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Wenn Freunde zu viele Drogen nehmen
Drogen gehören für Martin*, 24, zu einem ganz normalen Wochenende. Bei ihm gibt es selten Partys ohne Speed, Festivals ohne MDMA und Urlaube ohne Gras. Für uns als seine Freunde ein Normalzustand. Und ein Thema, das wir lieber relativieren, anstatt es anzusprechen. Dass er nicht mehr feiern kann, ohne drauf zu sein? Naja, ich trinke auch immer Alkohol. Dass er mittlerweile auch zum Arbeiten mal ein paar Muntermacher nimmt, um die Nachtschicht zu überstehen? Legitim in der Projektphase. Dass er in einer Woche so viel konsumiert, wie die ganze WG zusammen? Der hat halt ‘ne andere Toleranzgrenze.
Man braucht keinen Experten um zu ahnen, dass Martin ein massives Drogenproblem hat. Und dass dieser Konsum seinen Körper zerstören wird, bevor er dreißig ist. Dass sehr wahrscheinlich unter dem Hedonisten-Gehabe ein paar Psychosen schlummern. Und dass wir als seine Freunde am Ende vielleicht ein bisschen mit Schuld sind, nicht rechtzeitig reagiert zu haben. Ist es nicht sogar unsere freundschaftliche Pflicht, etwas zu tun?
Das Problem ist, dass Drogen in unserem Umfeld generell normalisiert sind
Wenn ich diese Frage Menschen stelle, die Martin genauso nahestehen wie ich, geraten wir in eine Zwickmühle: Das Problem ist, dass Drogen in unserem Umfeld generell normalisiert sind. Mit wachsender Semesterzahl und der Begeisterung für Techno ist automatisch auch die Drogendichte im Freundeskreis gestiegen. Wer wäre ich, da mit erhobenem Zeigefinger andere zu ermahnen? Und ab wann ist es fahrlässig, das nicht zu tun?
„Unbedingt ansprechen, da gibt es offensichtlich ein Problem“ meint Andrea Kronsteiner, Gesundheitspsychologin bei der Drogenberatungsstelle Kolping. Sie gibt mir eine Liste von Fragen an die Hand, mit denen sich Sucht vom sogenannten „Probierkonsum“, unterscheiden lässt:
- Werden Drogen zur Entspannung gebraucht, obwohl es auch andere Mittel gäbe?
- Check.
- Wird übermäßig viel über das Thema Drogen gesprochen?
- Ja, insbesondere freitags.
- Kommt es zu Wensensveränderungen?
- Ohne Drogen ist Martin auf jeden Fall schlecht drauf.
Vermutlich haben nach dieser Definition alle, die abends ein Bier trinken um runterzukommen, ein Drogenproblem und das soll an dieser Stelle auch nicht verharmlost werden. Aber bei Martin dominiert der Konsum die gesamte Freizeitgestaltung, er ist omnipräsent, er macht ihn zu einer Person, die anders keinen Spaß mehr haben kann. Und das merkt man als Freundin natürlich als erste. Aber wie soll man ein Problem ansprechen, das man Jahrelang beobachtet und vielleicht sogar befördert hat?
„Ich-Botschaften“, rät die Drogenexpertin Kronsteiner und meint damit: „Erst mal über die eigenen Ängste und Gefühle sprechen.“ Ich habe Angst, dass dein Körper das irgendwann nicht mehr packt. Ich habe das Gefühl, das verändert deine Persönlichkeit und die mag ich eigentlich sehr. Zum Beispiel.
Vor allem solle man aber im Gespräch darauf achten, vorsichtige Beobachtungen statt Vorwürfe zu formulieren: „Mir ist aufgefallen, wie schlecht es dir immer montags nach diesen krassen Wochenenden geht.“ Und der Person klarmachen, dass man sie nicht verurteilt, sondern sich ernsthaft Sorgen macht, weil man sie mag. „Freunde sind dafür die beste Adresse“, bestätigt auch die Expertin.
Ganz unvorbereitet sollte man aber nicht in so ein Gespräch gehen: „Es ist wichtig, konstruktive Hilfsangebote zu schaffen. Man kann schon vorher Beratungsangebote raussuchen und die eigene Hilfe anbieten, wenn man sich dazu in der Lage fühlt“, sagt Kronsteiner. Allerdings müsse der Betroffene dazu auch selber einsehen, dass er ein Problem hat: „Wer völlig uneinsichtig ist, wird keine Hilfe annehmen“, weiß sie aus Erfahrung. Selten kommt die Einsicht aber von ganz alleine. Allerdings eher durch einen größeren körperlichen Einbruch oder eine „gerade noch mal gutgegangen“-Situation.
Ich könnte jetzt darauf warten, dass es dazu kommt. Ich würde es mir aber nie verzeihen, wenn diese Situation nicht „gerade noch mal gutgeht“. Echte Freunde sollten es darauf nicht ankommen lassen und lieber ein unangenehmes Gespräch mit dem Betroffenen in Kauf nehmen.
Dafür werde ich einen Zeitpunkt abpassen, der kein Freitag und kein Montag ist. Und dann werde ich meiner freundschaftlichen Pflicht nachkommen. Unter anderem, um mich von potenziellen Gewissensbissen zu befreien. Aber auch, weil ich den anderen Martin, den ohne Drogen und Exzess, vermisse. Und weil ich glaube, dass dieser Martin mir irgendwann einmal vielleicht sehr dankbar dafür sein wird.
*Martin heißt eigentlich anders
Wenn du selbst ein Suchtproblem hast oder Menschen in deinem Umfeld helfen möchtest, findet du hier Unterstützung: Eine Übersicht über verschiedene Beratungsprogramme, Anonyme Sucht- und Drogenhotline und Hilfe für Angehörige und Freunde