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Wieso kennen wir keine Hausmittel mehr?

Illustration: Federico Delfrati

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Professor Gustav Dobos ist Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Kliniken Essen-Mitte, Internist und Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Naturheilkunde. Er kombiniert Schulmedizin mit traditionellen chinesischen Heilverfahren, Kneipp- und Kräutertherapie und modernen Entspannungstechniken. Dabei ist Naturheilkunde nicht gleichzusetzen mit Homöopathie. Seine Bücher heißen „Das gestresste Herz” oder „Die Kräfte der Selbstheilung aktivieren”. Wir haben ihn zu wirksamen Hausmitteln und andere Hilfestellungen zur Selbsthilfe befragt.

hausmittel dobos

Foto: Prof. Dr. med. Gustav Dobos

jetzt: Herr Dobos, ich habe festgestellt, dass ich kaum noch Hausmittel kenne. Neulich hatte ich Ohrenschmerzen und musste feststellen: Da gibt’s ohne Rezept gar nicht viel gegen. Dann riet mir eine ältere Dame zu warmen Knoblauch- oder Zwiebelsäckchen.

Gustav Dobos: Es hängt natürlich von der Ursache ab, aber wenn es lediglich ein Reizzustand ist, können bei Ohrenschmerzen auch Senfauflagen helfen. Senfmehl mit etwas Wasser zu einem Brei verarbeiten, auf ein Stück Mullverband aufragen und auf das schmerzende Ohr legen.   

Kannte ich auch nicht. Teilen Sie denn die Beobachtung, dass junge Menschen nicht mehr viele Hausmittel kennen?

Bei uns in Essen an der Fakultät für Medizin ist die Naturheilkunde ein Pflichtfach. Wenn ich die jungen Studenten frage, wer Erfahrung mit Hausmitteln hat und regelmäßig welche anwendet, erschrecke ich regelmäßig, wie wenige sich melden. Oft sind es nur etwa zehn Prozent.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Als ich begann, mich mit der Naturheilkunde zu befassen, habe ich meine Mutter gefragt, welche Hausmittel sie noch kennt. Sie konnte mir aus dem Kopf fünf Seiten aufschreiben. Meine Mutter stammt aus der Generation Ihrer Großmutter. Die Mütter der nachfolgenden Generation waren bereits berufstätig und hatten oft keine Zeit mehr, Wadenwickel zu machen, Tees zu kochen und abzuwarten, bis Besserung einsetzt. Es muss halt heute alles schneller gehen.

Mir sind ja oft schon die zwanzig Minuten zu lang, die die Kopfschmerztablette braucht, um zu wirken. Aber das Schöne ist, dass sie es meist zuverlässig tut. Andere Methoden hingegen, wie zum Beispiel Espresso mit Zitrone, frische Luft, viel trinken, nicht immer.
 Das Bedürfnis nach Evidenz spielt in Ihrer Generation eine große Rolle. Das beobachte ich auch bei meinen Studenten. Leider gibt es für Hausmittel oft keine Evidenz, weil niemand ein Interesse daran hat, Geld für Studien auszugeben. So etwas machen ja meist Pharmafirmen, die anschließend ein entsprechendes Medikament auf den Markt bringen wollen. Mit warmen Zwiebelsäckchen hält sich da keiner auf.

Gibt es etwas, das selbst Ihre kritischsten Studenten sofort überzeugt?

Sie sind oft sehr beeindruckt, wenn sie sich das erste Mal mit Blutegeln auseinandersetzen. Diese Wesen halten in ihrem Speichel eine ganze Apotheke von schmerzlindernden Substanzen vor. Blutegel sind erwiesenermaßen ein wirksames Medikament gegen Knieschmerzen. Sehr überzeugend wirkt außerdem die Meditation auf die Studenten. Und Aufenthalte in der Lehrküche, bei der gemeinsamen Müsli-Herstellung.

Man wirft die Naturheilkunde ja gern mit Esoterik in einen Topf. Dabei sind Pflanzenextrakte im Gegensatz zu homöopathischen Kügelchen oft hochwirksam. 2015 bekam eine chinesische Pharmakologin den Medizin-Nobelpreis, weil sie aufgrund einer Recherche in einem uralten Pflanzenheilkunde-Buch aus dem einjährigen Beifuß eine Substanz gegen therapieresistenten Malaria-Erreger entwickeln konnte.

Es gibt mittlerweile einige große Pharmafirmen, die die chinesische Kräuterheilkunde systematisch analysieren in der Hoffnung, Hinweise auf wirksame Stoffe zu finden. Viele Medikamente basieren auf Pflanzenwirkstoffen. Aspirin ist ja auch nichts anderes als in seiner Wirkung optimierter Weidenrindenextrakt.

Was mir bei einem Magen-Darm-Infekt mal empfohlen wurde und mich begeistert hat, ist die Morosche Karottensuppe: Karotten werden so lange in gesalzenem Wasser gekocht, bis sie fast zerfallen, dann püriert. Man vermutet, dass durch die lange Kochzeit Stoffe entstehen, die die schädlichen Darmkeime blockieren und verhindern, dass sie sich an der Darmwand festsetzen. Der Entdecker dieser Suppe, der Kinderarzt Ernst Moro rettete mit dieser Suppe Anfang den 20. Jahrhunderts viele Leben. Heute ist sie in Vergessenheit geraten.

Ja, dieser Wirkmechanismus ist sehr spannend. Es ist übrigens ein ähnlicher, der der Behandlung chronischer Harnwegsinfekte mit Cranberryextrakten zugrunde liegen soll: Die darin enthaltenden Substanzen heften sich an die E.coli-Bakterien, so dass sie sich nicht mehr an die Blasenwand heften können und befördern sie dann durch den Urin nach draußen.

„Tigerbalsam ist bei verschiedenen Leiden gut einsetzbar“

Auf welche Hausmittel schwören Sie privat?

Als unsere Kinder noch klein waren, wurde ihnen auf langen Autofahrten häufig übel. Ich habe dann einen Akupunktur-Punkt auf die Innenseite ihrer Handgelenke gedrückt, der nennt sich Pericard 6. Die Übelkeit verschwand zuverlässig. Man setzt diese Methode auch erfolgreich in Kliniken ein, zum Beispiel während einer Chemotherapie. Gegen Rückenschmerzen mache ich seit Jahrzehnten Yoga. Bei schlimmen Rückenschmerzen hilft außerdem eine Nadelmatte, so groß wie ein DIN-A4-Blatt, auf der befinden sich etwa 1000 kleine Plastiknädelchen. Auch haben wir Studien gemacht, die besagen, dass diese Art der Faszienstimulation bei Rückenschmerzen genauso gut wirkt, wie Schmerzmittel.

Ich hätte Akupunktur jetzt eher in die Placebo-Effekt-Schublade gesteckt – wenn überhaupt.

Energiebahnen, sogenannte Meridiane nach traditionellen Vorstellungen, gibt es natürlich nicht. Wohl aber scheint es Studien zufolge reaktive Areale zu geben, deren Bearbeitung neurophysiologische Prozesse auslöst. Neueste Meta-Analysen bestätigen die Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen. Ein Placebo-Effekt spielt dabei zusätzlich eine Rolle. Der wird zwar gerne belächelt, ist aber sehr mächtig. Besonders stark ist der Placebo-Effekt übrigens bei operativen Prozeduren, wie beispielsweise bei einer Arthroskopie bei der Kniegelenksarthrose. Hier konnte gezeigt werden, dass die Wirksamkeit einer Arthroskopie in vielen Fällen lediglich auf den Placebo-Effekt beruht.

Der Glaube an eine Therapie ist also ganz entscheidend im Heilungsprozess?

Was man in Studien zum Placebo-Effekt festgestellt hat, ist die Wirkung von Zwischenmenschlichkeit: Bei Schmerzpatienten, denen eine herzliche Krankenschwester eine Schmerzspritze verabreicht, war die Wirkung doppelt so groß im Vergleich zu den Patienten, die das Schmerzmittel über einen Perfusor automatisch ohne genaue Kenntnis des Zeitpunktes verabreicht bekamen.

Gehen wir ein paar typische Alltagsleiden durch: Was empfehlen Sie gegen Erkältungen?

Naja, es kennt ja jeder den Satz: Eine Erkältung dauert mit Medikamenten sieben Tage und ohne eine Woche. Es gibt wenig, das sich an der Dauer des Leidens ändern lässt. Ein riesiges Problem ist, dass viele keine Zeit haben, sich in Ruhe auszukurieren …

 …und ins Büro gehen, obwohl sie sich ins Bett legen sollten.

Richtig. Nicht zu unterschätzen ist auch der Aspekt der Fürsorge bei einer Krankheit. Früher, als man noch in größeren Gemeinschaften lebte, war zuhause immer jemand da, der einen versorgte. Das ist heute aus vielen Gründen nicht mehr möglich.

„Honig ist sehr wirksam bei Husten, auch da gibt es Studien und Meta-Analyse“

Viele gehen dann zum Arzt und bitten um ein Antibiotikum, obwohl das auf die Viren einer Erkältung oder Grippe sowieso keine Wirkung hat. Was empfehlen Sie stattdessen?

Sehr entlastend wirken bei einer Erkältung zum Beispiel Nasenduschen mit einer 0.9 prozentigen Kochsalzlösung. Die kriegt man päckchenweise in der Apotheke, genauso wie einen entsprechende Apparatur, mit der man die durchführen kann. Meta-Analysen haben gezeigt, dass Nasenspülungen auch hervorragend bei chronischer Sinusitis wirken. Außerdem: bei verstopfter Nase Inhalationen.

Was soll man inhalieren?

Zum Beispiel mit Pinimenthol oder Tigerbalsam. Tigerbalsam ist bei verschiedenen Leiden gut einsetzbar und wirkt auch gegen Muskelverspannungen oder den Juckreiz nach Mückenstichen oder bei Kopfschmerzen an die Schläfen.

Was empfehlen Sie bei Husten?

Warmen Fencheltee mit Honig. Honig ist sehr wirksam bei Husten, auch da gibt es Studien und Meta-Analysen. Allerdings sollten Kleinkinder älter als ein Jahr alt sein, wegen der potentiellen, aber sehr seltenen Gefahr eines  Säuglingsbotulismus, ausgelöst durch das Bakterium Clostridium botulinum. Efeu- und Thymianpräparate sind ebenfalls nachweislich wirksam, weil schleimlösend. Gibt es als Tabletten in der Apotheke. Oder man kocht sich Thymiantee. Generell helfen natürlich Erkältungstees, mindestens zwei Liter am Tag. Heiße Zitrone ist auch gut. Außerdem die Brust einreiben mit Eukalyptusöl, das öffnet die verstopfte Nase gleich mit. Eine nachweislich sehr große Rolle bei allen Erkältungskrankheiten spielt aber Stress.

Inwiefern?

Man hat im Rahmen einer Studie eine große Gruppe von Probanden nach ihrem aktuellen Stresslevel gefragt und ihnen dann Erkältungsviren in die Nase getropft. Bei den stark gestressten ist die Erkältung doppelt so häufig ausgebrochen wie bei den weniger stark gestressten. Deshalb ist es so wichtig, dass man gut auf sich achtet. Ausreichend schläft. Und sich in stressigen Phasen durch meditative Tätigkeiten wie Yoga oder Meditation runterzubringen. Das aktiviert die Selbstheilungskräfte.

Apropos Selbstheilungskräfte. Früher hieß es immer ganz platt: viel Vitamin C.

Das ist richtig, vor allem für die Prophylaxe. Auch Zink ist nachweislich immunstimulierend. Ein chinesisches Hausmittel gegen das Erschöpfungssyndrom ist die lang gekochte Hühnersuppe, bei der angeblich viel Zink freigesetzt wird.  Man geht heute aber auch davon aus, dass unsere Darmgesundheit eine maßgebliche Rolle in Sachen Immunsystem spielt. Das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die in unserem Darm, auf der Haut und unseren Schleimhäuten leben, könnte neuesten Forschungen zufolge sogar ein eigenes Organ sein. In einer Reihe von Untersuchungen hat man festgestellt, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms eine deutliche Wirkung auf die Stimmung eines Menschen hat.

Was kann man dem Darm also Gutes tun?

Was man weiß, ist, dass eine vegetarische und ballaststoffreiche Ernährung besser für das Mikrobiom ist, als eine fleischlastige. Ich empfehle zum Beispiel 3 Esslöffel geschrotete Leinsamen täglich, z.B. im Müsli, die enthalten viele Omega-3-Fettsäuren und deinen hohen Anteil an Ballaststoffen. Früher hat man die dem fettem Seefisch zugeschrieben. Heute sind die Meere teilweise so kontaminiert, dass man den Verzehr entsprechender Mengen Fisch nicht immer bedenkenlos empfehlen kann.

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