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Noch ein (unbezahltes) Praktikum?

Illustration: Julia Schubert

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„Ich mache gerade ein Praktikum.“ Diesen Satz hört man auf Studentenpartys ständig. Praktika sind per se ja auch nichts Schlechtes. In der Schule macht man sie, um sich auszuprobieren. Nach dem Abitur, um herauszufinden, welche Ausbildung oder welches Studium man beginnen möchte. Und im Studium, um Erfahrungen im Wunschberuf zu sammeln.

Vor allem für Studierende sind Praktika essentiell. Schließlich wird in fast jeder Stellenausschreibung Berufserfahrung erwartet. Auf besagter Studentenparty folgt aber meist noch ein zweiter Satz: „Das ist dann aber wirklich mein letztes Praktikum.“ Der Hauptgrund: schlechte oder keine Bezahlung.

Der Begriff „Generation Praktikum“ ist meist negativ besetzt

Yannik, 22, studiert Journalismus in Köln. Im fünften Semester seines Studiums ist ein sechsmonatiges Pflichtpraktikum vorgeschrieben. Yannik wollte hierfür zum Radio, zur Auswahl stand ein Praktikum bei bigFM/RPR1. In der Stellenausschreibung dort steht: „Das Praktikum ist unentgeltlich, was Du bei uns jedoch lernen darfst ist unbezahlbar gut.“ Was wie ein lustiger Spruch klingt, war für Yannik ein Hindernisgrund: „Eine unbezahlte Praktikumsstelle konnte ich mir nicht leisten. Ich muss Miete zahlen und auch noch irgendetwas essen. Meine Mutter unterstützt mich bereits während des Studiums, ich möchte ihr nicht auch noch während des Praxissemesters, in dem ich Vollzeit arbeite, zur Last fallen.“ Nun macht er das Radio-Praktikum beim Westdeutschen Rundfunk (WDR). Das Gehalt, das er dort bekommt, reicht aber immer noch nicht aus. Damit er seine Miete zahlen kann, geht er samstags oder sonntags zusätzlich arbeiten. Sein Mittagessen bereitet er jeden Morgen zu Hause vor, da die Kantine zu teuer ist.   

Der Begriff „Generation Praktikum“ ist meist negativ besetzt. Seit 2015, also seitdem in Deutschland auf Initiative der SPD das Mindestlohngesetz in Kraft getreten ist, sollte es diese Generation gar nicht mehr geben. Auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales heißt es: „Das Mindestlohngesetz beendet die unter dem Begriff „Generation Praktikum“ zusammengefassten Missstände und sorgt dafür, dass Praktikantinnen und Praktikanten nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden.“

Das ZDF bietet freiwillige, unvergütete Praktika für sechs bis acht Wochen an

Tatsächlich liegt der Mindestlohn in Deutschland seit 2019 bei 9,19 Euro die Stunde. Damit verdienen Praktikantinnen und Praktikanten theoretisch circa 1500 Euro brutto im Monat – würde es keine Ausnahmeregelungen geben. Damit der Mindestlohn aufs Konto fließt, müssen Mitarbeiter zunächst einmal 18 Jahre alt sein. Ein freiwilliges Praktikum muss länger als drei Monate dauern und bei Pflichtpraktika, die als Ergänzung zum theoretischen Studium gesehen werden, entfällt der Anspruch auf Mindestlohn komplett. Ob und was man zahlt, liegt bei den Unternehmen – und die sind sich dieser Regelungen oft sehr bewusst.

So werden beim ZDF jährlich 800 bis 900 Praktikantinnen und Praktikanten beschäftigt. Das Unternehmen bietet freiwillige, unvergütete Praktika für sechs bis acht Wochen an. Seit 2018 zahlt es bei einem Praktikum ab drei Monaten 350 Euro monatlich. Bei diesen Praktika handelt es sich um Pflichtpraktika. „Alternativ könnten wir deutlich weniger Praktikantinnen und Praktikanten annehmen, diese dann jedoch höher vergüten. Wir wollen aber möglichst vielen jungen Menschen Einblicke ermöglichen“, begründet das Kathrin Strässer-Knüttel, Leiterin des Ausbildungsteams.

2018 war der durchschnittliche Praktikant 24 Jahre alt, studierte BWL und verdiente circa 1100 Euro brutto monatlich

Lena* ist 25, studiert Politikwissenschaft im Master und hat bereits zwölf Praktika gemacht. Kein einziges war vergütet. Zweimal war sie in den vergangenen zwei Jahren für jeweils sechs Wochen beim ZDF. Sie sagt, sie habe bereits nach den ersten zwei Wochen richtig mitgearbeitet und dem Unternehmen einen Mehrwert geboten. „Ich würde bei Praktika von vier bis acht Wochen keinen Mindestlohn verlangen. Aber ich fände es fair, wenn das Unternehmen zumindest eine Aufwandsentschädigung und die Fahrtkosten zahlen würde. Bei längeren Praktika sollte dann aber ein Mindestlohn gezahlt werden“, sagt sie. Laut den Praktikantenrichtlinien des Bundes können Unternehmen freiwillig eine Aufwandsentschädigung zahlen. Diese soll mindestens 300 Euro pro Monat betragen.

Lena war überrascht von der schlechten Bezahlung – in der Wirtschaft hätte sie das eher erwartet. „Ich habe einige Freunde, die wirtschaftliche Fächer studieren. Wenn die ein Pflichtpraktikum bei einem Automobilhersteller machen, können sie gefühlt das ganze Jahr davon leben. Das ist einfach unfair“, sagt sie.

Eine Studie der Unternehmensagentur CLEVIS Group befragt jährlich rund 4500 Praktikanten zu ihren monatlichen Durchschnittsgehältern. 2018 war der durchschnittliche Praktikant 24 Jahre alt, studierte BWL und verdiente circa 1100 Euro brutto monatlich. Im Vergleich zu 2017 ist das Praktikantengehalt um 66 Euro gestiegen. Doch trotz der positiven Entwicklung gibt es noch immer Branchen, in denen Studierende wenig bis nichts verdienen.

Isabelle*, 20, machte ein zweimonatiges, unbezahltes Praktikum in der Unfallchirurgie eines Krankenhauses. „Ich dachte mir oft, dass ein wenig Geld auch als Anerkennung schön wäre. Im Krankenhaus leistet man auch als Praktikant harte Arbeit. Ich wechselte Bettpfannen und kümmerte mich um die Patienten. Das einzige, was wir bekamen, waren Brötchen in der Frühschicht. Allerdings wurden die von dem Trinkgeld gekauft, das wir abgegeben mussten“, sagt Isabelle. Der Studentin zufolge sind Praktikantinnen und Praktikanten im Krankenhausbetrieb nicht mehr wegzudenken. „Das merkt man alleine daran, dass jeder Medizinstudent ein dreimonatiges Praktikum in der Pflege machen muss. Das sind billige Arbeitskräfte und die Krankenhäuser sind darauf angewiesen. Auch die Pfleger werden viel zu schlecht bezahlt. Da sagt man als Praktikant dann nichts“, so Isabelle.

Am 30. Juni 2017 arbeiteten eine halbe Million bezahlte und unbezahlte Praktikantinnen und Praktikanten in deutschen Betrieben

Auch in der Verwaltung des Bundestages werden Praktika nicht bezahlt. „Es handelt sich ausschließlich um Pflichtpraktika, um den Praktikantinnen und Praktikanten Einblicke in die Abläufe zu bieten. Sie werden nicht als Arbeitskräfte eingesetzt und es wird auch keine Arbeitsleistung von ihnen erwartete“, sagt Sven Göran Mey, Pressesprecher des deutschen Bundestags. Der Bundestag zahle aus diesem Grund auch keine Aufwandsentschädigung, keine Kosten für Anreise, Unterkunft oder Verpflegung. Bei einem Praktikum bei einem Bundestagsabgeordneten entscheidet hingegen die jeweilige Fraktion über das Gehalt. Lena hat vor Kurzem ein dreiwöchiges, unvergütetes Praktikum bei der CDU/CSU in Berlin gemacht. Die Grünen zahlen eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro pro Monat. Die SPD vergütet fünf bis sechswöchige Praktika mit circa 450 Euro monatlich. Das Auswärtige Amt zahlt eine Aufwandsentschädigung von 300 Euro.

Lena und Isabelle konnten sich unbezahlte Praktika leisten, weil ihre Eltern sie finanziell unterstützten

Wie viele junge Erwachsene in Deutschland derzeit ein unbezahltes Praktikum machen, wird kaum erfasst. Lediglich das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat zu einem Stichtag im Jahr 2017 Zahlen erfasst. Am 30. Juni 2017 arbeiteten eine halbe Million bezahlte und unbezahlte Praktikantinnen und Praktikanten in deutschen Betrieben. Die meisten Praktika waren im Gesundheits- und Sozialwesen.

Lena und Isabelle konnten sich unbezahlte Praktika leisten, weil ihre Eltern sie finanziell unterstützten. Yannik musste sich gegen sein Wunschpraktikum entscheiden, da dieses unbezahlt war: „Das ist ein Problem, da unbezahlte Praktika in die Chancengleichheit der Bewerber eingreifen. Und das wirkt sich dann auch auf die Zukunft der Bewerber aus: Denn ohne Praktika bekommt man später halt auch keinen Job.“ Auf die Frage nach einer Chancenungleichheit von Bewerberinnen und Bewerbern äußerte sich der Pressesprecher des Bundestags nicht, das ZDF beantwortete die Frage damit, dass sie bei mehr Gehalt eben weniger Praktikantinnen und Praktikanten einstellen könnten.

So kommt es, dass Unternehmen überwiegend Pflichtpraktika und freiwillige Praktika unter drei Monaten ausschreiben, um den Mindestlohn zu umgehen und es in bestimmten Branchen üblich ist, kein Gehalt zu zahlen. Beim „letzten Praktikum“ bleibt es für viele Studentinnen und Studenten aber trotzdem nicht. „Ich würde auch noch mal ein unbezahltes Praktikum machen, wenn es sich karrieretechnisch lohnt und ich mir im Vorhinein genug Geld angespart habe“, sagt Isabelle.

*Die Namen wurden abgeändert, sind der Redaktion aber bekannt.

Transparenzhinweis: Bei jetzt werden Praktikantinnen und Praktikanten mit 400 Euro im Monat vergütet.

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