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803 Euro netto im Monat für den Hartz-IV-Empfänger

Der 29-jährige Khaled (Name geändert) berichtet, warum er den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Hartz IV als problematisch ansieht.
Illustration: jetzt

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Wie man Hartz-IV-Empfänger wird

Ich habe meinen Bachelor in Wirtschaft mit 1,5 abgeschlossen und meinen Master in Politik und Wirtschaft mit 1,7. Ich spreche vier Sprachen fließend und habe fünf Praktika absolviert, in Deutschland und im Ausland. Trotzdem bin ich seit zwei Jahren Hartz IV-Empfänger. In den letzten beiden Jahren habe ich ungefähr 200 Bewerbungen für Jobs im politischen Bereich abgeschickt. Ich wurde zu fünf Vorstellungsgesprächen eingeladen, den Job bekam ich nie.

Der Alltag

Normalerweise stelle ich mir den Wecker und stehe zwischen neun und zehn Uhr auf. Sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen. Nach dem Aufstehen setze ich mich an eine Bewerbung oder an ein Formular, das ich für das Arbeitsamt ausfüllen muss. Oder an einen Artikel, an dem ich gerade ehrenamtlich arbeite. Ich habe eigentlich jeden Tag zu tun, bekomme aber kaum Bestätigung für meine Arbeit. Noch dazu habe ich ständig das Gefühl, dass ich zu wenig mache. Dieses Gefühl wird vom Arbeitsamt noch verstärkt: Immer wieder bekomme ich Anrufe oder Briefe von meinem Betreuer. Er will dann wissen, wo ich bei der Jobsuche stehe.

Wie viel man als Hartz-IV-Empfänger bekommt

Der Hartz-IV-Satz reicht zum Überleben, aber das war‘s auch. Das Arbeitsamt überweist mir monatlich 803 Euro. Davon sind 358 Euro für die Miete eines WG-Zimmers in einer Großstadt. Internet, Strom, Handy, Monatsticket und die Haftpflichtversicherung muss ich selbst bezahlen. Zieht man all diese Kosten ab, bleiben mir im Monat ungefähr 360 Euro. Zusätzlich arbeite ich ehrenamtlich in der Sozial- und Jugendhilfe, schreibe immer wieder für politische Magazine und arbeite wissenschaftlich für Stiftungen. Dabei verdiene ich zu wenig, um aus Hartz IV rauszukommen und zu viel, um das Geld für mich behalten zu können. Ich darf nämlich zusätzlich zum Hartz IV-Satz maximal 100 Euro im Monat verdienen, ehrenamtlich 250 Euro. Den Rest muss ich an das Arbeitsamt überweisen. 

Das Schwierigste

Mir fehlt nicht nur Geld, sondern auch die gesellschaftliche Anerkennung oder Teilhabe. Wenn ich Bewerbungen schreibe, bekomme ich normalerweise standardisierte Eingangsbestätigungen und die Ablehnung – also nicht mal eine richtige Antwort. Gründe für die Absage wurden mir bisher noch nie genannt. Wenn ich was Schönes machen will, bin ich von der Unterstützung meiner Familie abhängig. Wenn ich meine Mutter besuche, zahlt sie mein Zugticket. Wenn meine Freunde ins Kino oder auch nur Essen gehen, muss ich mir überlegen, ob ich mir das leisten kann. Manchmal fühle ich mich, als wäre ich nicht Teil dieser Gesellschaft. 

Ich lebe jeden Tag mit Zukunfts- und Existenzängsten. Ich habe zwar Freizeit, aber ständig das Gefühl, dass mir die Zeit wegrennt und ich auf der Stelle trete. Dazu kommt noch, dass jeder Schritt vom Arbeitsamt kontrolliert wird: Wenn ich Urlaub machen wollen würde, müsste ich das Amt informieren. Wenn ich umziehe, muss ich das Amt informieren und mir den Umzug genehmigen lassen. Sogar wenn ich meine Mutter besuchen will, muss ich beim Jobcenter Bescheid sagen. Mich als Akademiker mit Migrationshintergrund hat es dabei noch ganz gut getroffen, weil ich wegen meines Masters nicht jeden Job machen muss und bis jetzt auch zu keiner Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gedrängt wurde. Aber ich kenne Menschen, die im Jobcenter Rassismus ausgesetzt sind und andere, die finanziell sanktioniert wurden, weil sie einen Termin verpasst haben.

Welche Eigenschaften braucht ein Hartz IV-Empfänger?

Geduld, Selbstbewusstsein und ein starkes soziales Netz, das einen auffängt. Wer arbeitslos ist, bekommt in Deutschland viel Druck vom Staat und von der Gesellschaft. Um mit diesem Druck klarzukommen, hilft es zu verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Im Kapitalismus bist du alles, bloß nicht deines Glückes Schmied. Das System funktioniert nur über Ausbeutung. Die meisten Menschen werden als schlecht bezahlte Arbeitskräfte benötigt. Das Geld wird von unten nach oben verteilt, damit eine Minderheit weiter ihren Reichtum anhäufen kann. Hartz IV wurde ja gerade eingeführt, damit der Niedriglohnsektor expandieren kann. Niemand will arbeitslos sein und akzeptiert deswegen auch Jobs mit schlechten Bedingungen. 

Ich selbst werde immer wieder vom Arbeitsamt dazu gedrängt, schlecht bezahlte Jobs zu machen. Spielt man das Spiel nicht mit, gilt man als „Sozialschmarotzer“: Das SPD geführte Wirtschaftsministerium hat uns Arbeitslose in einem Bericht 2005 vorgeworfen, schlimmer als „Parasiten“ zu sein – das ist nationalsozialistischer Jargon. Hartz- IV-Empfänger:innen sind nicht selbst für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich, das ist systemisch. Zumal „Arbeitslose” oftmals durchaus Arbeit haben, die aber schlecht oder gar nicht bezahlt wird. Sie sind also erwerbslos, nicht arbeitslos.

Was wirst du auf Partys gefragt?

Auf Partys denken viele, dass ich jeden Tag chille. Denn ich hätte schließlich immer Zeit und keine Verpflichtungen; kann immer ausschlafen und mein Leben feiern. Andere haben Mitleid mit mir, aber meistens spüre ich kein echtes Interesse für meine Situation. Viele denken: Meine Arbeitslosigkeit wird schon seine Gründe haben. Ihnen würde sowas nie passieren. Sie glauben, ich bemühe mich nicht genug um einen Job, oder sei zu wählerisch. Obwohl sie eigentlich wissen sollten, dass es weder an meiner Ausbildung noch an meiner Motivation liegt, dass ich keine Arbeit habe. Bin ich zu wählerisch, weil ich keinen Job ohne Perspektive machen möchte? 

Ich will einen Beruf in dem Feld finden, das zumindest in Ansätzen meinen akademischen Abschluss berücksichtigt. Eine Arbeit, die einen gewissen Sinn ergibt, Perspektive hat und mich oder die Gesellschaft weiterbringt. Manchmal denke ich aber auch, dass ich einfach den nächsten Job annehmen sollte, der mir angeboten wird. Mir bleibt die Wahl: Entweder ich bleibe erwerbslos und habe ständig das Amt im Nacken, oder ich nehme den nächstbesten Job an, auch wenn die Konditionen erniedrigend sind. Egal wie ich mich entscheide, das Gefühl der Perspektiv- und Wertlosigkeit wird wohl bleiben.

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