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Diese Serie bricht mit Klischees über Menschen mit Behinderung

Screenshot: YouTube/Netflix

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Ryan, 32, sitzt auf dem Fußboden seiner neuen Wohnung in Los Angeles und versucht, die zugeklebten Umzugskartons zu öffnen. Das ist aufgrund seiner Behinderung aber gar nicht so einfach. Es folgen ein besorgter Blick seiner Mutter und die Frage: „Willst du das wirklich durchziehen? Du bekommst so viele Dinge doch gar nicht alleine hin?“

Bis zu dieser Szene der neuen Netflix-Serie „Ein besonderes Leben“ (Originaltitel: „Special“) hat Ryan, der Protagonist, aber schon so einiges hinbekommen: Er ist daheim ausgezogen, hat ein Praktikum bei einem Online-Magazin ergattert und seine Jungfräulichkeit verloren. Wie es dazu kam?

Zu Beginn der Serie denken Ryans neue Kolleginnen und Kollegen, dass sein Hinken von einem Autounfall stammt. Ryan nutzt die Gelegenheit, um aus dem Stigma des Behinderten zu flüchten und klärt sie nicht auf. Er freundet sich mit der selbstbewussten Kim an, die ebenfalls nicht dem typischen Schönheitsideal entspricht. Dank Kim verlässt Ryan seine Komfortzone: Er geht auf Partys, datet, hat Sex. Von Folge zu Folge wird er selbstbewusster.

Man nimmt Ryans Probleme ernst, ohne ihn darauf zu reduzieren

„Special – Ein besonderes Leben“ basiert auf der Autobiografie „I’m Special: And Other Lies We Tell Ourselves“ von Ryan O’ Connell. Der US-amerikanische Schriftsteller hat Zerebralparese (zerebrale Kinderlähmung) und spielt sich in der Serie selbst. Was Zerebralparese ist, erklärt Ryan in der Anfangsszene dem Nachbarsjungen: „Es ist eine Schädigung des Gehirns, vor, während oder nach der Geburt, die sich meist durch eine gestörte Muskelkoordination äußert.“ Das hört sich ungefähr so an, wie ein auswendig gelernter Wikipedia-Eintrag, den er viel zu oft aufsagen muss. 

Aufgrund der Nerven- und Muskelstörungen hinkt Ryan und hat Koordinationsschwierigkeiten. Seine Behinderung ist in „Special“ omnipräsent und bringt ihn immer wieder in unangenehme Situationen: Er fällt vor seinem Schwarm auf den Boden, kann die Briefe seiner Chefin nicht öffnen und die verstopfte Toilette nicht alleine säubern. Dank der Selbstironie und des schwarzen Humors hat man als Zuschauer aber kein Mitleid. Man nimmt Ryans Probleme ernst, ohne ihn darauf zu reduzieren.

„Special“ will das Klischee brechen, das mit dem Titel der Serie angesprochen wird

Viele Szenen sind überspitzt, aber dann auch wieder sehr realitätsnah. Als Ryan zum Beispiel das erste Mal Sex hat, dauert die Szene recht lange. Beim ersten Mal läuft nur selten alles glatt und es ist auf keinen Fall so schön, wie es uns die meisten Serien vermitteln. In „Special“ ist das anders: Die Sexszene ist deshalb so witzig, weil sich viele – ob behindert oder nicht, ob homosexuell oder nicht – in der Unbeholfenheit Ryans wiedererkennen.   

In der zweistündigen Sitcom wird in den acht Folgen, die jeweils nur 15 Minuten dauern, nichts romantisiert, beim Thema Inklusion aber auch nicht auf die Tränendrüse gedrückt. Im Gegenteil: Ryan geht dem Zuschauer ab und zu ganz schön auf die Nerven. Beim Dating mit einem anderen Menschen mit Behinderung ist er arrogant und überheblich. Gegenüber seiner Mutter benimmt er sich so daneben, dass deren neuer Freund ihn sogar als „Arschloch-Kind“ bezeichnet. „Special“ will das Klischee brechen, das mit dem Titel der Serie angesprochen wird. Ryan soll nicht, wie es bei Menschen mit Behinderung oftmals der Fall ist, als „special“ oder „anders“ wahrgenommen werden. Und das gelingt in der Netflix-Produktion so gut wie in kaum einer anderen Serie. 

Anmerkung: Ryan leidet nicht an Kinderlähmung, die durch Polioviren verursacht wurde, sondern an der Infantilen Zerebralparese. Wir haben das im Text nun noch mal deutlich gemacht.

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