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Studie über Peinlichkeiten
Die Faustregel des Peinlich-berührt-Seins geht ungefähr so: Egal, wie nichtig Ausrutscher und Missgeschicke sind, sie treiben einen tagelang um. Der Klassiker: Man stolpert in der Uni-Mensa, wirft sein Tablett samt Geschnetzeltem, Reis und Cola light von sich, ein Poltern und Klirren, wie man glaubt, es noch nie gehört zu haben. Und zack, ist man sich sicher: Alle schauen her, alle lachen, ohgottohgottohgott.
Noch schlimmer: Man trifft jemanden für ein Date, hat sich extra schick gemacht, will sich von der tollsten Seite zeigen – und gurgeldidum, kullert einem beim Abendessen ein kleiner Rülpser über die Lippen. Hiiilfeee!! Alaaarm!! Bitte gleich im Erdboden versinken, nix mehr sehen, schnell die Augen zuhalten, wie soll man dem Date denn jetzt noch in die Augen schauen?! Der Gesprächspartner findet es zwar ziemlich sicher nicht schlimm – wenn er’s überhaupt gehört hat –, aber in den eigenen Ohren röhrt und knattert es, als leide ein fusseliger alter Elch unter Sodbrennen.
Mit etwas Übung lösen Missgeschicke nicht mehr dieses Uaaah-Gefühl aus
Kennt jeder, dieses Gefühl. Aber es gibt Hoffnung. Denn Li Jiang von der Carnegie Mellon University hat am vergangenen Dienstag eine Studie darüber veröffentlicht, wie wir mit peinlichen Situationen umgehen. Der Titel: „How to deal with embarrassing situations“. Und die gute Nachricht: Mit etwas Übung und mentalem Training lösen Missgeschicke nicht mehr dieses unangenehme Uaaah-Gefühl aus.
Es geht ja nicht nur darum, dass uns Ausrutscher peinlich sind. Sie beeinflussen auch unser Verhalten. Die Dinge, die wir tun oder eben nicht tun. Scham kann zum Beispiel dazu führen, dass wir uns nicht trauen, Angestellte in einem Geschäft nach einem bestimmten Produkt zu fragen. Oder dazu, dass wir uns nicht trauen, beim Arzt einen Gesundheits-Checkup zu machen. Unsere Sorgen könnten ja irgendwie doof klingen.
Li Jiang hat drei Experimente durchgeführt, um dieses Gefühl besser einschätzen zu können. Die Probanden waren verschiedene Studentengruppen einer großen US-amerikanischen Universität. Die Studenten mussten mehrere Videoclips anschauen. In einem pupste der ein Teilnehmer eines Yoga-Kurses versehentlich. Der zweite Clip zeigte eine Person, die sich auf sexuell übertragbare Krankheiten untersuchen ließ. Im dritten Video furzte ein Mann während eines Dates.
Vor einem Date furzen? Schamfaktor hoch zehn. Selbst wenn wir solche Szenen nur sehen, löst das bei uns Scham aus. Bei den Experimenten kam raus, dass vor allem jene Menschen sich sehr schämen, die im Alltag sonst sehr selbstbewusst auftreten. Unternehmen nutzen solche Schamgefühle in Werbungen, um potentielle Kunden beispielsweise dazu zu bringen, bestimmte Hygiene- oder Reinigungsprodukte zu kaufen.
Ein Monster-Pups? Scheiß drauf, welche Hose hatte ich da noch mal an?
Dr. Jiang schlägt im Zuge der Studie aber eine Strategie vor, die einem solche Situationen erträglicher machen: die Perspektive wechseln. Gedanklich einen Schritt zurücktreten. Weg von dem, der gerade einen hat fahren lassen, zu einem außenstehenden Beobachter. Denn ein Beobachter empfindet diese Situationen bei weitem nicht so peinlich, wie die Person, der gerade welches Missgeschick auch immer passiert.
Bedeutet: Abstand zu sich selbst gewinnen. Klappt sicher nicht beim ersten Mal, muss man üben, eine ganze Weile wohl. Wenn man also das nächste Mal mitsamt Tablett durch die Kantine poltert: kurz durchatmen, umsehen und sich in den Typ am Nebentisch versetzen. Der hat bestimmt nur kurz aufgeschaut, geschmunzelt und sich dann wieder auf sein Essen konzentriert.
Und was ist in den Wochen und Monaten danach? Wenn einem die Situation plötzlich wieder einfällt? Darauf weiß der Psychologieprofessor Florin Dolcos eine Antwort. Er kam 2014 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass man sich während des Erinnerns einfach auf ein anderes Detail aus der Situation konzentrieren soll. Ein versehentlicher Rülpser? Ein Monster-Pups? Scheiß drauf, welche Hose hatte ich da noch mal an?
jwh