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Ist CBD wirklich das Allheilmittel?

Kann CBD alles besser machen? Unsere Autorin hat es ausprobiert.
Bildrechte: rtr

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Man liest ja berauschende Dinge über diesen Wirkstoff namens CBD, der dafür berühmt ist, genau eines eben nicht zu sein: berauschend. Die Wirkstoffe THC und CBD sind als chemische Geschwister beide in der Hanfpflanze enthalten. CBD macht im Gegensatz zu THC nicht high und nicht stoned. Dafür, angeblich, tiefenentspannt und schmerzbefreit. Die wissenschaftlich noch längst nicht bestätigte, aber von selbsternannten CBD-Gurus vielbeschworene Wirkung liest sich wie ein Universalheilmittel gegen die Übel des 21. Jahrhunderts: CBD soll Ängste, Depressionen, Krämpfe, Entzündungen, Zerstreutheit lindern. Die Einnahme vermittele ein Körpergefühl wie das nach intensivem Yoga oder intensiver Meditation. Anhänger jubeln: Man werde durch CBD offener und kreativer. Mediziner vermuten auch positive Wirkungen auf Krebserkrankungen und Epilepsie – die Betonung liegt dabei auf „vermuten“.

In Deutschland ist CBD mittlerweile als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen und wird in zahlreichen Hippie-, Eso-, Hanf-Shops, einigen Bioläden und in den Apotheken verkauft. In Amerika bezeichnet man den CBD-Trend längst als „the new avocado on toast“. Zahlreiche von Nervolabilität und allgemeiner Überforderung geplagte Prominente und Privatmenschen behaupten, nie mehr drauf verzichten zu wollen. Abertausende Firmen wittern darin nicht zu Unrecht große Gewinne. Und so mischt man CBD derzeit munter in Cremes, Make-up, Marmeladen, Getränke und Eis. Man mariniert Fisch und Fleisch darin und erzählt sich nicht nur hoffnungsfroh von der angeblichen Wunderwirkung, sondern verbreitet auch das Gerücht, selbst Coca-Cola wolle demnächst eine CBD-Limonade auf den Markt bringen.

Und die WHO bescheinigt dem Wirkstoff in einem Paper ja auch keinerlei bedenkliche Nebenwirkungen. CBD mache weder abhängig, noch krank. Allerdings ist bisher auch keine eindeutige Wirkung bestätigt.

Ich mache also einen Selbstversuch. Damit bin ich nicht die erste, aber das macht mich nur noch neugieriger. Denn was ich in anderen öffentlich dokumentierten Tests lese, lässt mich staunen. Ein Schweizer Journalist schreibt, er sei nach der CBD-Einnahme (er hat es geraucht) „eigentümlich vergnügt“. Er schweife gedanklich in Sphären ab, die er „sonst selten besuche“, könne sich aber problemlos fokussieren. Er erledige seine Aufgaben ungewohnt sorgsam und mit großem Vergnügen: „Auch die, die ich sonst gar nicht mag.“ Er empfinde nach der Einnahme eine „leicht frivole Zufriedenheit, die auch nach Stunden nicht weichen will“. Vor einem Geburtstagsbrunch, auf dem er wenige Leute kennt, nimmt er einige Tropfen CBD-Öl, um seine sozialen Ängste und Hemmungen zu lösen. Und? Die Rede ist von rätselhafter Unbekümmertheit und absoluter Tiefenentspannung.

Wie ein großes Glas Rotwein, nur ohne das Betrunkensein

Eine deutsche Schriftstellerin nimmt CBD-Öl zu ihren ADHS-Medikamenten und Psychopharmaka ein. Von der Wirkung erzählt sie in ihrer Instagram-Story: „Was ich auf jeden Fall schon mal sagen kann, ist, dass ich heute den ganzen Tag viel entspannter und gelassener war, die Nebenwirkungen der ADHS-Medikamente abgeschwächt waren. Ich hatte nicht so Herzrasen und war nicht so verspannt und ich hatte weniger Hunger.“ Geschlafen habe sie nicht besser. Sie sei aber allgemein viel entspannter gewesen, hätte weniger Ängste gehabt, sei weniger nervös gewesen. Außerdem habe das CBD-Öl ihre Kopfschmerzen gelöst. Ihr ganz persönliches Fazit, das sie nicht als Ratschlag für andere missverstanden wissen möchte: Ein positiver Effekt auf Schmerzen, Anspannung und Stress, kein Effekt auf Einschlafprobleme und kein Effekt auf depressive Symptome.

Ein Journalist von der ZEIT schreibt: „Ich würde die Wirkung so beschreiben: das Dämpfende eines großen Glas Rotweins, nur ohne das Betrunkensein, hohe psychische und physische Entspanntheit. Kurz: Die meisten Dinge sind einem plötzlich wurscht.“ Er habe das Öl vor einer Rede genommen, die er habe halten müssen, und „die Nervosität, das Angstgefühl, dieses schwarze Loch, das direkt unter dem Zwerchfell sitzt, das war so ziemlich weg. Und: „Der Effekt war so positiv, dass ich erwogen habe, das Öl jeden Tag zu nehmen.“

Ich will jetzt auch! Ich bin die ideale Testperson: chronisch nervös, bei mir sind Verspannungen keine Seltenheit, Ängste vielfältig und depressive Verstimmungen nicht unbekannt.

Ironischerweise wache ich am dritten Morgen sogar mit einem steifen Nacken auf

Weil ich keine Lust habe, mir eine mögliche Wirkung durch ein CBD-Öl unkontrollierter Herkunft zu versagen und ein Schwindel-Öl angedreht zu bekommen, bestelle ich direkt in der Apotheke. Adrexol, 10 Prozent, 62,12 Euro. Dosierung: drei mal drei Tropfen täglich.

Mein Versuch geht eine ganze Woche lang. Es ist eine ganz normale Arbeitswoche. Nach drei Tagen pflichtbewusster Einnahme spüre ich noch immer gar nichts. Außer Ekel, weil die Tropfen ziemlich bitter sind und riechen wie ranzige Katzenpisse. Ich tropfe sie mir in den Mund, unter die Zunge. Zwei oder drei Mal meine ich ganz kurz nach der Einnahme ein Minimal-Gefühl von Rausch zu verspüren, wie nach einem Schluck Wein, aber es ist dann sofort wieder weg. Mal nehme ich die Tropfen auf nüchternen Magen, mal nach einer Mahlzeit. Macht keinen Unterschied. Entspannter oder ruhiger fühle ich mich leider kein bisschen, konzentrierter auch nicht. Ironischerweise wache ich am dritten Morgen sogar mit einem steifen Nacken auf, weil ich mich nachts verlegen haben muss. Die Schmerzen bleiben drei Tage, das Öl lindert da gar nichts. Nicht einmal, als ich vor lauter Gier auf die vielbeschworene Super-Wirkung die doppelte Menge einnehme.

Ende der Woche habe ich abends eine Lesung und bin vorher trotz CBD-Öl so fürchterlich aufgeregt wie immer. Außerdem habe ich in dieser Woche auffällig oft starke Kopfschmerzen, was ungewöhnlich für mich ist, aber vermutlich reiner Zufall. Ich nehme Schmerztabletten, weil nichts anderes hilft. Und beginne, mich vor der Einnahme des Öls zu scheuen, weil ich das Gefühl nicht loswerde, die Kopfschmerzen kämen vielleicht daher. Einzige deutliche Auffälligkeit: Ich meine, an einigen Tagen weniger Appetit zu haben. Was ich unangenehm finde, da ich gern esse und mich noch viel lieber aufs Essen freue. Essen tu ich dann trotzdem eifrig. Also vielleicht auch das nur Einbildung.

Ich frage mich irgendwann wütend, ob das Zeug vielleicht einfach wirkt wie Rescue-Tropfen oder Homöopathie, also ausschließlich durch Zufall oder Wunschdenken. Und entsprechend oft einfach gar nicht. Ich recherchiere, was ausgebildete Mediziner dazu zu sagen haben. Und ich telefoniere mit einer Ärztin, die sich vor allem als Aktivistin gegen Pseudomedizin einen Namen gemacht hat und von der ich mir eine kritische Meinung zum Thema verspreche: Natalie Grams.

Sie erklärt mir allerdings gleich zu Beginn, dass man CBD-Öl natürlich schon allein deshalb nicht mit Homöopathie, Bachblüten und ähnlichen nachweislich wirkstoffbefreiten Substanzen in einen Topf werfen könne, weil in CBD-Öl ja tatsächlich ein Wirkstoff enthalten sei, nämlich das namensgebende Cannabidiol. Und so lange einem die Hersteller der CBD-Substanzen auf den dazugehörigen Verpackungen selbst keine eindeutige medizinische Wirksamkeit vorgaukelten, sei daran erst einmal nichts verwerflich.  

„Diese Expertise kann nämlich einfach noch niemand haben, da Cannabis und seine Bestandteile bislang zu wenig untersucht wurden und es daher kaum Studien dazu gibt. Seit zwei Jahren müssen verschreibende Ärzte eine Beobachtungsstudie unterstützen, aber Ergebnisse gibt es noch keine – und wenn, dann eher bei Schmerzen und Krebs als bei Ängsten und Depressionen.“ Grams Wissensstand sei folgender: „Die klinischen Erfahrungen sagen, dass es für CBD in der Schmerztherapie nur eine sehr begrenzte Wirkung gibt. Jegliche anscheinende Verbesserung gewisser Symptome ist am ehesten über eine Sedierung beobachtet worden.“ Heißt im besten Fall: Wen es müde macht, der fühlt sich vielleicht besser, weil er eben müde wird und in der Konsequenz entspannter. Und freilich kann auch der Placeboeffekt für die vermeintliche Verbesserung verantwortlich sein.  

Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplizierte Probleme ist groß

Solange Belege für eine eindeutige Wirksamkeit fehlen, sei es also so naiv wie überflüssig, sich für teures Geld CBD-Tropfen zu bestellen und sich davon einen großen Effekt zu versprechen, sagt Grams. Dass ich es trotzdem getan habe und keine Wirkung gespürt habe, dürfe mich nicht wundern. Betrogen worden bin ich schließlich nicht. Denn wer gut recherchiert, findet heraus, dass alle Lobpreisungen der CBD-Präparate derzeit noch jeder wissenschaftlichen Basis entbehren.

Der Mediziner Andreas Schulze-Bonhage von der Uniklinik Freiburg beschäftigt sich ebenfalls mit der Wirksamkeit von Cannabidiolen. Er sagt: „Im Epilepsiebereich legen hochrangig publizierte Studien nahe, dass CBD eine wirksame Substanz zur Behandlung von bestimmten Epilepsie-Formen im Kindesalter ist.“ Er selbst habe bei seiner Behandlung mit CBD und auch THC eigene Erfahrungen, die sich mit diesen Ergebnissen deckten. Für bestimmte Patienten seien Cannabinoide also sicher eine interessante Therapie. Zugleich betont er, nur für seinen Fachbereich, den der Epilepsie, sprechen zu können. Es gebe zwar Hinweise, dass CBD auch gegen Entzündungen und Schmerzen wirke, antibakteriell sei und bei Erbrechen und Angstzuständen helfe, sogar im Bereich von Krebserkrankungen Wirksamkeiten zeige. Eindeutig belegt sei aber keine dieser Annahmen.

Und nicht nur deshalb warnt Schulze-Bonhagen vor der Gefahr, sich hoffnungsvoll durch allzu schöne Versprechungen hinters Licht führen zu lassen. Zumal viele frei verkäufliche, nicht über die Apotheke bezogene Präparate nicht einmal Qualitätskontrollen durchliefen und laut US-Studien oft nur minimale, minderwertige oder keine Anteile der Wirkstoffe in sich hätten.

Was also lehrt uns nun der CBD-Trend über die Zeit, in der wir leben? Bis auf Weiteres wohl nur eines: Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplizierte Probleme ist groß. Sehr groß.

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