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Urlaubsaufgabe: Deutschen ausweichen

Illustration: Katharina Bitzl

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie „Hilfe, Menschen!“ berichten wir  von unseren Sozialphobien. Heute: Deutsche im gleichen Hostel.

Ein Hostel irgendwo in einer hippen europäischen Metropole. Der lange, zerkratzte Holztisch im Aufenthaltsraum ist voll besetzt. Zwei junge Französinnen flüstern in einer Ecke miteinander. Ein polnischer, ein türkischer und australischer Reisender bringen sich gegenseitig Trinkspiele und Beschimpfungen in den jeweiligen Landessprache bei. Eine Koreanerin sitzt ihnen gegenüber und blättert emsig in ihrem Reiseführer. Irgendjemand spielt Gitarre. Ich sitze auf einem Sessel an einer Ecke des Tisches, lese ein Buch und nippe an einer Cola. 

Plötzlich unterbricht lautes Stimmengewirr den Frieden. Zuerst verstehe ich nur Satzfetzen. Gebrochenes Englisch mischt sich mit undefinierbarem Gebrabbel. Auch die anderen schauen in Richtung Rezeption. Dann tönt von dort auf einmal ein schnarrendes „Thänk ju!“. Und da weiß ich was Sache ist. 

Diesen Akzent würde ich unter hunderten erkennen: Eine Gruppe Deutscher ist in meinem Hostel angekommen. Für mich bedeutet das vor allem eins: Ich werde die nächsten Tage damit verbringen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Mein entspannter Städtetrip ist erst einmal vorbei.

Es gibt für mich kaum etwas Unangenehmeres, als anderen Deutschen im Urlaub zu begegnen. Beinahe jeden Tag des Jahres bin ich von mehr als 80 Millionen von ihnen umgeben. Und davon brauche ich manchmal Urlaub.

Nicht, dass ich jetzt falsch verstanden werde: Krankenversicherung, fast kostenlose Universitäten und deutsches Brot sind super Sachen. Und es ist schön, dass Zuhause alles funktioniert, Züge mehr oder weniger pünktlich fahren und ich nur auf einen Schalter drücken muss um Licht zu haben. Trotzdem ist mein deutsches Leben oft sehr steif und aufgeräumt. Davon brauche ich regelmäßig eine Pause.

Die anderen Deutschen führen mir vor Augen, dass ich deutscher bin, als ich gerne möchte

Zum einen, weil ich mich ab und zu einfach mal locker machen muss. Auf Reisen fällt mir das oft leichter als zu Hause. In Rumänien oder Frankreich kann ich ohne schlechtes Gewissen über eine Ampel gehen, weil es dort alle machen. In anderen Ländern kann ich ein anderer Mensch sein. Ich bin alles, nur nicht deutsch. Zumindest in meinem Kopf. Für Einheimische und andere Reisende bin ich natürlich „die Deutsche“, aber in meiner Vorstellung kann ich mein starres deutsches Ich im Koffer lassen und stattdessen auch mal ein Bier vor vier trinken und mir ohne schlechtes Gewissen die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

In diese kleine Urlaubsillusion passen einfach keine anderen Deutschen. Sie führen mir nämlich vor Augen, dass ich doch deutscher bin, als ich gerne möchte. Höre ich, wie sich ein anderer deutscher Reisende über das Brot beschwert, beäuge ich auch misstrauisch das labbrige Toastbrot auf meinem Teller. Bekomme ich mit, wie sie sich über Unpünktlichkeit oder Dreck meckern, fallen auch mir plötzlich die Wollmäuse zwischen den Stockbetten im Schlafraum auf.

Zum anderen, ist es ein Problem, dass ich im Ausland nie ausschließlich als Individuum gesehen werde. Egal was ich tue oder sage, meine Umwelt vergleicht mein Verhalten mit dem, was sie für „typisch deutsch“ hält. Blöd nur, dass andere deutsche Touristen mitbestimmen, wie das Spektrum des „deutschen“ Verhaltens aussieht. Deswegen ist es mir oft unangenehm, wenn sich meine Landsleute peinlich verhalten. Es ist etwa nicht nur nervig, um acht Uhr morgens von dem deutschen Pärchen, das eine Liege am Strand mit ihren Handtüchern reservieren will, geweckt zu werden, sondern bestätigt auch noch die Vorurteile der anderen Reisenden im Schlafsaal. Dabei bin ich doch weit weg von zu Hause, um mich nicht mit den Macken anderer Deutscher auseinandersetzen zu müssen. Was ich dabei oft vergesse: Ich mache es mir mit Reisenden aus anderen Ländern auch oft zu einfach. Aus Ignacio aus Madrid wird schnell „irgendein Spanier“.  Ein bisschen mehr Nachsicht ist also angebracht.

Ich versuche, meine Tage an möglichst abwegigen Orten zu verbringen

Aus diesen Gründen tue ich alles dafür, im Ausland keinen anderen Deutschen  zu begegnen. Ich versuche, meine freien Tage an möglichst abwegigen Orten zu verbringen. Anstatt eine Rundreise durch Thailand zu machen, fahre ich lieber sechs Wochen lang durch Polen. Bewusst meide ich Ferienanlagen und andere Orte, an denen sich viele deutsche Urlauber tummeln könnten.

Wenn sich dann doch ein anderer Deutscher an mein Reiseziel verirrt, versuche ich direkte Konfrontationen mit ihm weitestgehend zu vermeiden. Im besten Fall geht es dem anderen genauso. Stillschweigend kommen wir überein, dass wir eigentlich keine Lust haben uns gegenseitig kennenzulernen, nur weil wir zufällig aus dem gleichen Land kommen. 

Und wenn dem nicht so ist, komme ich eben extra zu spät zum Frühstück, um nicht mitzubekommen, wie sich die deutsche Gruppe über das Frühstück beschwert. Oder ich meide das obligatorische Bier-Tasting, damit ich nicht mitbekommen muss, wenn sich „die Anderen“ spätestens nach dem dritten andalusischen Bier über das deutsche Reinheitsgebot auslassen. Im Kern laufen Gespräche unter Landsleuten oft auf eine einfache Feststellung hinaus: In Deutschland ist das Wetter zwar schlechter, aber alles andere ist besser als im Urlaubsland. 

Wahrscheinlich ist das ein weiterer Grund, warum ich mich im Ausland von anderen Deutschen fernhalte: Viele von ihnen sehnen sich gefühlt nach kurzer Zeit schon wieder nach Deutschland. Kaum drei Tage in der Ferne, scheinen sie es kaum abwarten zu können, endlich wieder verregneten deutschen Boden unter den Füßen zu haben.

„Aber warum fahrt ihr dann überhaupt in den Urlaub, wenn ihr doch gleich wieder nach Hause wollt?!“, würde ich sie am liebsten fragen. Aber ich rede ja nicht mit ihnen.

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