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Wie gehe ich mit dem Tod geliebter Menschen um?

Illustration: Julia Schubert

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Als ich 24 Jahre alt war, starben innerhalb von zwei Wochen eine meiner besten Freundinnen und meine Großmutter. Das ist mittlerweile vier Jahre her und es beschäftigt mich immer noch. Bei beiden kam der Tod damals eigentlich nicht unerwartet, wegen schwerer Krankheit beziehungsweise hohem Alter. Und trotzdem kam er zu plötzlich und überraschend – und ich hatte keinen Plan, wie ich mit der Situation und meiner Trauer umgehen soll.

In der ersten Zeit konnte ich das ganz gut überspielen, schließlich gibt es Trauerrituale, an denen ich mich entlang hangeln konnte: das Weinen, schwarze Kleidung anzuziehen, Reden bei der Beerdigung zu hören, der gemeinsame Gang zum Grab, das Hinterherstreuen von Blumen. Ich warf außer den Blumen auch noch einen Brief an meine Freundin in ihr Grab – ein Impuls, der der Trauerbegleiterin Christina Richter wohl bekannt ist: „Am Schlimmsten ist ja die Ohnmacht. Wenn wir dann noch mal die Gelegenheit haben, dem oder der Verstorbenen unsere Wünsche mitzugeben oder noch etwas sagen zu können, dann ist das sehr hilfreich.“ Als psychologische Beraterin hat Richter schon zahlreiche Kinder, Jugendliche und Familien unterstützt.

Nicht nur bei der Beerdigung an sich, sondern auch danach bleibt das Grab wichtig. Warum dieser Ort eine so große Bedeutung für Trauernde hat, erzählt mir Kulturwissenschaftler Norbert Fischer, der an der Uni Hamburg zu Trauerkultur forscht: „Für Menschen ist es ein sehr wichtiges Bedürfnis, einen Ort der Erinnerung zu schaffen, der eine Verbindung zu der oder dem Verstorbenen herstellt. Hier können sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen.“ Das Grab eignet sich dafür besonders gut, weil es ein öffentlicher Ort ist, zu dem alle Menschen unabhängig vom Verwandtschaftsgrad jederzeit gehen können. Gerade in der ersten Zeit nach ihrem Tod, besuchte auch ich das Grab meiner Freundin so oft ich in der Nähe war, legte Blumen hin und redete mit ihr. Ich fühlte mich fast verpflichtet dazu, als ob ich ihr damit beweisen könnte, dass ich sie nicht vergessen werde. Kein anderes Grab hatte bisher so eine Bedeutung für mich. Vielleicht, weil dort eben kein Großelternteil nach einem langen Leben liegt, sondern zum ersten Mal ein Mensch in meinem Alter.

Das Bedürfnis, Abschied zu nehmen – doch wie?

 

Ich will Abschied nehmen, wir wollen Abschied nehmen. Bei einer langen Krankheit kann man  die oder den Sterbenden begleiten und sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass er oder sie irgendwann nicht mehr da sein wird. Bei plötzlichen Todesfällen fehlt uns diese Möglichkeit. Deshalb gibt es die offene Aufbahrung, bei der Hinterbliebene sich vom Leichnam verabschieden können. Fischer weiß, dass viele es erst dadurch begreifen können: „Den Körper auch als toten Körper zu betrachten, gibt einem so eine Gewissheit, dass der oder die Verstorbene jetzt wirklich tot ist.“

Um den Tod akzeptieren zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass wir die geliebten Menschen nie wieder sehen werden. Trotz Abschied bei Aufbahrung und Beerdigung fiel es mir schwer, das in meinen Kopf zu kriegen. Dass sie tot sind. Dass sie wirklich weg sind.

Zurück im Alltag hatte ich Angst davor, mich intensiv mit meiner Trauer zu beschäftigen, sowohl alleine als auch in Gesellschaft. Es fühlte sich an, als würde in mir ein riesiges, dunkles Monster wabern: Ich wusste nicht, was da hochkäme, wenn ich es zuließ, und das war beängstigend. Also drängte ich es zurück und machte weiter wie immer. Erst Monate später brach es plötzlich aus mir raus, als ich auf dem Weg zur Arbeit glaubte, meine Freundin aus dem Augenwinkel gesehen zu haben. Da wurde mir auf einmal klar, dass das unmöglich war, dass ich sie nie wiedersehen würde. Ich weinte mehrere Stunden. Richter hält das für völlig normal: „Auch Jahre später kann es zu Momenten kommen durch Erinnerung oder andere Trigger-Punkte, in denen wir auf einmal zutiefst traurig werden. Das ist in Ordnung.“

In der Berufswelt ist oft kein Platz für Trauer

In Ordnung, aber trotzdem unangenehm, ist es, wenn es auf der Arbeit zu solchen Momenten kommt. Wenn man plötzlich mit seinen Vorgesetzten über ein so persönliches und emotionales Thema reden muss. Sollte man daher Arbeitgeber*innen einfach direkt über Trauerfälle informieren, damit sie Rücksicht nehmen können? „Ich rate immer, das in der Personalabteilung anzusprechen,“ erklärt Richter. „Auch, weil die ein oder andere Krankmeldung kommen wird, weil man einfach nicht arbeitsfähig ist. Inwieweit man sich Kollegen mitteilt, das kann nur jeder für sich entscheiden.“

Denn jeder Mensch trauert anders. Auch wenn es Modelle von Trauerphasen gibt, heißt das nicht, dass jede*r sie in dieser Reihenfolge oder überhaupt durchläuft. In ihrer Trauerbegleitung versucht Richter, Menschen zu helfen, einen guten Umgang mit ihrer Trauer zu finden – egal in welcher Form. „Richtige Trauer in dem Sinne gibt es nicht, aber es gibt kein falsches Trauern. Ich ermutige Menschen immer, Trauer auf jeden Fall zuzulassen, auch die Tränen laufen zu lassen“, erzählt sie. „Aber es muss nicht immer die Träne sein, es gibt auch andere Wege.“ In ihren Trauergruppen versucht sie mit ihren Klient*innen, gerade mit den jüngeren, die Trauer kreativ auszudrücken. Dabei malen sie zum Beispiel Bilder von ihrer ganz persönlichen Vorstellung des Himmels oder gestalten „Schatzkisten“ für Erinnerungen.

Trauern wird häufig als Schwäche ausgelegt. Das führt laut Richter immer wieder dazu, dass sich Trauernde allein gelassen fühlen, weil sich niemand traut, das Thema anzusprechen – auch, weil sie nicht wissen, wie sie mit Trauernden umgehen sollen.

Bei Trauer unterstützen

Was kann man aber als Außenstehende*r tun, um Trauernden zu helfen? Zum Beispiel fragen, ob der- oder diejenige reden möchte, schlägt Richter vor. „In meiner Trauerbegleitung lenke ich einfach das Gespräch auf den Verstorbenen. Die Trauernden haben dann das Gefühl, dass da jemand ist, der sie versteht. Dass der oder die Verstorbene nicht vergessen wird. Aber manche wollen auch bewusst für sich trauern.“ Vor allem sollte man die Trauer des anderen akzeptieren, auch wenn ihre Form oder Dauer für uns vielleicht nicht nachvollziehbar ist. So kann es zum Beispiel sein, dass Menschen unterschiedlich viel Zeit brauchen, um den Tod zu akzeptieren. Und daher manche länger als wir selbst oder sogar ein Leben lang trauern, weil sie sich nur so noch mit der oder dem Verstorbenen verbunden fühlen.

Allerdings kann Trauer sich auch zu einem kritischen Zustand wandeln, „lebensbehindernde Trauer“ nennt Richter das: „Anzeichen dafür sind zum Beispiel, wenn ich mich immer mehr isoliere, keine Struktur mehr habe, zu Suchtmitteln greife und noch nicht mal mehr einen kleinen Moment an Freude in meinem Leben habe. Wenn sich alles nur noch um diesen Tod dreht, dann macht es absolut Sinn, sich Unterstützung zu suchen.“ Zum Beispiel im Austausch in einer Trauergruppe oder Trauercafés oder eben bei Trauerbegleiter*innen.

„Trauern ist erinnernde Liebe“

Für mich war es vor allem schwer über die Verstorbenen und meine Trauer zu reden – eine sehr ungewohnte Situation für einen sonst sehr offenen, gesprächigen Menschen wie mich. Das galt sowohl für Menschen, die ich quasi notgedrungen informieren musste, aber eigentlich nicht weiter darüber reden wollte, als auch für die, mit denen ich mich wirklich über die Verstorbenen und meine Trauer austauschen wollte. Aber es wurde mit der Zeit und jedem Gespräch ein bisschen besser.

Mittlerweile fühle mich nicht mehr so überwältigt davon, doch die Trauer kommt immer noch manchmal hoch – nach einem Traum oder einem bestimmten Lied im Radio. Aber mich tröstet ein Satz, den Richter zu mir gesagt hat: „Trauer ist erinnernde Liebe und sie sucht sich immer ihre eigenen Bahnen“, erklärt Richter. Wenn die Trauer jetzt kommt, denke ich an diese Worte und genieße die Erinnerung an diese wunderbaren Menschen.

Bist du selbst von Trauer betroffen? Hier findest du Hilfsangebote: Bundesverband Trauerbegleitung e.V., Trauergruppe oder Trauercafé und Trauerhilfe

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