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Wir brauchen kostenlose Tampons und Binden auf öffentlichen Toiletten!

Foto: suze / photocase.de; Bearbeitung: jetzt

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Was man mit 730 Euro alles anfangen könnte? Eine schöne Reise machen zum Beispiel, einen Monat ein WG-Zimmer in München bezahlen. Im Schnitt braucht eine Frau dieses Geld aber in ihrem Leben für ihre Periode, genauer: für Hygieneartikel wie Tampons.

465 Perioden in einem Frauenleben, das ist unangenehm und teuer

Wenn man von 20 Tampons im Durchschnitt für eine Periode ausgeht – worauf sich der weibliche Teil der Redaktion einigen konnte – kommt man auf 240 Tampons im Jahr. Im Mittel sind Frauen, wenn ihre Menopause einsetzt, 51 Jahre alt, 13 Jahre alt sind sie, wenn sie ihre Periode das erste Mal bekommen. Das macht 38 Jahre Menstruation. Das macht 465 Perioden in einem Frauenleben. Ganz schön viel Blut. Und noch mehr Geld, das wir dafür hinblättern, weil wir keine andere Wahl haben. Dabei bezieht sich diese Rechnung ausschließlich auf Kosten für Tampons – Schmerztabletten, Damenbinden, neue Unterwäsche und Verhütungsmittel sind da noch nicht eingerechnet. Und sogar, wer brav die No-Name-Hygieneprodukte kauft, die nur die Hälfte kosten, landet nach unserer Rechnung immer noch bei 365 Euro.

In einem Bezirk in Schottland sind auf öffentlichen Toiletten Binden und Tampons in Zukunft umsonst verfügbar, für Schulen und Universitäten ist das bereits für das ganze Land geplant. Es folgte eine weltweite Berichterstattung und ein immenses Echo im Netz:  

In Deutschland gibt es keine nennenswerten Pläne oder Initiativen der Regierung – zumindest noch nicht. Das könnte daran liegen, dass Hygieneartikel in Großbritannien nochmal eine ganze Ecke teurer sind als in Deutschland. Dort gibt es sogar ein Wort, dass das Phänomen bezeichnet, wenn Frauen sich die betreffenden Hygiene-Artikel nicht leisten können: „Period Poverty“ – „Periodenarmut“. In Deutschland gibt es keine verlässlichen Zahlen zu Periodenarmut, was nichts heißen will – denn nur, weil es keine Zahlen dazu gibt, bedeutet das noch nicht, dass sie nicht existiert. In Deutschland sind Frauen besonders von Armut betroffen – kostenlose Hygieneartikel, und sei es zunächst nur auf öffentlichen Toiletten, wären für sie eine riesige Erleichterung.

Wenn es Toilettenpapier umsonst auf öffentlichen Toiletten, in Schulen, Universitäten, Bibliotheken, öffentlichen Betrieben gibt, warum gibt es dann keine Hygieneprodukte für die, die sie benötigen – was immerhin auf die Hälfte der Bevölkerung zutrifft?

Für die Bunderegierung ist das kein Thema

Wir stellen diese Frage an das Bundesfinanzministerium (wegen der Besteuerung von Tampons), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (wegen der Fälle von Bedürftigkeit), das europäische Verbraucherzentrum Deutschland (wegen Zahlen zu Periodenarmut) und den deutschen Städtetag (wegen etwaigen Überlegungen zu Hygieneartikeln in öffentlichen Toiletten). Die Antworten fallen sehr leise aus und lauten fast einstimmig: Überlegungen zu kostenlosen Hygieneartikeln gebe es mal am Rande, die würden aber immer schnell wieder verworfen. Das Bundesministerium für Familie, Jugend und Senioren meldet sich auf mehrere Anfragen hin gar nicht.

Vielleicht liegt es daran, dass es in Deutschland einfach kein öffentliches Bewusstsein für Menstruation und die damit entstehenden Kosten gibt, weil sie nach wie vor totgeschwiegen wird. Dabei betrifft die Debatte um frei verfügbare Hygieneartikel auf öffentlichen Toiletten nicht nur Frauen, die sich Hygieneartikel nicht leisten könnten. Auch allen anderen wäre durch kostenlose Tampons und Damenbinden geholfen – denn allen bliebe die eine oder andere verlegene Situation erspart. Dabei muss der öffentliche Diskurs um weibliche Menstruation ja nicht einmal so weit gehen wie in Pamphleten über „Befreiungsschläge“ oder „Menstruationsrevolution“. Es würde ja schon reichen, wenn Frauen auf dem Weg zur Arbeit nicht mehr ins Schwitzen kommen müssten, weil sie ihre Tampons vergessen haben – weil es sie in der Bürotoilette oder in der Uni, in der Bibliothek, in der Schule oder im Betrieb sowieso gäbe.

Aus Höflichkeit oder Scham wird in Deutschland immer noch viel zu viel geschwiegen

Sowohl bei Männern als auch bei Frauen herrscht nach wie vor die Einstellung: Ich weiß Bescheid, aber reden will ich trotzdem nicht laut darüber. Diese Haltung ist in gewisser Hinsicht gesund und sogar menschlich. Es ist eine Errungenschaft der Zivilisation, dass wir nicht permanent darüber sprechen müssen, was gerade auf der Toilette passiert ist. Aber die Höflichkeit greift, was die Periode betrifft, viel zu weit: Schulmädchen schämen sich, wenn sie ihre Periode bekommen, weil sie damit sozialisiert werden, dass sie etwas Ekelhaftes sei. Erwachsene Frauen fangen an zu flüstern, wenn sie die Kollegin um einen Tampon bitten, damit sich ja niemand unangenehm berührt fühlt. Vier von fünf Frauen in Deutschland sprechen mit ihrem Partner nicht offen über ihre Menstruation.

Initiativen wie die der schottischen Regierung, Tampons und Binden in öffentlichen Toiletten umsonst anzubieten, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Sie erkennen eine weibliche Alltäglichkeit an, die jahrhundertelang unter Schweigen, Flüstern und Erröten begraben war. Und vor allem können sie einem Bevölkerungsteil, für den noch nicht einmal zahlenmäßige Erhebungen angestrengt werden –  nämlich den, der sich Hygieneartikel während der Periode nicht leisten kann – das Leben wesentlich erleichtern. Denn es handelt sich hierbei nicht um Kosten, die halbjährlich oder im zehn-Jahres-Rhythmus anfallen. Sondern alle 28 Tage.

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