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Wilhelm hilft wegen Corona bei der Tafel aus
Wilhelm ist 27, studiert Jura und würde zu dieser Jahreszeit normalerweise in einer überfüllten Bibliothek sitzen und für Prüfungen lernen. Stattdessen verteilt er sechs Tage die Woche Lebensmittel an Bedürftige. Er ist einem Aufruf der Münchner Tafel gefolgt, die wegen Corona beinahe ihren Betrieb einstellen musste, weil die meisten ihrer Ehrenamtlichen zur Risikogruppe gehörten. Stattdessen suchten sie jetzt junge Leute, die kurzfristig einspringen konnten, um die wöchentlich mehr als 20 000 Münchner*innen zu versorgen, die auf die Tafel angewiesen sind. Wilhelm erzählt, wieso er dem Aufruf gefolgt ist und wie er die Arbeit bei der Tafel erlebt.
„In München gab es bisher 27 verschiedene Ausgabestellen der Tafel, die jetzt alle an einen Ort verlegt worden sind, wo genug Platz ist, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Wir sind bei unserer Ausgabestelle circa 40 Helfer – zurzeit eben vor allem junge Leute – und fangen jeden Tag so gegen elf Uhr an, Tische und Bänke aufzubauen. Dann kommen die Lieferungen und müssen sortiert und zu den jeweiligen Stationen gebracht werden: Obst, Gemüse, Kühlwaren, Brot, Blumen, Hygieneartikel und so weiter. Die Tafel rettet pro Woche circa 125 Tonnen Lebensmittel, die sonst weggeschmissen würden. Wenn dann alles aufgebaut ist, müssen die Schlangen geordnet werden. Wir haben mit Markierungen auf dem Boden ein System entwickelt, damit die Wartenden den Sicherheitsabstand einhalten können.
„Ich hatte schon länger das Gefühl, dass sich die junge und die ältere Generation immer weiter auseinander bewegen“
Um 13:30 Uhr startet dann die Ausgabe. Zu unserer Ausgabestelle kommen am Tag zwischen 120 und 300 Gäste. Wer keinen Mundschutz hat, bekommt einen von uns gestellt. Viele holen auch Lebensmittel für andere ab, die in ihrem Haushalt leben oder von denen sie bevollmächtigt sind. Die Gäste gehen dann von Station zu Station und bekommen von uns die jeweiligen Sachen übergeben, mit Mundschutz und Handschuhen. Insgesamt ist man dann am Tag sechs bis sieben Stunden beschäftigt. Ehrenamtlich natürlich.
Ich bin nicht der Typ dafür, tatenlos zu Hause rumzusitzen. Und für die Uni Lernen ist gerade eh schwierig, weil die Bibliotheken geschlossen haben. Ich glaube, ich hatte durch die Krise einfach das Bedürfnis, solidarisch zu sein, mich für andere einzusetzen. Und da ich zum Beispiel von medizinischer Versorgung keine Ahnung habe, habe ich eben was gemacht, bei dem ich auch ohne große Spezialkenntnisse nützlich sein kann.
Ein anderer Grund war, dass zur Tafel viele ältere Menschen kommen. Ich hatte schon länger das Gefühl, dass sich die junge und die ältere Generation immer weiter auseinander bewegen. Nicht zuletzt durch die Klimakrise kam bei manchen so ein bisschen die Einstellung auf: ,Es ist okay, die Solidarität mit der Generation unserer Großeltern aufzukündigen, weil die auf unsere Kosten gelebt haben.‘ Ich finde das aber falsch, weil nunmal jeder Mensch auch ein Produkt seiner Umstände ist. Der Klimawandel und die Zerstörung der Umwelt haben politische und globale Ursachen und man kann dafür nicht Individuen anfeinden. Deshalb wollte ich zeigen: Wir Jungen lassen euch Alten jetzt nicht im Stich.
Ich erlebe bei der Tafel viel Menschlichkeit: Jeden Tag gibt es Leute, die extra nochmal zu einem kommen, um sich zu bedanken. Es kommt auch immer wieder vor, dass Passanten sehen, was wir machen und sich kurz die Zeit nehmen für ein paar freundliche Worte oder uns spontan die Packung Einweghandschuhe spenden, die sie im Auto hatten. Ich würde die Arbeit zwar auch machen, wenn es diese Momente nicht gäbe, aber schön ist das natürlich trotzdem.
„Der Mensch braucht nicht nur Essen und ein Dach überm Kopf, sondern auch Gemeinschaft“
Eine andere Sache, die ich jetzt verstanden habe, ist, dass der deutsche Sozialstaat trotz seiner scheinbar umfangreichen Maßnahmen, sozial Schwächere aufzufangen, auf Hilfseinrichtungen wie die Tafel angewiesen ist. Die meisten, die zu uns kommen, würden ohne die Tafel nicht verhungern. Aber der Mensch braucht eben nicht nur Essen und ein Dach überm Kopf, sondern auch Gemeinschaft. Und durch unser Angebot hat man dann im Idealfall noch ein paar Euro im Monat übrig für soziale Teilhabe. Für Vereinsmitgliedschaften zum Beispiel, oder für einen Kaffee mit Bekannten.
Wenn mein Studium wieder anfängt, muss ich mich darauf konzentrieren und werde dann nicht mehr täglich aushelfen können. Außerdem warte ich darauf, einen Nebenjob anfangen zu können, der durch Corona ausgefallen ist, den ich aber brauche, um mich finanzieren zu können. Trotzdem werde ich weiter versuchen, einmal in der Woche bei der Tafel zu helfen, weil ich gemerkt habe, wie wichtig diese Arbeit ist.“