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Ich hasse Friseur-Smalltalk

Illustration: Daniela Rudolf

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie "Hilfe, Menschen!" berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: Der Friseurbesuch.

Seit ich denken kann, hasse ich Friseurbesuche. Als Jugendliche ging ich bei meiner Oma auf dem Land zum Friseur. Hinter der weißen Tür mit dem Blumenschmuck befand sich für mich schon damals ein Ort des Grauens. Frauen mit rot gefärbten Haaren, künstlichen Fingernägeln und zu viel grünem Lidschatten lauerten hinter dem Tresen. Sobald ich stumm auf dem Stuhl saß, sagte die Friseurin jedes Mal: „Heute machen wir dir etwas Wildes!“ Etwas Wildes bedeutet bei meinem Friseur auf dem Land: Zickzack-Scheitel, kinnlange Haare und möglichst viel Rundbürsten-Action.

Bis heute gehe ich nicht gern zum Friseur. Ich zögere den Zeitpunkt so lange hinaus, bis es meine Haarspitzen nicht mehr zulassen. Nicht, weil ich Angst vor wilden Frisuren habe. Sondern weil der Besuch für mich ein Maximum an sozialer Kompetenz erfordert.

Wie neulich wieder: Es beginnt damit, dass mir eine fremde Person die Haare wäscht – inklusive unfreiwilliger Kopfmassage. Dann will mein Friseur auch noch wissen, ob ich das angenehm finde. Es fühlt sich an, als wäre mein Kopf eine Orange, die gerade jemand mit bloßen Händen auspresst. „Mhm, ja, sehr angenehm“, sage ich und versuche dabei, möglichst entspannt auszusehen.

Während meine Haare gewaschen werden, schließe ich die Augen und will die Stille genießen. Aber mein Friseur hat andere Pläne: Er stellt mir Fragen über meine Haarwäsche-Routine, über meinen Job und mein Studium. Ich verstehe nur die Hälfte, weil der Wasserstrahl seine Stimme übertönt. Deshalb muss ich jedes Mal nachfragen, was er gesagt hat. „Ja, ich studiere noch“,  sage ich dann laut, in der Hoffnung, dass das eine passende Antwort auf seine Frage ist. In dem Moment dreht er das Wasser ab. Stille. Alle anderen Kunden im Raum sehen mich an. Das hat jetzt wohl der ganze Salon gehört.

Um das Schweigen zu beenden, fängt mein Friseur an, mir von seinem Privatleben zu erzählen

Die nächste Herausforderung ist das Plaudern, während jemand mit einem spitzen Gegenstand sehr nahe an meinem Kopf herumwerkt. Nachdem Smalltalk generell nicht meine Stärke ist, sind wir nach wenigen Minuten bereits bei „Und was arbeitet der Bruder von deinem Freund?“ angekommen. Kurze Stille. In meinem Kopf rattert es: Welche Themen bespricht man mit Menschen, die einem die Haare schneiden?

Um das Schweigen zu beenden, fängt mein Friseur an, mir von seinem Privatleben zu erzählen. Nach wenigen Einleitungssätzen erzählt er mir pikante Details aus seinem Liebes- und Sexleben. Ich bin überfordert von den persönlichen Geschichten und weiß nicht so recht, wie ich darauf antworten soll. Aber das ist mir immer noch lieber als mein letzter Friseur, der eine zwanzigminütige Diskussion über „die Ausländer“ begonnen hat.

Die letzte Hürde ist der Moment, wenn der Friseur mir mit einem Spiegel meinen Hinterkopf zeigt. Soll ich ihm Komplimente für seine Arbeit machen? Soll ich sagen, dass ich meine Haare zu kurz finde? Oder soll ich einfach stumm dasitzen und nicken? Um meine Unwissenheit über den Umgang mit der Situation zu überspielen, sage ich einfach, dass alles passt, auch wenn mir der Schnitt gar nicht gefällt. Denn ich will so schnell wie möglich weg von hier. Sobald ich raus gehe, setze ich sowieso meine Mütze auf.

Bevor ich bezahle, stellt mir mein Friseur noch eine Reihe an Pflegeprodukten vor, die ich unbedingt einmal ausprobieren muss. Seit zehn Minuten erklärt er mir schon, wie ich die Pflege am besten in meine Haare einmassiere. Aus Verlegenheit und einem seltsamen Verpflichtungsgefühl kaufe ich das günstigste: eine Haarmaske für 19 Euro. Wieder einmal habe ich zu viel Geld ausgegeben für etwas, das ich vermutlich nur dreimal benutze und dann in meinem Badezimmerschrank lagere. Aber das macht nichts. Auf dem Heimweg habe ich trotzdem ein gutes Gefühl: Jetzt ist nämlich der Zeitpunkt, der am weitesten vom nächsten Friseurbesuch weg ist.

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