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"Sternzeichen Skorpion? Dann muss ich dir absagen!"

Foto: Alessandra Schellnegger

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Ich sitze in einer verrauchten Küche und klammere mich an meinem Radler fest. Mir gegenüber: Sandra, meine potenzielle zukünftige Mitbewohnerin. Rechts und links von ihr sitzen drei Freundinnen, die in der Wohnung darüber beziehungsweise noch in dieser Wohnung wohnen. Sie lachen viel, erzählen von den letzten Partys. Sie fragen mich, was ich mache in meinem Leben, in meiner Freizeit. Ich versuche möglichst entspannt zu sein, möglichst ich selbst, möglichst mein cooles Selbst. Ich trinke noch einen Schluck Radler, sage, dass ich Interesse habe an dem Zimmer, dass ich sehr gerne einziehen würde. Sie werden sich bis Sonntag entscheiden.

Auf dem Nachhauseweg denke ich darüber nach, ob ich das Zimmer wirklich nehmen würde. Sandra und ihre Freundinnen haben in der Küche geraucht, für mich ein ziemliches No-Go. Ich bin ganz am Anfang meiner Wohnungssuche. Ich stelle noch Ansprüche. Und weiß noch nicht, wie sehr sich das ändern wird.

Vier Wochen habe ich, um in München ein Zimmer zu finden. Dann endet meine Zwischenmiete und ich muss aus meiner Wohnung raus. Natürlich bin ich aufgeschlossen, tolerant, kein Stubenhocker, für einen Spaß zu haben und gelegentlich sportlich. So sollte ich zumindest sein, denn so wünschen es sich die meisten WGs in ihren Anzeigen.

Der Standardpreis für ein unmöbliertes WG-Zimmer in München liegt laut einer Studie des empirica-Instituts bei 530 Euro warm. Ein Zimmer im Wohnheim kostet im Schnitt etwa 280 Euro. Die Wartezeiten liegen zwischen einem und vier Semestern, je nachdem, wie attraktiv die Wohnlage ist. Im Jahr 2015 hatten 8,5 Prozent der Studierenden einen Wohnheimplatz, der Großteil ist also auf den privaten Wohnungsmarkt angewiesen.

Der Sonntag vergeht, ohne eine Nachricht von Sandra. Mein anfänglicher Elan ist verflogen. Auf unzählige Anfragen habe ich keine Antwort bekommen. Eine WG schreibt unter ihre Anzeige: „Wenn wir nicht zurückschreiben, sei nicht böse, wir haben 50 Nachrichten in einer Stunde bekommen, wir haben entschieden, nur denen zu antworten, die für uns in Frage kommen“. Einen Besichtigungstermin sagt die Vermieterin einen Tag vorher ab, es gebe schon einen neuen Mieter. Ein anderes Mal stehe ich vor der Haustür. Drücke auf die Klingel. Niemand macht auf.

Mehr als 600 Anfragen für eine Wohnung

Endlich habe ich einen neuen Termin. Ich darf mir eine Einzimmerwohnung am äußersten Rand der coolen Münchner Stadtteile ansehen. Die jetzige Mieterin heißt ebenfalls Sandra und sucht eine Nachfolgerin. Sie hat über 600 Anfragen bekommen. 15 Frauen hat sie eingeladen. Eine davon bin ich. Ich komme herein, bin natürlich nicht die Einzige. Eine andere Interessentin, nennen wir sie Anna, sprüht vor Sympathie und erzählt, dass sie aus ihrer Wohnung raus muss, weil ihr Vermieter Eigenbedarf angemeldet hat. Seit April wohnt sie erst dort und hat die Wohnung komplett neu eingerichtet. „Oh nein, was machst du denn dann mit deinen Möbeln?“, fragt Sandra. Sie gibt ihre Wohnung nämlich nur möbliert weiter. Anna zuckt mit den Schultern: „Die muss ich dann wohl irgendwo unterstellen, da kann man nichts machen.“ Eine möblierte Wohnung nehmen, obwohl man sich gerade neue Möbel gekauft hat – so verzweifelt sind Wohnungssuchende in München.

Auch ich unterschreibe eine Vereinbarung, dass ich für die Möbel, die mir nicht gefallen, 1500 Euro zahlen würde. Ich gebe meine tadellose Schufa-Auskunft ab, die ich mir für 30 Euro bei der Bank besorgt habe, die Bürgschaft meines Vaters samt Lohnsteuererklärung und Personalausweiskopie. Drei Tage später kommt die Absage.

Ich habe meine finanzielle Lage offengelegt, vertrauliche Daten an wildfremde Menschen weitergegeben und trotzdem: nichts.

„Alle Leute, die weniger Geld zur Verfügung haben, und dazu zählen viele Studenten, haben besonders unter dem angespannten Wohnungsmarkt zu leiden“, sagt Tina Angerer, Pressesprecherin des Münchner Mietervereins. „Es gibt für sie immer weniger bezahlbaren Wohnraum.“ Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln sind die Mietpreise für studentisches Wohnen in München zwischen 2010 und 2015 um 16,5 Prozent gestiegen. Um die Preise, mit denen die Studierenden konfrontiert sind, zu vergleichen, haben die Forscher eine Musterwohnung definiert. Sie ist 30 Quadratmeter groß, unmöbliert, aber mit Einbauküche, inklusive Nebenkosten wie Strom und Heizung und liegt in einem Umkreis von 1,5 Kilometern zur Uni. Die Musterwohnung kostet in München 580 Euro. Das sind die Zahlen für 2015, heute wäre sie noch einmal teurer – und sie ist unendlich schwer zu bekommen.

Meine Verzweiflung wächst. Einmal antworte ich versuchsweise auf eine Anzeige für eine Wohnung, die eigentlich weit über meinem Budget liegt. 800 Euro Monatsmiete für eine 1-Zimmer-Wohnung in Uninähe. Die E-Mail kommt schnell. Ich kann gerne zur Besichtigung kommen. Wir finden keinen Termin, schreiben fünf Mal hin und her. Bei einer günstigeren Wohnung wäre mir das nicht passiert. Bei der kleinsten Schwierigkeit mit der Terminfindung wäre ich raus gewesen – hinter mir 500 andere Interessenten, die die Wohnung gerne hätten. Je günstiger die Wohnung, desto größer ist die Konkurrenz und desto mehr Macht hat der Vermieter. „Im Univiertel ist viel saniert worden“, sagt Angerer. „Vieles ist für Studenten kaum noch bezahlbar, sie müssen in andere Viertel ausweichen.“

"Wir suchen nach Sternzeichen aus"

Zum Beispiel nach Obergiesing, ein Viertel am Rand von München. Ich entdecke eine Anzeige für eine „nette Haus-WG“. Ich rufe an. Hans meldet sich. Wir unterhalten uns kurz, dann sagt er: „Darf ich nach deinem Geburtsdatum fragen?“ Ich nenne es ihm. „Dann bist du also Skorpion? Ja, dann muss ich dir leider absagen.“ Und leider meint Hans das ernst. „Wir suchen hier nach Sternzeichen aus, wir hatten schon zweimal Pech mit Skorpionen.“ So absurd das klingt, die Menschen, die ein Zimmer anbieten, sitzen am längeren Hebel. Nach Lust und Laune können sie sich Kriterien ausdenken. Eine alternative WG sucht nach Menschen, die lieber kalt duschen als warm. In einer anderen Anzeige wird nach homosexuellen Männern gesucht, die gerne ins Fitness-Studio gehen und denen man das auch ansieht. Anfragen bitte mit Foto!

Eine „super 7-er WG möchte neue_n Mitbewohner_innen“ finden. Sie legen Wert auf Gemeinschaft und auf einen bewussten Alltag mit Blick auf andere. Ich schreibe von meinem freiwilligen sozialen Jahr und dass ich aus Umweltgründen Vegetarierin bin. Yvonne antwortet: Sie würde noch interessieren, welche Rolle Spiritualität in meinem Leben spielt. 

Spiritualität? Ich bin versucht, die E-Mail einfach zu löschen. Aber ich brauche ein Zimmer, wenn es sein muss auch in einer WG, in der ich vor dem Kaffeetrinken ein Tischgebet sprechen muss. Dreist lügen kann ich aber auch nicht. Ich schreibe: „Ich glaube nicht an Gott, aber an die Macht der Liebe und des menschlichen Miteinanders. Es ist mir wichtig, auf andere zu achten und die Auswirkungen meines Tuns auf andere zu überdenken.“ Zu einem Telefongespräch kommt es leider nicht. Offensichtlich haben spirituellere Menschen meine Anfrage von der Tagesordnung verdängt.

Die Wohnungssuche ist ermüdend. Aber eine Nachricht auf Whatsapp macht mir Hoffnung. Florian schreibt: „Melde mich morgen wegen Termin. Sollte gut aussehen und werde nicht viele einladen“. Es gibt sie also: Vermieter, die diesem verrückten Wohnungsmarkt trotzen. Voller Hoffnung komme ich zur Besichtigung. Florian zeigt mir das Zimmer. „Du kannst es dir ja mal überlegen“, sagt er. Das Haus ist schön, die Wohnung in Ordnung. Meine Mitbewohner lerne ich gar nicht kennen, sie sind wohl nur selten zu Hause. Vor ein paar Wochen hätte ich noch gezögert, jetzt entscheide ich sofort. „Ich will es haben!“, platze ich heraus. Florian macht jetzt den Vertrag fertig. Ich kann aufatmen. Sechs Monate ein Zimmer zur Zwischenmiete. Dann geht die Suche von vorne los.

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