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Horror-Urlaub: Gestrandet in London

Kein Pass, kein Flug!
Illustration: Julia Schubert

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Reiseziel: England mit dem Mietwagen

Reisebegleitung: Pärchenurlaub

Horrorstufe: 8 von 10

Englands Südküste mit dem Leihwagen erkunden, in diversen Pubs einen Pint Bier trinken – solche Gedanken hatte ich im Kopf, als ich im vergangenen Sommer im Flieger Richtung London Stansted saß. Dass ich eine Woche später am gleichen Flughafen stehen und mir nichts sehnlicher wünschen würde, als wieder nach Hause zu können, hätte ich niemals erwartet.

Aber von vorne: Nachdem mein Freund Felix und ich also tatsächlich mit unserem kleinen grauen Leihwagen nach Brighton gefahren waren, dort an jedem Abend in schummrigen Pubs saßen und ein Pint nach dem anderen getrunken hatten, sollte uns der Flieger von London Stansted zurück nach Frankfurt bringen. So der Plan.

Wir gaben also unseren Leihwagen ab und ließen uns in der Sicherheitskontrolle von allen Seiten beleuchten. Ich packte gerade meinen durchsichtigen Beutel mit den Flüssigkeiten zurück ins Handgepäck, als Felix mir plötzlich auf die Schulter tippte. In der Hand hielt er seinen Geldbeutel, so ein altes, ledriges Teil, das an den Seiten nur noch mit Klammern zusammengehalten wurde. „Ähm“, sagte er, „ich kann meinen Ausweis nicht finden. Hoffentlich hab ich den nicht verloren“. Ich fragte mich noch, wie man nur seinen Ausweis verlieren kann, sagte dann aber in seine Richtung: „Aber deinen Führerschein hast du dabei, oder?“

Ist der Führerschein doch die Rettung?

Hatte er. „Dann ist ja gut“, dachte ich. Mit dem Führerschein kann man sich in Deutschland ja überall ausweisen, dann müsste er damit auch fliegen können. Zur Sicherheit wandten wir uns an einen der Mitarbeiter am Flughafen. „Müsste klappen“, sagte er in typischem Oxford-Englisch. Mittlerweile war es draußen dunkel geworden, in dem riesigen Flughafengebäude gingen die Lichter an, die ersten Cafés und Geschäfte verschlossen ihre Türen. Dann kam die Info, dass unser Flieger mehrere Stunden Verspätung haben würde. Ich machte mir Sorgen, dass wir uns nirgends mehr Snacks und was zu trinken kaufen könnten. Vielleicht eine leise Vorahnung? Ich würde nämlich die ganze Nacht an diesem Flughafen verbringen.

Nachdem wir also mehrere Stunden auf unseren verspäteten Flieger gewartet hatten, wurden wir endlich aufgerufen und reihten uns in die Schlange zum Flieger ein. Ich ging vor, zeigte der Frau am Schalter mein Ticket und meinen Ausweis und ging an ihr vorbei. Felix machte das Gleiche mit seinem Ticket und seinem Führerschein. „That‘s not an ID“, sagte die Frau. „Ja, er hat seinen Ausweis verloren. Aber ihr Kollege hat gesagt, das wäre kein Problem“, sagte ich auf Englisch zu ihr, woraufhin sie einen Hörer in die Hand nahm und in schnellem Englisch mit irgendjemandem sprach. „Please leave this area“, sagte sie dann etwas unfreundlich zu uns und zeigte auf Plastikstühle, auf die wir uns setzen sollten.

Auf diesen türkisen Plastikstühlen begannen die furchtbarsten Minuten meines Lebens. „Felix, was ist, wenn wir jetzt nicht nach Hause kommen?“, sagte ich in ziemlich weinerlichem Tonfall. „Und was ist mit meinem Auto?“ Das stand auf einem teuren Parkplatz in Frankfurt am Flughafen. „Und was ist mit Fritzchen und Finchen?“ Unsere Katzen wurden während unseres Urlaubs von der Nachbarin gefüttert, aber sie vermissten uns bestimmt ganz schrecklich. Klar hätte ich auch allein in den Flieger steigen können. Ich hatte meinen Ausweis ja. Aber was wäre ich für eine Freundin, wenn ich meinen Partner mutterseelenallein in England lassen würde? Mitgehangen, mitgefangen.

„Wir kommen schon nach Hause“, antwortete Felix noch ganz optimistisch. Tja, kamen wir aber nicht. Jedenfalls nicht mit dem von uns gebuchten und bezahlten Flug. „No ID, no Flight!“, erklärte uns die Frau am Schalter kurze Zeit später. Spätestens jetzt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

Zurück auf deutschem Boden – in London

„You have to go to embassy“, riet uns die Frau noch, bevor sie die Türen in Richtung Flugzeug verschloss. Wie sich dank Google-Translator herausstellte, meinte sie das deutsche Konsulat. Und das befand sich mitten in London. Viele Kilometer von unserem jetzigen Standort entfernt. Zudem war es inzwischen mitten in der Nacht. Jetzt heulte ich so richtig.

Felix machte den Vorschlag, dass wir uns jetzt mit unseren Koffern auf den Plastikstühlen schlafen legen sollten. Am nächsten Morgen könnten wir immer noch nach London fahren. An Schlaf war aber nicht zu denken. Die Flughafen-Mitarbeiter machten uns nämlich schnell ziemlich deutlich klar, dass wir nicht im Check-In-Bereich bleiben dürften. Dort hineinzukommen war ohne ID kein Problem gewesen – raus hingegen schon. Am Ende begleitete uns eine Frau in Warnweste durch die Katakomben des Flughafens hinaus.

Dort nahmen wir einen ziemlich teuren Bus in Richtung London. Mittlerweile war es vier Uhr morgens, ich sackte also einfach nur noch auf den Sitz im Bus und schlief ein. Die nächsten Stunden, die wir vor dem Konsulat in London saßen und von mutmaßlich Obdachlosen nach Geld und Zigaretten gefragt wurden, einen Feueralarm mitbekamen und kurz um unser Leben bangten, überspringe ich jetzt mal. Als das Konsulat schließlich öffnete, wurden wir dort hinter einer Glasscheibe von einer Dame im rosa Dirndl empfangen. Inzwischen war mir alles so egal. ich konnte nicht mal mehr darüber lachen. Insbesondere nicht, als uns die besagte Dame anschaute, als seien wir blöd, weil wir keine Fotos von Felix‘ Ausweis dabei hatten. „Wie soll ich nun wissen, dass Sie wirklich in Deutschland leben?“

Ich war mir sicher, dass sie das auch in ihrem Computer nachschauen könnte. Konnte sie dann auch. Für 25 Pfund bekam Felix einen vorläufigen Ausweis, 40 Pfund für den Express nach Heathrow und 500 Euro für den Lufthansa-Flug nach Frankfurt später, stiegen wir schließlich in ein Flugzeug, das uns nach Hause bringen sollte. Dort angekommen stand für mich fest: Felix bekommt einen neuen Geldbeutel. Und ich mache sofort Fotos von unseren Ausweisen. Jedenfalls dann, wenn Felix einen neuen haben würde. Der alte blieb nämlich verschwunden.

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