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Wie ein Youtube-Livestream Corona erklärt

Screenshot: youtube / Wir gegen Corona - Deine Fragen an Jens Spahn & Co! LIVE!

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Youtube wurde als Plattform von Politiker*innen lange belächelt. Wir erinnern uns, als LeFloid 2015 die Bundeskanzlerin interviewte und viele fragten: Kann ein Youtuber das? Und: Muss eine Politikerin das machen?

Fünf Jahre später ist es interessant, wie selbstverständlich die Antwort auf zumindest die zweite Frage geworden ist: Ja, Politiker*innen müssen das machen, wenn sie junge Menschen noch irgendwie erreichen wollen. Und wenn sie schlau sind, nehmen sie in Zeiten von Corona diese Formate besonders ernst.

Wie gut das funktionieren kann, zeigte der Livestream des Youtube-Wissenschaftskanals „Breaking Lab“ am Donnerstagabend, der bereits knapp 40 000 Mal angesehen wurde. Anlässlich der aktuellen Corona-Situation diskutierte dort Host Jacob Beautemps, 26 und studierter Physiker und Sozialwissenschaftler, unter dem Titel: „Wir gegen Corona – Deine Fragen an Jens Spahn & Co!“ mit seinen Gästen. Dreieinhalb Stunden dauerte das Format, in dem die Politiker Jens Spahn, Armin Laschet, Cem Özdemir, aber auch Mediziner*innen wie Prof. Marylyn Addo und Prof. Volker Hess und diverse Youtuber*innen sprachen. Letztere wurden vor allem dafür genutzt, Mythen zum Coronavirus vorzustellen, die im Anschluss entkräftet wurden. Wie bei Youtube-Formaten üblich, konnten die Zuschauer*innen vorab und während des Streams Fragen einreichen. Alle Gäste wurden aufgrund der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen von Zuhause via Videochat zugeschaltet.

Wir sind hier ja bei Youtube und nicht bei der Tagesschau

Das Charmante an dem Format ist, wie ernsthaft sich alle Beteiligten darauf einlassen – die Situation, dass man sich eben nicht live in einem Studio treffen kann, ist ja für jeden neu. Da wird beispielsweise Armin Laschet aus der Staatskanzlei zugeschaltet und die erste Frage an ihn ist: „Können Sie uns hören?“. Herr Laschet hört, leider hat er aber sein Mikro nicht eingeschaltet, also hört man ihn nicht. Im folgenden Gespräch hallt und poppt es immer mal wieder, ab und zu wird es auch mal unterbrochen, aber das stört nicht weiter, wir sind hier ja bei Youtube und nicht bei der Tagesschau.

Natürlich wird dabei auch Parteipolitik gemacht. Armin Laschet findet das Vorgehen im von ihm regierten Bundesland NRW schon ziemlich gut und auch Jens Spahn übt sich nicht gerade in Selbstkritik. Generell fehlt die Stimme von Nicht CDU-Politiker*innen, Cem Özdemir wird als „berühmtester Corona-Patient Deutschlands anmoderiert“, nicht als Stimme der Opposition. Aber das hier ist eben auch nicht Anne Will und der Moderator will ganz offensichtlich primär der jungen Zielgruppe etwas erklären, anstatt Politiker zu entlarven. Und wenn sogar Jens Spahn, der als Gesundheitsminister derzeit vermutlich eher überbeschäftigt ist, sich 25 Minuten lang in ein derart neues Format schalten lässt, dann ist das erstmal eine positive Sache – und zeigt auch, wie wichtig junge Menschen in dieser Krise sind. Interessanterweise sind es gerade die Youtuber*innen selbst, die irgendwie überrascht davon scheinen, wie ernst man sie nimmt. Oder, wie der zugeschaltete Youtuber Leeroy Matata es ausdrückt: „Mich hat am allermeisten überrascht, dass Jens Spahn sich die Zeit genommen hat.“

Auch bei der Produktionsfirma I&U, die sonst eher klassische Fernsehformate wie Stern TV produziert und bis 2019 Günther Jauch gehörte, hatte man mit den vielen Zusagen für das Format nicht gerechnet. Henrik Wittmann, Leiter Digitale Medien bei I&U, erzählt am Telefon: „Die Idee für das Format ist Anfang dieser Woche sehr spontan entstanden. Es gab dann eine erstaunlich positive Resonanz.“ Dass die Sendung dreieinhalb Stunden dauerte, sei natürlich „ambitioniert“ gewesen, das würde man bei eventuellen zukünftigen Formaten überdenken. Insgesamt sei man aber sehr zufrieden gewesen mit dem Resultat: „Jacob hat sowas ja vorher auch noch nie gemacht. Wir finden, er hat diese sehr komplexe Sendung über drei Stunden wirklich gut moderiert.“

Auch bei „Wir gegen Corona“ verliert man zeitweise den Überblick, wer hier jetzt eigentlich welche Frage stellt

Tatsächlich lehrt das neue Format auch viel über die Ablösung des Fernsehens durch Youtube – im Guten wie im Schlechten. So ist die Moderation bei Youtube keinesfalls einfacher, nur weil manches improvisierter wirkt. Der Moderator hat dort die anspruchsvolle Doppelrolle, neben der Moderation auch Fragen des Publikums live einbinden zu müssen. An diesem Punkt versteht man, warum viele Fernsehformate an dieser Stelle oft an irgendeine*n jüngere*n Kolleg*in abgeben, die dann Twitter oder Facebook vorlesen müssen – es ist schlicht und ergreifend zu viel, um es zeitgleich zu handhaben. Auch bei „Wir gegen Corona“ verliert man zeitweise den Überblick, wer hier jetzt eigentlich welche Frage stellt – und warum befragt eigentlich der zugeschaltete Ranga Yogeshwar Armin Laschet und nicht Jacob Beautemps? In den Kommentaren unter dem Format ist deshalb als einzige Kritik zu finden, dass die Fragen der User*innen zu kurz kamen – ein Punkt, den auch Henrik Wittmann nachvollziehen kann: „Beim nächsten Mal würden wir noch stärker auf Userfragen eingehen.“

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