sich der jeweiligen Identität gegenüber unsensibel verhalten und die Person mit falschem Pronomen ansprechen, und Mitschüler*innen, die queere Personen beleidigen und diskriminieren. Auf Anfrage gibt es bei Lambda jetzt schon eine Gruppe für queere Jugendliche mit Lernbehinderung, die soll es bald regelmäßig geben.

Kochen, Spiele spielen, über die Schule quatschen – das klingt wirklich wie klassische Jugendarbeit.

Ja, aber das ist längst nicht so wichtig wie die oberste Regel: Hier können und dürfen alle sie selbst sein. Lambda ist für queere Jugendliche ein geschützter Raum, den sie sonst nirgends finden. Häufig bringen engagierte Eltern ihre Kinder hierher zu den Gruppentreffen. Dann wollen sie häufig auch gerne mit reinkommen, sind neugierig, sich unterhalten. Und wie Eltern dann eben sind, wird es manchmal auch peinlich: Sie benutzen zum Beispiel vor allen anderen konsequent das falsche Pronomen und man merkt, das Kind fühlt sich total unwohl. Es kommt glücklicherweise nicht oft vor, aber wenn, dann sagen wir auch Stopp.

Das heißt, Eltern müssen hier prinzipiell draußen bleiben?

Ja. Wir sagen dann freundlich, aber bestimmt: Sorry, aber die Gruppe ist nur für Jugendliche, bitte holen Sie Ihr Kind nachher wieder ab. Umgekehrt unterliegen die Gruppenleitungen einer Schweigepflicht, die gilt auch für Eltern. Das ist ganz wichtig. Überhaupt sind Eltern ein großes Thema für queere Jugendliche. Sie fragen oft: Was habe ich falsch gemacht? Es ist wichtig, dass ihnen dann jemand erklärt, dass überhaupt nichts falsch gelaufen ist, weil das Kind queer ist. Und umgekehrt ist es schon ganz viel wert, wenn das Kind merkt, dass sich die Eltern Mühe geben, zu verstehen. Deshalb wollen wir zukünftig auch Elterntrainings anbieten.

Es gibt unterschiedliche Gruppen bei Euch: Die Mittwochsguppe ist für lesbische, bi und trans Mädchen. Die Transformerz dagegen sind „für alle, die sich als trans, genderqueer, nicht-binär und_oder in Bezug auf ihr Geschlecht gar nicht definieren“, so steht es im Flyer. Widerspricht diese Kategorisierung nicht dem inklusiven Konzept, dass alle hier die sein können, die sie sein wollen?

Es klingt vielleicht paradox, aber: Auch, wer selbst massive Diskriminierung erlebt hat, kann selbst andere diskriminieren und das, was der Person widerfahren ist, an eine andere weitergeben. Es könnte also zum Beispiel passieren, dass eine Transperson sich gegenüber einer schwulen Person abwertend verhält. Einzelne Gruppen können einen extra Schutzraum bieten, in denen man sich austauschen kann, ohne einen solchen Konflikt zu befürchten. In den Gruppen kommt es trotzdem aus den verschiedensten Gründen durchaus schon mal zu Auseinandersetzungen, aber das lässt sich immer mit Gesprächen lösen.

Wie steuert ihr gegen?

Wir achten sehr streng darauf, dass Diskriminierungen welcher Art auch immer hier keinen Platz haben. Als Gruppenleitung muss man nicht nur eine entsprechende Jugendleiterausbildung gemacht haben, sondern es wird besonders auch auf Verantwortungsbewusstsein und Sensibilität Wert gelegt. Wir bilden uns im Team regelmäßig weiter, gerade ist antimuslimischer Rassismus in der queeren Community ein wichtiges Thema. Und man darf nie die Schweigepflicht vergessen: Wenn ich jemanden auf der Straße erkenne, dann grüße ich die Person besser nicht überschwänglich mit Namen – denn vielleicht ist sie gar nicht geoutet. Ein nettes Lächeln tut es dann auch. 

Mit dem Projekt queer@school geht ihr auch in Schulen. Was macht ihr in diesen Workshops?

Es ist genau wie das Zentrum ein Projekt von ehrenamtlichen queeren Jugendlichen für Jugendliche. Wir gehen in Schulklassen oder Landesschüler*innenausschüsse, je nachdem, wer uns anfragt, und organisieren Workshops für Schüler*innen. Am Anfang steht natürlich immer die Frage: Was bedeutet es eigentlich, queer zu sein? Die Schüler*innen haben die Möglichkeit, uns auch anonym Fragen zu stellen, die sie interessieren: Wie hast du selbst gemerkt, dass du queer bist? Wie war das mit deiner Namensänderung? Und hast du eigentlich eine Beziehung? Wir bieten aber auch Treffen für Beratung und Unterstützung an. Es geht bei solchen Workshops nicht nur um Sensibilisierung für Menschen, die nicht queer sind, sondern auch um Empowerment für Menschen, die queer sind.

Identifizieren sich denn häufig schon Schüler*innen offen als queer? 

Ja, hierher kommen immer mehr Jüngere, die 12, 13, 14 Jahre alt sind. Ich war in meiner Schulzeit selbst komplett ungeoutet. In einem Queer@School-Workshop, der von der Schüler*innenvertretung in Pankow organisiert worden war, ist mir dann klar geworden: Ich bin trans. Es hat dann noch 2 schwierige Jahre gedauert, bis ich mich tatsächlich geoutet und das offen gelebt habe, aber das war der Startschuss – und ich kam dann regelmäßig zu Lambda. Heute bin ich sehr glücklich darüber, sogar hier zu arbeiten. Nachdem ich Anfang des Jahres mein Jugendleitertraining absolviert habe, bin ich jetzt Gruppenleitung der Transformerz – und im Januar werde ich meinen ersten Queer@School-Workshop leiten.

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