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Die Freundschaftsverträge

Foto: Ljupco Smokovski / Adobe Stock

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Richtig gute Freundschaften erkennt man daran, dass sie Verträge enthalten. Kleine Abmachungen oder große Schwüre. Pragmatisches oder Größenwahnsinniges. Versprechen, den anderen zu retten, wenn es mal schlimm wird. Gemeinsame Rituale, ohne die die Freundschaft nicht mehr existieren könnte. Pläne, die weit in die Zukunft geträumt sind und der Freundschaft eine immer mitschwebende Vision geben, selbst wenn sie nie umgesetzt werden. Solche Verträge sind Zeichen, dass zwei Menschen einander wichtig sind.

Der Handyschwur mit Blut

Fast wäre der Blutschwur an seinem finalen Schritt gescheitert: dem Blut. Wir hatten feierlich eine Flasche Erdbeersekt hinter der Tankstelle geleert, geweint und den Freundschaftsvertrag auf der Rückseite eines Mathe-Arbeitsblattes aufgeschrieben. Und nun: gaben unsere Taschen nichts her, was sich auch annähernd zur Blutgewinnung eignete.

Meine beste Freundin und ich waren damals 17 und wir wollten uns schwören, dass wir immer, immer, egal in welcher Situation wir gerade stecken, ans Handy gehen, wenn der andere anruft. Egal mit wem wir gerade im Bett sind, wie viele Jahre seit dem Schwur vergangen und ob wir gerade stocksauer aufeinander sind. Dieser Schwur basierte lose auf einem Zitat aus „Der Teufel trägt Prada“, der zu diesem Zeitpunkt gerade in die Kinos kam. Darin gibt Alex, der Freund der Protagonisten, seine Definition einer Beziehung: „The person whose calls you always take? That’s the relationship you’re in.“ Mit unserem Telefon-Schwur wollten wir uns versichern, die wichtigsten Personen füreinander zu sein. Wir fingen damals gerade an mit Jungs und Sex. Und hatten beide Angst, dass Beziehungen zu Männern unsere Freundschaft überschatten werden. Zum Glück ließ sich der Tankstellen-Verkäufer dann doch noch für fünf Minuten sein Brotmesser abschwatzen, mit dem er sonst die Butterbrezen aufschnitt. Den Vertrag versiegelten wir mit einem blutigen Daumen und vermischten dann unser Blut.

Der Schwur gilt bis heute. Nur, dass wir jetzt aus Rücksicht eher SMS schreiben. Er hat uns tatsächlich näher zusammen gebracht. Vor allem, als wir Jahre später sehr intensive Minuten voller Paranoia miteinander verbrachten, als wir auf die Ergebnisse unserer HIV-Tests warteten.

Von Pauline Achtermann

Die Patentante

Wenn ich bei Kathi übernachtete, schlief ich immer auf der Galerie. Nach ungefähr 20 Sprossen lag man oben, knapp unter dem Dach, zusammen mit den Kuscheltieren, die sie eigentlich nicht mehr brauchte, aber auch nicht wegwerfen konnte. Außer das abgenagte Lieblingskuscheltier. Das schlief bei ihr unten im Bett.

Auf der Galerie war Platz für alle Träume, die wir so hatten: nach New York zu reisen, Ärztin und Schriftstellerin zu werden und viele Kinder zu haben, die genauso gut befreundet sein würden wie wir. Mit 14 versprachen wir uns in die Dunkelheit hinein , dass die erste von uns, die ein Baby haben würde, die andere zur Patentante ernennen würde.

In New York waren wir zwei dann tatsächlich nach dem Abi, aber schon unsere Studienpläne führten uns an verschiedene Orte. Und die vielen Kinder? Großes Bindungsangst-Zweitstudium-Wirtschaftskrisen-Generation-Y-Urgs!

Letztes Jahr im Juli schrieb ich Kathi eine SMS: „Bin in München. Treffen und News austauschen? Lg“ Sie schenkte mir eine Minipflanze. So könnte ich schon mal üben, mich um etwas ganz Kleines zu kümmern! Ich war ganz baff. Ich hatte noch gar nicht erzählt, dass ich Mama werde. Da hatte meine beste Freundin mal wieder zwischen den Zeilen gelesen. Letzten Monat haben wir das Versprechen eingelöst. Nach der Taufe haben wir bei Sonne und 39 Grad im Garten gegrillt. Kathi hat die Taufkerze gebastelt – und das erste Geschenk war natürlich: ein Lieblingskuscheltier zum Abnagen.

Von Nadine Gottmann

Der Lieblingssong am 13. jedes Monats

Yamuna und ich lernten uns mit sechs Jahren beim Flamenco kennen. Irgendwann löste sich die Gruppe auf und wir verloren uns aus den Augen – bis wir uns nach Jahren zufällig in der Schule im selben Spanischkurs wieder trafen. Die ganze Oberstufe hindurch waren wir uns sehr nah. Wir kochten uns Tee und hörten einander stundenlang zu, wenn es einer nicht gut ging. Wir gingen zusammen tanzen oder zogen durch die Kneipen von Hamburg-Altona – fast immer nur wir beide. Es war jedes Mal wie ein Date, bei dem man der anderen Person die ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt.

Was wir ebenso liebten, war, gemeinsam auf Musik zu flashen. Wir konnten ganze Nächte vor Youtube oder dem Plattenregal ihres Vaters verbringen und Gänsehaut bei der Stimme einer unbekannten Soul-Sängerin bekommen oder die Virtuosität eines Flamencogitarristen feiern.

Nach der Schule zog Yamuna nach Sevilla und begann dort eine Flamenco-Ausbildung. Wenn wir uns sehen, ist die Nähe sofort wieder da, wir sind nur beide sehr schlecht im Kontakt halten. Deshalb haben wir, als wir uns vergangenes Jahr im Sommer in Hamburg getroffen und mal wieder eine Nacht auf dem Sofa vor der Anlage verbracht haben, einen Pakt geschlossen: Am 13. jedes Monats schicken wir uns den Link zu einem geilen Song. Ein Zeichen, dass wir aneinander denken, ohne uns updaten zu müssen. Ein frischer Impuls, wenn die Tage auf Repeat hängen geblieben sind. Eine kleine Botschaft, in welchem Rhythmus unser Herz gerade schlägt. Für den September habe ich bereits „gracias a la vida“ von Chavela Vargas ausgewählt – sie ist die einzige unter den vielen Frauen, die dieses Lied interpretiert haben, die anstelle von „der Mann, den ich liebe“ „die Frau, die ich liebe“ singt. Ein sehr tiefes, gefühlvolles Stück, das gefällt Yamuna bestimmt.

Von Lou Zucker

Die Abi-Wiederholungsfahrt

 

Hängebusen-Tour 2021. Saupeinlicher Name. Klingt nach Junggesellenabschied aus Rosenheim. Wenn überhaupt. Trotzdem freue ich mich wahnsinnig auf diese Reise.

 

Die Zutaten werden dieselben sein wie 2001, als wir nach dem Abi losfuhren: Fünf beste Freunde, zwei VW-Busse, zwei Monate Zeit, die Atlantikküste von Frankreich bis Marokko. Okay, zwei Monate werden vielleicht nicht hinhauen, vielleicht werden wir auch nicht bis Marokko kommen, aber das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass wir noch mal zusammen losfahren und diese Reise, die uns damals die beste aller möglichen Reisen zu sein schien, noch mal machen. Das haben wir uns damals geschworen, an einem dieser Absinth-Abende am Strand. Mit Vertrag, der die Bedingungen regeln sollte: Alle müssen mit, es gibt keine Ausreden. Freundinnen oder Frauen dürfen nicht mit. Die Bestverdienenden müssen für die VW-Busse sorgen.

 

Und den peinlichen Namen haben wir auch gleich festgelegt. Weil damals irgendwer mal „Bus-Tour“ auf eine staubige Scheibe geschrieben hat. Und es jemand anders lustig fand, da „Busen-Tour“ draus zu machen. Und wir es dann alle sehr lustig fanden, das Revival in 20 Jahren dann Hängebusen-Tour zu nennen.

 

Von Christian Helten

Das Jahresgespräch

 

Mein bester Freund und ich – wir kennen uns schon ewig – treffen uns seit fast einem Jahrzehnt jedes Jahr für ein langes Gespräch. Einfach, um sich noch mal an alles zu erinnern, was in den vergangenen zwölf Monaten wichtig war – und das Jahr mit einem Menschen, der einen sehr gut und lange kennt, aufzudröseln. Dabei geht es nicht darum, wie Unternehmensberater unser Leben optimieren. Sondern darum, sich bewusst Zeit zu nehmen, um zurückzublicken und eine Zwischenbilanz zu machen, was gerade passt und was nicht.

 

Wir fahren dann immer ein Wochenende zum Snowboarden. Aber manchmal kommen wir gar nicht auf den Berg vor lauter reden. Für das Gespräch betreiben wir nämlich vorher einen ziemlichen Aufwand: Am ersten Abend setzt sich jeder für sich hin und schreibt runter, was er das vergangene Jahr gemacht und erlebt hat. Monat für Monat, Ereignisse, Einschnitte, Probleme. Und dann erzählen wir uns das. Stundenlang.

 

Weil wir uns schon so lange kennen, wissen wir, dass wir dem anderen nichts vormachen können. Wir sind füreinander die Instanz, die die unangenehmen Fragen stellt, die man sich selbst nicht zu stellen trauen würde: Wir sind einander damit eine Kontrollinstanz in Sachen Selbstbeschiss. Wenn ich zum Beispiel erzähle, was ich für einen geilen neuen Job habe, merkt er sofort, ob ich mir das nur einrede. Nach einem dieser Wochenenden habe ich am Montagmorgen darauf meinen Job gekündigt.

 

David B., protokolliert von Christian Helten

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