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„Danke für dein Geschenk, ich hab' leider keins für dich“

Illustration: Daniela Rudolf

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Manche Weihnachtsgeschenke machen mich fertig. Und zwar diejenigen, die es gar nicht gibt. Diejenigen, die ich den Menschen überreichen müsste, die mir etwas schenken. Mit einem souveränen „Vielen Dank, und hier ist dein Geschenk” auf den Lippen. Bloß: Dieses Geschenk existiert eben nicht.

An Weihnachten beschenken Menschen einander. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dieses Geben und Nehmen. Anders als bei Geburtstagen ist an Weihnachten jeder Empfänger auch ein Gebender. Das ist schön – aber nur in der Idealsituation, in der alle Beteiligten sich klar darüber sind, wer miteinander eine solche Schenk-Symbiose eingegangen ist.

Die meisten haben deshalb irgendwann mit ihnen nahestehenden Personen mal ausgemacht, wie man das mit den Weihnachtsgaben handhabt. Oder es hat sich über die Jahre eingespielt. Man weiß jedenfalls, dass man zum Beispiel seinen Eltern was schenkt, den Geschwistern auch, dem Partner und vielleicht noch einem sehr engen Freund. Oder man hat irgendwann mit einzelnen Nichtangriffspakte geschlossen und gesagt: Du, wir lassen das lieber und sparen uns den Weihnachtsstress.

Aber es gibt Menschen, die sich über solche Nichtangriffspakte hinwegsetzen. Diese Wladimir Putins der Weihnachtszeit kommen dann unangekündigt vorbei und überreichen mir ein schön verpacktes Buch mit einer netten Karte. Und dann stehe ich da, habe nichts zu erwidern und wünsche mich weit weg, irgendwo nach Sibirien, wo der echte Wladimir Putin an einsamen Seen oben ohne Fische mit dem Speer erlegt.

Und diese Paktbrecher sind ja eigentlich noch relativ harmlos. Denen kann man wenigstens einen Vorwurf machen, weil sie sich offensichtlich nicht an eine Abmachung gehalten haben. Wirklich schlimm wird es mit Menschen, die man noch nicht gut genug oder nicht lange genug kennt, um ein Vertragswerk in Sachen Weihnachtsgeschenk ausgearbeitet zu haben. Und wo dann der eine denkt: Diesen Menschen hab' ich echt lieb gewonnen dieses Jahr, der bekommt eine Kleinigkeit. Dieser Mensch hat das aber anders wahrgenommen. Oder seine Schwelle, ab welchem Grad der Zuneigung ein Geschenk angebracht ist, liegt einfach höher – und er tritt mitten ins Geschenke-Fettnäpfchen.

Sehr häufig tritt diese Situation übrigens mit Eltern neuer Partner auf, die man am zweiten Weihnachtsfeiertag besucht und die einen ohne jegliche Vorankündigung mit sündhaft teuren Whiskey-Flaschen und Kilodosen selbstgebackener Plätzchen empfangen, weil sie damit ihre Freude über das neue Schwiegerkind ausdrücken wollen – das dann nicht mal Blumen dabei hat.

Oder, Variante zwei: Man war lange gut befreundet, mag einander auch noch gerne, aber irgendwie ist man nicht mehr so eng, wohnt vielleicht in unterschiedlichen Städten, was auch immer, aber da ist noch diese Tradition, dass man einander was schenkt. Irgendwann denkt der eine, die Freundschaft sei jetzt ausreichend ausgeklungen, um direkt in die angenehme Stille des Nichts-Schenkens überzugehen. Sagen kann man das dem anderen natürlich schlecht, also lässt man es drauf ankommen, wird schon passen, ein Treffen ist ja nicht geplant, der Phillip ist ja dieses Jahr eh mit seiner Freundin in Thailand über Weihnachten. Und dann – Bäm! – kommt Phillips Päckchen an.

In beiden Fällen will ich diese Geschenke nicht annehmen. Ich will sie nicht auspacken, ich wünschte, es gäbe sie nicht. Ich möchte dem Schenkenden nicht in die Augen sehen, nicht mit ihm sprechen – am besten mindestens zwei Wochen lang nicht.

Denn auf ihn muss das fehlende Gegengeschenk wirken wie eine Zurückweisung. Wie ein „Du interessierst mich nicht”, ein Verätzen des frisch gewachsenen Freundschaftskeims oder der Familienbande, beziehungsweise ein Todesstoß für das schwächelnde Fern-Kumpeltum mit Phillip. Wenn Weihnachten das Fest der Liebe ist, ist das nicht vorhandene Gegengeschenk der Liebestöter.

 

Man will sich in so einer Situation also erklären, man will klar machen, dass die Abwesenheit des Geschenks kein Gradmesser für die Wertschätzung des anderen ist. Weil man aber grade maximal überrascht ist, gelingt das nur selten. Man stottert herum und entschuldigt sich unzureichend. Und ist vor lauter Peinlichkeit dann auch nicht mehr in der Lage, sich ehrlich über das vielleicht ja wirklich total tolle Geschenk zu freuen. Was wiederum die nächste schlimme Gedankenschleife aufmacht: Oh Gott, denkt man dann, jetzt bekomme ich so was Tolles und stottere hier rum, jetzt denkt der andere bestimmt, ich finde sein Geschenk scheiße! Kurz: Man kommt aus so einer Nummer nicht würdevoll raus. Weshalb ich mich tatsächlich schon mal habe verleugnen lassen, als eine alte Freundin mit einem Geschenk vor der Tür stand. So konnte ich wenigstens Zeit gewinnen und ein paar Tage später etwas nachreichen.

 

Die einzige sinnvolle Strategie wäre also vermutlich, immer ein Reserve-Geschenk vorbereitet zu haben. Klingt leider aber auch nur in der Theorie gut: Denn das Geschenk, das universal jeden unerwarteten Besucher glücklich macht, muss auch noch erfunden werden.

 

 

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