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Es lebe der Leberkäse!

Illustration: Katharina Bitzl

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Als der Metzger Käsmeier noch wirkte, in seinem winzigen Laden in der Hübnerstraße im Münchner Westen, gab es ein Ritual, das sich täglich mehrmals wiederholte. Wann immer ihm der warme Leberkäs zur Neige ging, erklomm er die drei Stufen, die die Metzgertheke von seiner Wohnung trennten und rief vergnügt in Richtung Küche: „Wo bleibt da Leberkas?“ Daraufhin erschien binnen weniger Minuten entweder seine Frau oder die ebenfalls vorrätige Oma, in beiden Händen den gewaltigen Laib Leberkäse aus dem Ofen, den sie am Treppenabsatz stolz der wartenden Kundschaft präsentierten, wie einen dampfenden Pokal. Für ein paar Sekunden starrte dann alles andächtig auf den Fleischziegel und jeder, bis hin zum „50 Gramm Gelbwurst und Hühnerherzen für die Katz’“-Weiblein, fügte danach seinem Einkauf wie selbstverständlich noch eine Leberkässemmel hinzu, auf die Hand natürlich und nicht wegen Hunger, sondern nur so, wegen Gusto. Einem dampfenden Leberkäse kann man schlecht widerstehen, es wäre ganz gegen die hiesige Natur.

 Es stimmt also schon, in München ist die Erde manchmal eine Scheibe. Eine Scheibe zwischen zwei Semmelhälften, warm und bitte nicht zu dünn. Die Leberkässemmel ist ein Baustein dieser Stadt und zwar nicht nur metaphorisch, sondern ganz handfest, denn für Handwerker und Bauarbeiter ist sie in der Pause so notwendig wie später wieder die Mörtelkelle und die Wasserwaage. Sie ist nicht nur eine Maßeinheit der Gemütlichkeit, sondern Verkörperung dessen, was das Wort Brotzeit eigentlich meint. Sie schafft Instant-Friedlichkeit. Ach, und sie kann noch so vieles mehr sein. Eine Zeiteinheit, wenn man sich „nur schnell eine Leberkässemmel“ ausbedingt, sie ist eine Währung auf dem Pausenhof oder im Sportverein, wo man am Ende des Monats bei manchen mit drei Leberkässemmeln in der Kreide steht, sie kann Belohnung, Ansporn, Trost und Lebensretter sein. 

Der Leberkäs war auch schon immer da. Schon bei Ludwig Thoma, von dem es ein „Volksschauspiel in einem Aufzug“ gibt, in dessen Verlauf der Großvater fast den Verstand verliert, weil sein Enkel noch keinen Leberkäse kennt. Er ist beim Pumuckl, der seinen Leberkäs gegen die Katze verteidigen muss. Er taucht früh im eigenen Leben auf, in der Schule vielleicht als „LK-Semmel“, mit der man sich das kleine Stück Freiheit vor dem Nachmittagsunterricht erkauft und das auch zuverlässig Anlass hochernster Testessen für die Schülerzeitung wird. Schon in dieser Zeit, in der man sich um derlei eigentlich nicht schert, ist der Leberkäse in der schwitzenden Warmhaltetheke irgendwie noch ehrlicher als die verschrumpelten Würste und die vertrockneten Schnitzel.

Das Tolle beim Leberkäs ist seine Zuverlässigkeit, er unterliegt geschmacklich kaum großartigen Veränderungen, weder nach oben noch nach unten. Man weiß, was man kriegt. Trotzdem ist er keinesfalls so sterilidentisch wie ein Big Mac, eine kleine eigene Seele schlummert doch in jeder Leberkässemmel.

Sicher, man hat auch Schlimme gehabt in seinem Leben, solche, nach denen man sich mit einem Schlag der ganzen Schrecklichkeit dieser Speisung bewusst war, dieses unmöglichen Fleischteigs, von dem sprichwörtlich nicht mal der liebe Gott weiß, was alles drin ist. Aber das vergisst man wieder, spätestens bei der übernächsten Semmel, bei der wieder alles stimmt, bei der Semmelumfang und überlappende, rosige Scheibe genau im richtigen Verhältnis stehen, nämlich so, dass man beim ersten Biss Kruste, Fleisch, Semmel und einen Klacks Senf erwischt. Dann ist diese Semmel wieder die verlässliche Konstante, der kleine Kammerton des bayerischen Handessens. Dem Münchner sein Fastfood ist die Leberkässemmel viel eher noch als die Weißwurst, die zwar mehr Legende und mehr Aufhebens um sich macht, aber viel aufwendiger und irgendwie kleinteiliger ist, mit ihrer Weißbier-Brezn-Zuzel-Folklore. Für die braucht man schon einen freien Vormittag im Kalender. Eine gut gepackte Leberkässemmel hingegen, die nicht zu sehr überlappt, keine zu resche Semmel als Matrix hat und nicht zu viel Senf, das ist eine stabile Geschmackseinheit, die kein Gewese um sich macht, ein aerodynamischer Designklassiker, der zur Not in die Manteltasche und ins Handschuhfach passt. Das geht mit einer Bratwurstsemmel ja nicht und auch nicht mit der Currywurst, um die sich Ruhrgebiet und Berlin gerne streiten können. Die Leberkässemmel ist mobil, im Gegensatz zum Döner ist sie sogar einigermaßen tramkompatibel und die Kollateralschäden beim Verzehr halten sich in Grenzen, eine Serviette reicht. Der geübte Esser braucht gar keine, weil er ja die Semmel hat.

Man ist nach einer Leberkässemmel vielleicht nicht satt, aber auf jeden Fall nicht mehr hungrig. Zwei hintereinander sollte man nicht essen, sie zaubert so recht eigentlich nur bei der ersten. Man kann danach sofort weitermachen, egal, ob es Flößen ist, Fußballspielen oder ja, Abendessen. Vielleicht ist sie die beste bayerische Tradition überhaupt, eine, für die man weder Tracht noch Anlass braucht, die keine Modernisierung nötig hat und trotzdem generationsübergreifend beliebt ist. Jeder Münchner versteht das Prinzip Leberkässemmel, wahrscheinlich könnten sogar Vegetarier rein platonisch ihre Zuneigung bekennen. Sie ist nie was Besonderes, aber immer was Richtiges. Sie wird nie „in“ sein und man kann sich nicht vorstellen, dass bei Vernissagen oder Clubnächten je Leberkässemmeln gereicht werden, sie hat ja gar kein Ironiepotenzial und zimperliche Mädchen werden immer auch „Igitt!“ denken. Denn sie ist derb, proletarisch, schlicht. Ein Arme-Leute-Essen, wie man spätestens seit Monaco Franze weiß, als es ihm zum Ende hin wirtschaftlich immer schlechter geht und sich seine Annette von Soettingen schon „nur noch von Leberkässemmeln ernähren“ muss, während der Monaco freilich weiterhin Walderdbeeren nascht. 

Das ist ohnehin so ein Punkt: Als Erwachsener und Nicht-Handwerker hat man sich aus dem Leberkässemmel-Umfeld ein wenig entfernt. Man weiß dann über die katastrophalen inneren Werte Bescheid, weiß, dass jeder Ernährungsberater angesichts einer Semmel mit einem Saturnring aus gebackenen Fleischteig die übelsten Prognosen abgibt. Deswegen ist sie ab einem gewissen Zeitpunkt im Leben ein kleiner, köstlicher Sündenfall, etwas, von dem man niemandem erzählt. Eine Delikatesse, die es nur noch selten gibt.

Dem Metzger Käsmeier ist der Leberkäs letztlich auch irgendwie zum Verhängnis geworden, erzählt man sich. Den Behörden hätte das Aufbacken in der Wohnung, überhaupt das direkte Nebeneinander von Wohnraum und Fleischtheke nicht mehr gepasst, es setzte neue Auflagen. Deswegen machte der Käsmeier eines traurigen Samstags im Februar 2011 zum letzten Mal die Tür auf, zum letzten Mal dampfte es heiß über die Reihe der Trauergesellschaft, die sich eingefunden hatte. Die Stammkunden hatten zum Abschied Blumen und Pralinen mitgebracht und gingen mit nichts als einer kleinen, warmen Semmel.

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