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„Wie oft muss ich lächeln, um Glück zu erreichen?“

Illustration: Julia Schubert

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Unser Leben ist im Großen und Ganzen absolut okay, wir können wirklich nicht klagen. Aber wir alle wissen: Es könnte besser laufen. Wir könnten effektiver sein. Wir könnten weniger rumgammeln und netflixen, mehr unternehmen, Abenteuer erleben, glücklicher sein oder zumindest zufriedener. Scrollen wir durch die Timeline, begegnen wir ständig irgendwelchen Menschen, die ihr Leben scheinbar besser im Griff haben. Und viele von denen schwören auf lebensverbessernde Maßnahmen, die man sich mit einem Klick im Netz besorgen kann. Aber funktioniert das so? Das wollten wir in der jetzt-Redaktion auch wissen und haben alle eine Woche lang versucht, unser Leben zu verbessern – mit verschiedenen Glücksmaßnahmen, die derzeit so im Trend liegen. 

Quentin Lichtblau hypnotisiert sich selbst

Was machst du?

Ich rede mir selbst Glück, Zufriedenheit und Selbstbewusstsein ein. Und zwar über Autosuggestion, ein stures Wiederholen der immer gleichen Sprüche wie „Ich liebe mich!“, „Mir geht es von Tag zu Tag und in jeder Hinsicht immer besser und besser und besser!“ oder – mein Favorit: „Ich ziehe Geld an wie ein Magnet!“ (inklusive magnetischer Handbewegungen).

Was soll das bringen?

Laut dem Coaching-Übermensch Jürgen Höller (über den es eine ganz fantastische Dokumentation gibt) hilft das zunächst ziemlich dämlich anmutende Wiederholen von Glücks-Phrasen dazu, dass sich das „Unterbewusstsein“ tatsächlich in eine positive Richtung umprogrammiert. In seinen Worten: „Stell Dir einfach dein Unterbewusstsein als einen Garten vor: Du kannst dort Blumen säen oder Unkraut – beides wird wachsen!“ So schaut's aus. Ich bin sehr motiviert und säe fortan Blumen, ihr Fucker!

Was passiert in der Woche?

In meinem Fall handelt sich um Wochen: In der ersten bin ich wahnsinnig schlecht gelaunt, weil Januar und überhaupt. Sich da vor den Spiegel zu stellen und Glücksphrasen zu dreschen macht mich nur noch wütender. Nach einem Satz breche ich ab und beschließe, erst mal auf bessere Zeiten zu warten. In der Woche darauf kommt die Sonne raus und alles ist super. So super, dass ich überhaupt keine Notwendigkeit sehe, mir mein Glück noch zusätzlich einzureden. In der dritten Woche trudeln die ersten Erinnerungsmails ein, ich solle doch mal bitte meinen Selbstversuch zu Ende bringen. Ich hätte mich bei meiner Selbstoptimierung wohl eher auf meinen Hang zum Aufschieben stürzen sollen.

Ich versuche, mich nun täglich an das von Höller vorgelebte Prozedere zu halten. Er macht nach dem Aufstehen zunächst irgendwelche Fußübungen, dann trinkt er gefiltertes Superwasser, dann macht er Atemübungen, dann nimmt er ein Eisbad und dann kommt erst die Autosuggestion. Ich habe am Morgen weder Zeit noch Eisbäder zur Verfügung, meine Autosuggestionen mache ich also irgendwo zwischen Tür und Angel, zum Beispiel, wenn die Nudeln noch nicht ganz durch sind oder ein Mal (und da macht es zum ersten Mal großen Spaß), als ich an einem Sonntagmorgen vom Feiern nach Hause komme. Ansonsten bleiben die Übungen sehr lästig, außerdem lacht mich meine Tochter permanent aus und sagt „Mensch, Papa.“

Hat es was gebracht?

Eigentlich nicht. Aber die ganze Sache hat mich insofern dann doch glücklich gemacht: Weil ich gemerkt habe, dass ich ganz grundsätzlich und ohne jegliches Einreden schon halbwegs glücklich bin. Ich kann mir absolut vorstellen, dass es zum Beispiel Menschen mit Selbstzweifeln ganz gut tut, wenn sie sich jeden Morgen selbst sagen, dass sie sich lieben. Ich brauche das gerade gar nicht. Mir geht es vielleicht nicht mit jedem Tag besser und besser und besser, aber reicht schon. Und das mit dem Geld und dem Magneten... kommt bestimmt noch.

Nadja Schlüter geht achtsam durchs Leben 

Was machst du?

Ich teste eine Achtsamkeits-App. Damit mache ich Meditationsübungen (atmen und so), außerdem schickt sie mir Push-Nachrichten mit Achtsamkeits-Erinnerungen.

Was soll das bringen?

Achtsamkeit, natürlich. Also weniger Stress, mehr Entspannung, „im Hier und Jetzt“ ankommen und netter zu sich selbst sein.

Was passiert in der Woche?

Ich mache fünf Tage lang Einführungsmeditationen, weil ich völliger Neuling bin. Anfangs nervt mich die Stimme (ein säuselnder Mann) eher, als dass sie mich beruhigt. Der Typ redet irgendwas von „Heißen Sie Ihren Atem willkommen, diesen Atemzug und diesen und diesen…“ Er wiederholt sich ständig und ich denke an alles, was ich gerade lieber machen würde: lesen. Spülmaschine ausräumen. Radio hören. Aber dann sagt er: „Vielleicht erwischen Sie sich dabei, wie ihr Geist wandert“ und ich fühle mich ertappt. Kann ihm aber nicht böse sein, weil er als nächstes sagt: „Das ist ganz normal, der Geist ist es eben gewohnt, das zu tun. Aber versuchen Sie doch mal, im Hier und Jetzt zu bleiben.“ Und dann versuche ich es wirklich.

In den nächsten Tagen werde ich tatsächlich besser und manche Übungen machen sogar Spaß, zum Beispiel die, bei der man sich auf die Geräusche um einen herum konzentrieren soll. Nur, wenn der Typ wieder was von „Atem willkommen heißen“ sagt, rolle ich innerlich immer noch mit den Augen. Und wirklich absoluter Unsinn sind die Push-Nachrichten der App. „Machen Sie sich jetzt Ihre Körperempfindungen bewusst“, schreibt sie mir, als ich mich gerade wunderbar auf meine Arbeit konzentriere. Nein danke. Eine andere lautete: „Letzte Möglichkeit! Sichern Sie sich jetzt Premium und bekommen sie 40 Prozent Rabatt!“ Sehr entspannend.

Hat es was gebracht?

Angeblich soll einen Achtsamkeit auch untertags immer wieder vom Stress befreien. Klappt bei mir nicht, weil ich mich mittags einfach nicht mit einer App hinsetzen und meinen Atem willkommen heißen mag. Aber am Abend, zum Runterkommen, ist es gar nicht so schlecht. Zehn Minuten Gesäusel mit Wellengeräuschen im Hintergrund machen mich träge. Ich weiß nicht, ob das das Ziel ist, aber für mich als notorische „Was, wenn ich nicht einschlafen kann?“-Hysterikerin ist das auf jeden Fall ein positiver Effekt. 

Christian Helten macht Yoga mit Adriene

Was machst du und was soll das bringen?

Ich sitze im Wohnzimmer auf einer Yogamatte. Ich bin kein totaler Yoga-Neuling. Ich glaube, dass es mir guttun würde, regelmäßig Yoga zu machen, habe das aber noch nie wirklich geschafft. Aber ich möchte, dass mein steifer Körper beweglicher wird und mag das After-Yoga-Gefühl, das ist so ein schönes Sich-selbst-einmal-durchgeknetet-haben. Und diese ganze bewusste Atmerei kann ja auch wirklich beruhigen und Stress abbauen. 

Mit Adriene, so also der Gedanke, soll es anders werden. Ich mache ihre 30-Tage-Serie, jeden Tag 20 bis 40 Minuten. „Dedicate“ heißt sie und wird von sphärischer Musik und Bildern von im Gegenlicht leicht im Wind sich wiegenden Gräsern eingeleitet.

Adriene Mishler ist nicht irgendeine Yoga-Youtuberin. Sie ist DIE Yoga-Youtuberin. Die Texanerin hat 4,5 Millionen Follower, ihr beliebtestes Video wurde 19 Millionen mal aufgerufen, ihre Europa-Tour im Herbst ist bis auf die letzten zwei Termine schon jetzt ausverkauft. Irgendwas muss diese Frau den Leuten also geben.

Was passiert in der Woche?

Ich bin noch keine 20 Minuten einer von Adrienes „Darling Friends“ und schon hasse ich sie. Ihr übertrieben sanftes, mildes Lächeln, das nie endet. Ihr Gerede von der „awesome journey“, auf die ich jetzt mit ihr gehen werde und an deren Ende ich mehr bei mir selbst und deshalb die Welt insgesamt eine bessere sein werde, machen mich aggressiv. Je mehr sie betont, wie meditativ und selbsterhellend die 30-Tage-Yoga-Videoserie ist, desto mehr weckt sie das Schlechte in mir. Je öfter sie sagt, ich solle mich „nice and slow“ bewegen und dass sie all ihre Darling friends liebt, desto mehr will ich mit Anlauf in einen Boxsack prügeln. 

Mir ist das alles zu übertrieben. Statt einfach einzuatmen, solle ich einen „loving breath” nehmen, sagt Adriene. In einer Plank-Pose soll ich mir selbst zuflüstern, dass ich stark bin, und in einer Kleinkindhaltung „I choose” wispern, um mir selbst zu versichern, dass ich hier das Wichtigste bin.

An Tag drei überspringe ich ein paar Videos. Mir ist das zu langweilig, ich möchte auch ein bisschen schwitzen und gefordert werden und nicht nur hören, dass ich halt soweit dehnen soll, wie es sich gut anfühlt. Wahrscheinlich hatte ich in meinem Leben zu viele „Qualität kommt von Qual”-Fußballtrainer. 

An Tag vier setze ich das erste Mal aus. Ich muss um 8 Uhr in der Arbeit sein, davor schaffe ich es nicht, danach muss ich direkt ins Theater. Am nächsten Tag gehe ich snowboarden und bin danach zu platt. Dann Wochenende, Kater, kein Yoga. 

Hat es was gebracht?

Eigentlich habe ich mich innerlich schon von Adriene verabschiedet. Aber am Montag zwinge ich mich nach der Arbeit, sie einzuschalten. Und finde es zum ersten Mal gut. Diesmal nervt mich ihr Gerede nicht, ich finde plötzlich, dass sie Recht hat, wenn sie sagt, ich müsse alles da draußen beiseite schieben und nur atmen und fühlen, wie mein Rücken sich von der Matte angenommen fühlt. Warum? Das Video und die Übungen unterschieden sich nicht von den Tagen zuvor. 

Vielleicht lag es am Zeitpunkt, an meiner Montagsgenervtheit, dass ich diesmal empfänglich für Adriene war. Ich fasse einen Plan. Ich verabschiede mich vom Jeden-Tag-Vorsatz und lasse mich ab jetzt immer nur montags von Adriene aus dem Loch des Arbeitswochenbeginns holen. Ich bin jetzt ein Montags-Yogi. 

Lara Thiede lächelt viel

Was machst du?

Ich lächle mit dem Körper, damit meine Seele auch lächelt. Heißt: Ich stehe, sitze, liege immer mal wieder da und zwinge mich, die Mundwinkel hochzuziehen.

Was soll das bringen?

Nicht nur das Glück bringt mich zum Lächeln, das Lächeln bringt mich auch zum Glück. Das fanden schon viele Wissenschaftler heraus, angefangen wohl im 19. Jahrhundert bei Charles Darwin. Der meinte nämlich, dass der Ausdruck eine Gefühls das Gefühl selbst mindestens intensiviert. Besonders gut funktioniert das auch beim Lächeln. Denn mein Mund sendet dabei Signale an das Gehirn, dass ich mich gerade freuen würde. Auch wenn ich vorher vielleicht gar nicht wirklich glücklich war, werde ich es jetzt. Denn das Hirn fällt darauf rein, sodass das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet wird. 

Was passiert in der Woche?

Ich vergesse das bewusste Lächeln in den ersten Tagen. Ständig. Das liegt auch daran, dass ich nirgends eine feste Handlungsanweisung finden kann. Wie oft muss ich lächeln, um Glück zu erreichen? Wie lange? Muss ich dabei an was Schönes denken? Soll ich den Mund ganz aufmachen oder reicht das Ganze ohne Zähne? Ich habe viele Fragen, die mir keiner beantworten kann. Ich stelle mir also nach drei Tagen Wecker, die mich dreimal am Tag eine Minute lang zum Lächeln klingeln. Das muss reichen. In der Regel ohne Zähne zeigen, außer mir ist danach.

Hat es was gebracht?

Nö. Im Moment des Lächelns lockert man sich zwar wirklich etwas und fühlt sich vielleicht sogar besser. Zum Teil liegt das aber auch daran, dass ich mich sehr über mich selbst amüsiere. Wie ich da sitze und vor mich hin lächle. Statt Glückseligkeit erreiche ich etwas anderes: ein Ziehen in den Wangen, Lächeln ist ganz schön anstrengend, wenn es nicht von Herzen kommt. Aber vielleicht hat es ja auch deshalb nicht geholfen: Mir ging es ja schon vorher gut, ich lächle in der Regel freiwillig. Vielleicht hilft das Ganze also vor allem Menschen, die eine solche Glücksmaßnahme wirklich nötig haben.

Sophie Aschenbrenner gurgelt mit Öl und tanzt in den Tag

Was machst du?

Es gibt da diese Videos der österreichischen Bloggerin Madeleine Daria Alizadeh (dariadaria). Jeden Morgen steckt sie sich einen Teelöffel Kokosöl in den Mund, spült ihren Mund 20 Minuten damit und tanzt dazu. Sie sieht dabei immer sehr fröhlich aus. Das versuche ich auch.

Was soll das bringen?

Ölziehen ist eine alte ayurvedische Reinigungsmethode aus Indien und hat angeblich eine Menge Vorteile: Das Immunsystem soll gereinigt werden, Schadstoffe ausgespült und Karies vorgebeugt werden, angeblich soll regelmäßiges Ölziehen sogar bei Krankheiten wie Migräne helfen. Migräne habe ich zwar nicht, aber Entgiften kann ja nie schaden. Und jeden Tag mit einem guten Song und ein bisschen tanzen zu starten, sowieso nicht. Angeblich verbessert das die Laune und bringt mehr Energie.

Was passiert in der Woche?

Am ersten Tag kostet es Überwindung, den Löffel voller Kokosöl wirklich in den Mund zu stecken und den Schluckreflex in den Griff zu bekommen, aber dann ist es gar nicht so schlimm (eine Kollegin hatte im Vorhinein Ekelanfälle befürchtet). Ich starte mit fünf Minuten statt mit 20 (Spoiler: Über die fünf Minuten komme ich auch die restliche Woche nicht hinaus). Das Tanzen ist super, macht gute Laune und Lust auf den Tag.

An Tag zwei versuche ich Olivenöl. Große Überwindung, ist aber nicht so eklig wie erwartet. Meine Laune ist nach dem Ritual auf jeden Fall besser als davor. Am dritten Tag habe ich frei und also eigentlich massig Zeit zum Tanzen und Ölziehen. De facto vergesse ich es aber einfach. Diese Routine ist vielleicht eher geeignet, wenn man noch müde ist und Motivation für den Tag brauchen kann. Den Rest der Woche verwende ich wieder Kokosöl (schmeckt schon einfach besser) und teste neue Songs (Favorit: „Best Friend“ von Sofi Tukker). 

Hat es was gebracht?

Ob Ölziehen wirklich so viel Gutes für Körper und Seele tut - keine Ahnung. Nach einer Woche merke ich keinen Unterschied, hatte aber ja auch keine akuten Beschwerden. Schaden tut es sicher nicht, zumal mir ein Freund erzählt hat, dass ihm die Methode auch von seiner Ärztin empfohlen wurde. Sich frühs zum Tanzen aufzuraffen, ist aber sicher nicht verkehrt für Menschen, die Tanzen nicht total hassen. Macht gute Laune, bringt den Kreislauf in Schwung, und Musik am Morgen ist ja eh gut. Insgesamt also: Go for it, macht den Tag schon ein bisschen schöner.   

Christina Waechter schreibt Glücks-Tagebuch 

Was machst du?

Ich schreibe Glückstagebuch. Dabei notiere ich jeden Tag drei bis fünf Momente oder Erlebnisse, die mich glücklich gemacht haben.

Was soll das bringen?

Das Glückstagebuch ist eine Übung aus der Psychotherapie, in der depressiv verstimmte Menschen angehalten werden, täglich kleine und große Glücks-Momente festzuhalten. Mit dieser Übung soll man dazu angeregt werden, sich an gute Momente zu erinnern und in der Rückschau festzustellen, dass man durchaus Grund hat, sich gut zu fühlen. Das Glückstagebuch hat es inzwischen in den Lifestyle geschafft: Es gibt Apps und spezielle "Glücks-Tagebücher", in die man seine Momente eintragen kann. Ein einfaches Blatt Papier tut es aber auch. 

Was passiert in der Woche?

Die Woche fängt schon mal gut an. Am Montag passieren nämlich tatsächlich ein paar schöne, notierenswerte Dinge: Ich radle gutgelaunt zur Arbeit, dort macht es Spaß, am Abend treffe ich nette Leute. Kein Problem, etwas aufzuschreiben! Dienstag wird es schon haariger: das Wetter nervt, eine Veranstaltung, die ich organisiere, ist miserabel besucht, ich habe Kopfweh und schlechte Laune. Als ich am Abend schöne Erlebnisse aufschreiben soll, wird mein Kopf ganz leer und ich muss wirklich in die Details gehen, um drei Glücksmomente zu finden: der gute Kaffeee, die nette Frau, die mir den Handschuh hinterher getragen hat, den ich beim Bäcker vergessen hatte, ein Kind, das fröhlich im Schnee gespielt hat. Am Donnerstag wird's nicht besser und ich komme mir wirklich armselig vor, als ich mein Gehirn nach schönen Momenten durchforste. Kurz stelle ich mein gesamtes Lebensprinzip in Frage, dann trage ich ein, dass ich gesund bin und nette Menschen um mich habe. Puh.  

Hat es was gebracht?

Erst als ich zwei Wochen später meine Notizen noch einmal durchgehe, stelle ich fest, dass das Glückstagebuch durchaus einen positiven Effekt auf mich hat. Ich merke nämlich beim Lesen, dass mein Leben so blöde und öde gar nicht ist, wie ich manchmal denke. Es gibt gute Momente, nur nehme ich die oft nicht  wahr, weil ich sie für selbstverständlich halte oder glaube, sie seien so winzig, dass sie nicht der Rede wert sind. Das ist aber Quatsch. Sich zu vergegenwärtigen, dass man Glück hat und erlebt, hilft dabei, ein bisschen dankbarer und milder gestimmt zu werden. Und alleine wenn man es schafft, nicht als Griesgram durchs Leben zu gehen, ist schon einiges gewonnen.  

Karina Geipel lässt sich von Facebook-Videos inspirieren

Was machst du?

Motivations- und Inspirationsvideos auf Facebook, Seiten wie Prince EA oder auch Jay Shetty, haben sich selbst zu sogenannten „Gute-Laune-Gurus“ ernannt, die voll den Durchblick haben in dieser lauten, verworrenen Welt. Mit Hilfe von eindrucksvollen Bildern, gefühlsduseliger Musik und emotionaler Sprache ziehen sie den klassischen Facebook-von-oben-bis-unten-Durchscroller in ihren Bann. Glaubt man den Überschriften der verschiedenen Inhalte auf den Facebookseiten, so sind all die Bilder, Videos und Texte dazu da, die eigene Perspektive zu verändern. Zum Besseren natürlich. Ich schaue mir also mal eine Woche den gesamten Content von Jay Shetty und Prince EA an und befolge ihre Schritte, für mehr Glücklichsein im Leben.

Was soll das bringen?

Jay Shetty ist „all about making wisdom go viral.“ Er will die Menschen aufklären, ihnen verschiedene Standpunkte präsentieren, um den Zuschauer zu vermitteln, ihr Leben mehr zu schätzen. Er bietet unter anderem auch kostenpflichtige Workshops an, in denen er seine Follower „coacht“ zum Glücklichsein. Zuerst einmal muss aber der frei zugängliche Content herhalten. Ich klicke also auf abonnieren und lasse mich berieseln – wer weiß, vielleicht schaffen es die Facebook-Gurus, auch mich mal öfter zum Lächeln zu bringen.

Was passiert in der Woche?

Morgens, wenn ich aufstehe, schaue ich mir direkt den ersten Content an, der mir in die Timeline gespült wird. Ein Video sagt, es gibt vier Wörter, die all meine Träume zerstören werden: „Was werden andere sagen?“ Ich schaue zu Ende, nicke kurze – Recht hat er. Und scrolle weiter. Ein animiertes Video verspricht mir, dass es mich zu Tränen rühren wird. Es geht um ein kleines Mädchen und ihren Hund, ihre Familie, um Liebe, um Hoffnung, um Schutzsuchen. Ich liege im Bett, Stirn gerunzelt – ja, kann sein, dass ich kurz vorm Weinen bin. 

Das geht die nächsten Tage so weiter. Morgens und abends lasse ich mir Motivationscontent in die Timeline spülen. Nebst schlauen Sprüchen und emotional aufgeladenen Videos, findet sich auch der eine oder andere Artikel. 16 Fähigkeiten, die schwer zu lernen sind, aber sich ewig auszahlen. Eine Anleitung, um mein Ikigai, mein raison d’être zu finden. Ich folge den Anleitungen, verbringe meine Abendstunden damit, nachzudenken, worin ich gut bin, wofür ich Geld bekomme und wofür ich von Freunden und Familie wertgeschätzt werde. Auf die Mitte, mein Ikigai, komme ich leider nicht, aber es tut gut, alles aufzuschreiben. Lange kommt mir das alles doch recht beliebig vor.

Hat es was gebracht?

Ich schätze es hat einen ähnlichen Effekt, kleine Klebezettel in der Wohnung aufzuhängen, auf denen steht „lächle“ oder „du bist toll“. Es hat mir die Woche über ein gutes Gefühl gegeben und mich sogar zum Nachdenken angeregt. Das muss man aber auch zulassen, denn normalerweise denke ich beim Scrollen durch meine Timeline nicht allzu viel nach. Kann man also machen, um sich ins Gedächtnis zu rufen, offen zu denken, nicht vorschnell zu urteilen und grundsätzlich wie ein guter Mensch zu leben. Macht aber grundsätzlich nicht glücklicher oder motivierter, solange man nicht bereit ist, tiefer in ein Thema einzutauchen.

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