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4400 Euro brutto im Monat für die Psychologin in der Friedensarbeit

Foto: Privat / Bearbeitung: jetzt

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Was Friedensarbeit ist und wie ich dazu gekommen bin

Ich habe mich schon recht früh für Politik und Internationale Zusammenarbeit interessiert. Schon als Kind hat mich die Frage beschäftigt, warum es Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen gibt. Ich habe später Psychologie studiert und dabei den Schwerpunkt auf Traumafolgen gelegt. Als 2015 so viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, habe ich mit vom Krieg betroffenen Menschen gearbeitet und eine Willkommensgruppe mitgegründet. Für mein Masterstudium wollte ich gerne ins Ausland. Nach einem Auswahlgespräch wurde ich an der Columbia University in New York City aufgenommen. Dort habe ich schnell gelernt, dass man als Psychologin auch präventiv arbeiten kann, in der Konflikttransformation, also der Umwandlung von gewaltsamen Auseinandersetzungen in Dialoge. Während meines Masters habe ich Kontakte zu Professor:innen geknüpft, die in dem Bereich arbeiten. Ein Dozent hat an einem Projekt der Berghof Foundation gearbeitet, so bin ich auf die Organisation aufmerksam geworden.

Was ist die Berghof Foundation?

Die Berghof Foundation ist eine unabhängige und gemeinnützige Organisation in Berlin, die sich seit 50 Jahren für Frieden einsetzt. Wir beteiligen uns an Projekten, etwa in der Türkei, in Kolumbien, in Äthiopien, im Jemen oder in Afghanistan. Dabei arbeiten wir eng mit dem Auswärtigen Amt zusammen, das unser größter Geldgeber ist. Die zentralen Anliegen sind, Raum für Friedensgespräche zu schaffen, nachhaltige und friedliche Lösungsansätze für Konflikte zu erforschen und die sogenannte Friedenserziehung. Letzteres wird auch in Deutschland praktiziert, beispielsweise indem Jugendliche erlernen, wie man mit Hassreden und Fake-News umgeht.

Wie der Alltag als Friedensarbeiterin aussieht

Ich arbeite seit drei Jahren in einem Team von acht Fachleuten am politischen Konflikt in Afghanistan. Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt finanziert und unterstützt. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die verschiedenen Konfliktparteien zusammenzubringen. Bis zur Machtübernahme durch die Taliban war unser zentrales Anliegen, die Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der damaligen Regierung zu unterstützen. Aus der Perspektive der Konflikttransformation sind Konflikte Teil menschlicher Interaktion und daher unvermeidlich. Problematisch wird es, wenn Konfliktparteien versuchen, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Unser Ansatz ist also nicht, den Konflikt zu lösen, sondern die Transformation eines gewaltsamen Konflikts in einen konstruktiven Dialog. Dafür bin ich mit vier Leuten aus meinem Team häufiger nach Kabul geflogen, um die ehemalige Afghanische Regierung auf die gemeinsamen Verhandlungen vorzubereiten. Zum Beispiel haben wir im September 2019 zusammen mit der deutschen Regierung den ersten Dialog organisiert, bei dem die afghanische Regierung und Vertreter der Taliban aufeinander getroffen sind. Zusätzlich haben dort noch Trainings stattgefunden.

Eine Übung, die wir dort angewendet haben, ist beispielsweise das „Conflict Mapping“, in dem die Teilnehmer ihre Ansichten bezüglich der politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge visualisieren. Uns war bei den Übungen also wichtig, die Kommunikation am Laufen zu halten und in geregelte Bahnen zu lenken. Seit der Machtübernahme der Taliban finden jedoch keine Friedensverhandlungen mehr statt. Aktuell steht vielen Afghaninnen und Afghanen eine humanitäre Katastrophe bevor. Die Versorgung der Menschen mit Hilfsgütern ist essentiell. Wenn wir das ermöglichen wollen, gibt es keine andere Möglichkeit für die internationale Gemeinschaft, als mit den Machthabern das Gespräch aufrechtzuerhalten. Um sicherzustellen, dass möglichst viele Hilfsgüter bei Menschen in Not ankommen, vermitteln wir Gespräche zwischen internationalen Akteuren und den Taliban.

Vorstellung vs. Realität

Einerseits ist mein Job natürlich sehr abenteuerlich und aufregend. Man ist bei Konferenzen auf hohem politischen Level dabei, wir hatten auch Meetings mit dem ehemaligen afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani und Außenministern verschiedener Länder. Andererseits verbringt man viel Zeit damit, Meetings vorzubereiten, Budgets in Excel-Tabellen zu erstellen und Reisen zu planen. Ich arbeite also auch viel von meinem Büro in Berlin aus. Da entwerfe ich Konzepte für Trainings und Meetings, dokumentiere unsere finanziellen Ausgaben, schreibe Artikel oder kommuniziere mit unserem Geldgeber, dem Auswärtigen Amt. Oft werden alle Pläne dann wieder über den Haufen geworfen, weil sich in letzter Minute doch wieder etwas geändert hat. Um Vertrauen zu schaffen, sind Feingefühl und das Zwischenmenschliche in den Gesprächen das Wichtigste. Oft dauert es eine Weile, bis sich die Akteure aufeinander einlassen oder einander wirklich zuhören.

Wie es ist, als Frau mit den Taliban zusammenzuarbeiten

Bei der Berghof Foundation arbeiten wir mit diversen Akteuren zusammen, die teilweise sehr kontrovers zueinander stehen. Unsere Bedingung für Gespräche ist nicht, dass wir in allen Punkten übereinstimmen, sondern dass die Akteure offen für Alternativen zur Gewalt sind und ein Interesse an nachhaltigem Frieden haben. Ich bin mir natürlich bewusst, dass ich als westliche Frau und Vertreterin einer deutschen Organisation anders behandelt werde als die meisten afghanischen Frauen. Seit Beginn unseres Einsatzes für Dialog und Verhandlung in Afghanistan, beziehen wir natürlich immer afghanische Frauen ein und betonen Frauenrechte.

Welche Eigenschaften man als Friedensarbeiterin in Afghanistan braucht

Flexibilität ist natürlich immer gefordert. Ich muss sowohl auf kurzfristige Planungsänderungen als auch auf plötzliche Unterbrechungen reagieren. Die eigene Anreise zum Verhandlungsort muss zudem gut durchdacht sein. Mit Jetlag und wenig Schlaf in solche Gespräche und Meetings zu gehen wäre – um es vorsichtig zu sagen – ungünstig. Außerdem benötigt man Geduld und Durchhaltevermögen. Man muss auch mit Rückschlägen umgehen können.

Wie viel man als Friedensarbeiterin verdient

Ich verdiene 4400 Euro brutto. Für Reisen bekomme ich einen Zuschlag. Die Verträge sind allerdings projektgebunden und somit befristet.

Die  Frage, die auf Partys immer gestellt wird

Oft werde ich gefragt, ob ich oder auch meine Verwandten Angst haben, wenn ich ins Kriegsgebiet reise. Ich habe vor meinem ersten Flug nach Afghanistan ein Sicherheitstraining absolviert. Da habe ich gelernt, wie ich mich bei einer möglichen Entführung oder einem Anschlag zu verhalten habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas überhaupt passiert, ist eher gering. Trotzdem sollte man vor Ort immer vorsichtig sein.  Wir sind in der Regel in gepanzerten Autos und mit Sicherheitspersonal unterwegs. 

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