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Menschen, die nicht mit Stäbchen essen können, brechen mir das Herz

Illustration: Daniela Rudolf

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Ich breche mir sozusagen regelmäßig selber das Herz: Nämlich dann, wenn ich mit Stäbchen esse. Oder genauer: wenn ich versuche, mit Stäbchen zu essen, denn ich kann es nicht richtig. Trotzdem tue ich es immer wieder – und riskiere damit, schlimmstenfalls wie eine Fünfjährige ohne Tischmanieren auszusehen.

Neulich war ich bei einem Vietnamesen, bei dem man auf sehr niedrigen Hockern sitzt, sich über genauso niedrige Holztische beugt und dabei versucht, noch einigermaßen würdevoll auszusehen. Ich habe Reisnudeln mit Gemüse und Tofu bestellt. Der Typ neben mir aß Pho, eine vietnamesische Nudelsuppe. Er tat das mit zwei langen Stäbchen, und zwar unglaublich souverän. Seine Bewegungen waren natürlich und elegant, und mit Sicherheit dachte er keine Sekunde darüber nach, mit welcher Strategie er möglichst viele Nudeln zwischen diese beiden langen Holzdinger klemmen könnte. Er machte es einfach. Wie ich selber aussah, kann ich mir ungefähr vorstellen – ich kenne das ja vom Beobachten anderer Menschen, die sich ähnlich dumm anstellen wie ich. Viele, die nicht mit Stäbchen essen können, outen sich gleich und nehmen normales Besteck. Andere haben den Ehrgeiz, es zumindest zu versuchen, immer und immer wieder. Manchmal gibt es auch einfach keine Gabel und keinen Löffel, und man hat keine Wahl.

 

Laut klatscht das Tofustück aus der Stäbchen-Klemme zurück in die Soße

Dann kann man den Kampf mit der eigenen Würde in verschiedene Phasen einteilen. In Phase eins ist der Teller noch gut gefüllt. Es ist einfach, die leicht zu fassenden Komponenten rauszupicken, große Gemüsestücke oder Fleisch zum Beispiel. Irgendwann bleiben vor allem die glitschigen Nudeln oder die Sprossen oder der in Soße getränkte Reis übrig, der zwischen den Stäbchen zerfällt. Hier beginnt Phase zwei, schon wesentlich weniger souverän. Menschen wie ich müssen im Schnitt drei Mal ansetzen, um eine ausreichende Menge Essen zwischen die beiden Stäbchen zu klemmen. Der richtig schwierige Moment aber sind die paar Sekunden, die es braucht, um das Essen vom Teller in den Mund zu führen. Denn was ist unwürdiger, als quasi im Inbegriff des Zubeißens ins Leere zu schnappen, weil das glitschige Tofustück wieder zurück in die Soße klatscht, kurz bevor es den Mund erreicht? Spätestens in diesem Moment bricht mir das Herz. Phase drei erreiche ich nicht immer. Wenn möglich, schwenke ich spätestens jetzt auf einen Löffel um. Denn ist der Teller fast leer, ist es für Stäbchen-Looser extrem schwierig, das verbleibende Essen sicher in den Mund zu befördern. Die Folge ist ein meist erfolgloses und auch ziemlich frustrierendes Herumstochern.

Sehe ich jemanden, dem es genauso geht wie mir, dann macht mein Herz leise Knack. Denn sich beim Essen mit hoher Wahrscheinlichkeit vollzukleckern, Fleischstücke in Soße spritzen zu lassen, Reiskörner neben dem Teller zu verteilen, all das ist das Gegenteil von cool. Und man könnte es ja so gerne, würde auch lieber lässig seine Nudeln aus der Pho fischen und dabei nicht albern oder verzweifelt aussehen, sondern einfach ganz normal.

Im Internet habe ich gelesen, man solle daheim üben, Erdnüsse mit Stäbchen zu essen. Wer das kann, steht in dem Artikel, dem gelingt auch der souveräne Besuch eines Stäbchen-Lokals. Das Problem ist: So ehrgeizig bin ich nicht, und ich glaube, es geht vielen so. Meist vergesse ich schnell wieder, wie ungeschickt ich bin und wie viel Herzensbrecher-Potenzial meine kläglichen Versuche haben. Bis ich dann wieder beim Vietnamesen vor meinen Nudeln sitze und der Kampf in drei Phasen erneut beginnt.

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