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„Geht das zusammen oder getrennt?“

Illustration: Daniela Rudolf

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie "Hilfe, Menschen!" berichten wir von unseren Sozialphobien. Heute: „Ich hatte aber nur einen kleinen Wein...“

Es war ein schöner Abend. Mit einigen Freunden sitze ich in einer kleinen Bar. Wir haben viel gelacht, gut gegessen und vielleicht ein bisschen zu viel getrunken. Das Licht ist schummrig. Ein Kellner flitzt mit Tellern und Gläsern hin und her. Es ist spät geworden. Zeit zu bezahlen. Jemand winkt den Kellner heran. Und in mir zieht sich alles zusammen. „Wie machen wir das eigentlich mit der Rechnung?“, schießt es mir durch den Kopf.

Egal wie lustig, interessant oder spannend der Abend war: Mit einer Gruppe von Menschen etwas essen oder trinken gehen wird spätestens dann anstrengend, wenn man nach der Rechnung fragt.

Zahlt jeder sein eigenes Essen? Oder wird die Rechnung einfach „durch alle geteilt“? Ist es spießig von mir, nur meinen Teil bezahlen zu wollen? Muss ich für eine Freundin mitbezahlen, der ich noch Geld schulde? Wie viel Trinkgeld geben wir? Trotz all der Fragen lasse ich mir aber nichts anmerken und tue oft so, als ob es mir nichts ausmacht, Pauls teure Longdrinks mit zu bezahlen, obwohl ich selbst nur Bier getrunken habe. Gleichzeitig rechne ich meinen Kontostand nach und erinnere mich vage daran, dass Paul doch einen neuen Job als Unternehmensberater hat. So viele Unklarheiten und Unausgesprochenes lassen meine Hände schwitzig werden. 

Den ganzen Abend reden wir ununterbrochen über alles Mögliche, sobald es aber ums Geld geht, wird geschwiegen. Niemand will in aller Öffentlichkeit geizig sein. Die Rechnung des andern will aber auch keiner mitbezahlen. Dieser Zwiespalt scheint unüberwindbar und bringt die meisten Menschen erst einmal zum Schweigen.

In solchen Situationen würde ich am liebsten einfach aufspringen und aus dem Lokal rennen. Sollen die anderen doch mein Essen bezahlen! Alles scheint besser, als die drückende Stille am Tisch weiter zu ertragen. Oder wäre es besser, die Initiative zu ergreifen und einen 20-Euro-Schein mit den Worten „Ich gebe jetzt einfach mal 20 Euro“ auf den Tisch zu legen, und sich ansonsten nicht weiter darum zu kümmern? Unentschlossen blicke ich mich um. 

Auch bei den anderen bemerke ich unterschiedliche Strategien, mit dem Problem umzugehen. Einige blicken verstohlen in die Karte, um zu schauen, wie viel sie eigentlich bezahlen müssen. Andere beginnen, leise miteinander zu diskutieren, wer jetzt wen am besten einlädt. Manche starren auch einfach lethargisch auf die Tischplatte und versuchen, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. 

Ich kann ja nicht gleichzeitig geizig und schlecht im Kopfrechnen sein

Allerdings hängt auch viel davon ab, wie sich der Kellner in dieser sensiblen Situation verhält. Lässt er etwa die Rechnung auf dem Tisch liegen und geht wieder weg, beginnt die große Rechnerei. Auf verschlungenen und verworrenen Rechenwegen, beginnen die Menschen um mich herum, Geldscheine und Münzen zwischen sich aufzuteilen. Offenbar ist jetzt die ideale Gelegenheit, alte Rechnungen und Gefälligkeiten zu begleichen. 

In solchen Situationen lege ich stumm einen Geldschein zu den anderen, lassen mir irgendeine Summe zurückgeben und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich den Überblick verloren habe. Ich kann ja schließlich nicht gleichzeitig geizig und schlecht im Kopfrechnen sein. Zumindest nicht öffentlich. Kommt der Kellner zurück an unseren Tisch, überreichen wir ihm erleichtert unseren Geldhaufen. 

 Steht er allerdings erwartungsvoll an unserem Tisch und fragt „Geht das zusammen oder getrennt?“, erhöht sich der Druck. Jetzt hängt alles von der Person ab, die als erstes reagiert. Sagt sie „getrennt“, zahlen allle getrennt. Gibt sie einen Euro Trinkgeld, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die anderen das auch machen werden. Sie gibt den Ton an. Nur muss auch hierfür jemand das Schweigen brechen. 

Insgesamt scheint das übrigens ein sehr deutsches Problem zu sein. Im Ausland ist es für mich darum noch schlimmer. Kaum eine Nation scheint in puncto „Rechnung aufteilen oder gemeinsam bezahlen“ so verklemmt zu sein, wie die Deutschen. An brasilianischen Stränden oder in rumänischen Cafés habe ich es noch nie erlebt, dass ernsthaft über die Frage diskutiert oder geschwiegen wurde. 

Meine innere Deutsche wispert mir zu: „Aber du hast doch nur einen Wein getrunken“

Stattdessen werfen dort ungefragt alle Beteiligten Geldscheine in eine kleine Box oder Schale, die der Kellner auf den Tisch gestellt hat. Anschließend wird gezählt, ob das Geld reicht. Tut es meistens auf Anhieb. Niemand außer mir sitzt dort mit schweißnassen Händen am Tisch und versucht, das leidige Thema zu vermeiden. Unausgesprochen ist klar, dass zwar jeder sein eigenes Essen bezahlt, aber es nicht so wichtig ist, sein Wechselgeld auf den Cent genau zurück zu bekommen. 

In solchen Momenten tönen bekannte Vorurteile in meinen Ohren. Die Deutschen sind genau. Die Deutschen sind humorlos. Die Deutschen sind kalt und steif. Eine Stimme in meinem Kopf schreit: „Aber ich bin doch anders!“ 

Bin ich nicht auch deswegen ins Ausland gegangen, um mich endlich mal locker zu machen? Sind es nicht genau diese Eigenschaften, die ich immer kritisiere? Vor meinen Freunden lasse ich mir nichts anmerken und werfe lässig einen Geldschein auf den Teller. Wechselgeld? „Ach Quatsch, das brauche ich doch nicht“, sage ich und versuche unauffällig, in mein Portemonnaie zu schielen. 

Und dann ist da trotzdem noch meine innere Deutsche, die mir zuwispert: „Aber du hast doch nur einen Wein getrunken.“ Ich bin wahrscheinlich deutscher, als mir lieb ist, und brauche noch einige Caipirinhas, um mich locker zu machen. Die kann ich zum Glück aber auch am Tresen bestellen und gleich dort bezahlen.  

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