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4800 Euro brutto für die angehende Gynäkologin

Fotos: Privat / freepik / Collage:jetzt.de

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Die Motivation

Als Teenie wollte ich Modejournalismus oder Modedesign studieren. Mein Schulpraktikum in der 10. Klasse hatte ich aber vercheckt, rechtzeitig zu organisieren. Dann saß ich zufällig beim Hautarzt und habe ihn spontan nach einem Praktikumsplatz gefragt. Nach dem Praktikum war klar, dass ich Medizin studieren will. Ich fand die Zusammenarbeit mit den Patienten total spannend und das Wissen über den Körper, das man bekommt, sehr faszinierend.

 

Die Ausbildung

Für den Studiengang Humanmedizin muss man sich in Deutschland zentral bei der ZVS bewerben. Ich bin ganz schnöde über den NC reingekommen, auch wenn ich als Abidurchschnitt nicht 1,0 hatte. An Unis mit diesem NC habe ich mich gar nicht erst beworben.

Das Studium dauert sechs Jahre, davon sind zwei Jahre „Vorklinik“ und vier Jahre „Klinik“: In der Vorklinik lernt man die Grundlagen wie z.B. Biochemie oder Anatomie, in der Klinik dann die medizinischen Fächer wie HNO oder Kinderheilkunde. An sich hat es mir total Spaß gemacht. Klar lernt man viele Details, bei denen man sich fragt: „Braucht man das im Alltag?“ Oft ist das nicht der Fall, aber es hilft, das alles mal durchgestanden zu haben. Toll fand ich auch, dass man in den Semesterferien Famulatur und Praktika überall machen kann. Ich war in Paris (Erasmus) und fürs Praktische Jahr auf Martinique in der Karibik. Nach dem praktische Jahr absolviert man das zweite Staatsexamen und ist approbierter Arzt.

Die Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe dauert noch mal fünf Jahre, die ersten drei Jahre davon muss man in der Klinik sein. Die letzten zwei kann man optional auch ambulant in einer Praxis absolvieren. Während dieser Zeit muss man bestimmte Anforderungen erfüllen, zum Beispiel eine große Anzahl von Operationen eigenständig durchführen und viele Geburten leiten.

Für den Facharzt habe ich mich während des Studiums entschieden. Im Erasmusjahr in Paris habe ich vier Monate in der Gyn eines großen Krankenhauses gearbeitet. Das Arbeiten dort hat mir riesigen Spaß gemacht, es war viel praktischer als in Deutschland.

Das Frustrationspotenzial

Man lernt im Studium noch nicht das, was man später als Beruf macht, zumindest nicht die praktische Umsetzung und das klinische Denken. Also zum Beispiel: „Jemand kommt zu mir und hat seit zwei Wochen Bauchschmerzen, was mache ich dann?“ Nur in der Notfallmedizin wird man auf konkrete Situationen vorbereitet.

Im Job wird man dann total ins kalte Wasser geschmissen. Man ist auf einmal mit Hebammen im Kreißsaal, die drei Jahre lang in der Ausbildung gelernt haben, wie man mit schwangeren Frauen umgeht und zudem jahrelange Erfahrung haben. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Muttermundweite zu bestimmen bei einer Frau mit Wehen: Das hast du noch nie gemacht aber musst es trotzdem können. Am Ende lernst du es, indem du dich mit den Hebammen gutstellst. Man selbst untersucht erst vor und sie machen die Nachuntersuchung. Die Hebammen sind toll und machen das netterweise. Das Allerwichtigstes ist also ein nettes Team, weil es einen auch mitausbildet. Man lernt das meiste von Kollegen, der Pflege und besonders den Hebammen.

Schade ist auch, dass der ganze Bürokratiekram so aufwendig ist. Die Dokumentation nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass oft weniger Zeit für den Patienten bleibt.

Das Geld

Ich verdiene mit Diensten mittlerweile 4800 Euro brutto und bin festangestellt bis zur Facharztprüfung. Anfangs war ich zu 100 Prozent berufstätig, seit dem Ende meiner Elternzeit sind es 75 Prozent. Das Einstiegsgehalt für Mediziner richtet sich nach dem Tarifvertrag und der wird in der Regel vom Marburger Bund verhandelt, aber es hängt auch vom Krankenhaus ab. An der Uniklinik verdient man mehr, je nach Geschäftsführung ist das auch bei privaten Krankenhäusern so. Ich bin an einem kirchlichen Haus angestellt, da ist es weniger, ich habe dafür etwas mehr Freizeit. 

Die Arbeitszeiten und die Überstunden

Offiziell arbeite ich 30 Stunden die Woche, aber es kommen viele Überstunden dazu – am Tag im Schnitt eine Stunde. Parallel schreibe ich freiwillig noch an meiner Doktorarbeit. Für den Job später braucht man den Titel nicht unbedingt, aber wenn man einen machen möchte, ist es clever, wenn man das im Studium schon erledigt, weil man sich nach der Arbeit eigentlich ausruhen sollte.

Ich habe ungefähr sechs Nachtdienste und zwei Wochenenddienste pro Monat. Das bedeutet: einen Tag Frühschicht, einen Spätschicht. Für die Lebensqualität, die eigene Familie und soziale Kontakte ist das nicht so toll, besonders am Wochenende. Dann haben die meisten frei und wollen sich verabreden – und man selbst kann nicht. An Feiertagen wie Weihnachten und Silvester arbeiten wir natürlich auch, Babys werden ja das ganze Jahr über und besonders gerne nachts geboren. Bei Dienstverteilung versuchen wir untereinander fair zu sein: Man arbeitet entweder an Weihnachten oder Silvester und im darauffolgenden Jahr dann umgekehrt.

Der Stressfaktor

Der größte Stressfaktor sind Notfälle im Krankenhaus, bei denen die Situation von einer Sekunde auf die andere kippt. Gerade in der Geburtsmedizin kann es ganz schnell lebensbedrohlich für Mutter und Kind werden. Dass man diese Situationen erkennt und dann seine Arbeit schnell und kompetent durchführt ist sehr wichtig.

Emotional nehme ich schon manchmal was mit nach Hause: entweder, weil mir jemand sehr sympathisch ist oder weil ich das Gefühl habe, die Person vielleicht nicht optimal betreut zu haben. Zu meinem Facharzt gehört auch die psychosomatische Grundversorgung, das ist eine Zusatzausbildung, bei der ich zum Beispiel Gesprächsstrategien lerne, die mir helfen, besser auf den Patienten einzugehen, aber auch auf mich selbst besser aufzupassen. Die Zusatzausbildung sollte für jeden Facharzt verpflichtend sein, finde ich.

Die Berufskrankheit

Eigentlich versuche ich Beruf und Privates zu trennen. Aber ich erzähle schon gerne Storys aus der Klinik, das ist so ein Medizinerphänomen. Da wird es manchmal richtig ekelhaft, aber man merkt es selbst nicht. Ich kann ohne Probleme beim Essen von Dammrissen oder Herpes-Genitalis-Infektionen reden und allen wird schlecht, außer mir.

Die Frage, die auf Partys immer wieder kommt

Die häufigste Frage ist: „Tut eine Geburt wirklich so weh, wie man sich es vorstellt?“ Allgemein kommen viele Fragen zu Geburtsmythen: „Legt es das Sexleben lahm, wenn der Partner bei der Geburt dabei ist?“ „Hat man wirklich keine Kontrolle mehr über Urin und Stuhl?“

Diese Fragen beantworte ich gerne. Ich verstehe es auch bisschen als meinen Job, dass Frauen, die noch keine Geburt erlebt haben, mit Mut und Selbstvertrauen da reingehen können, und nicht mit Schauermärchen im Kopf. Es ist schon die krasseste Erfahrung, die man haben kann, aber jede Frau ist anders. Die Geburtsmedizin ist mittlerweile so modern, dass sie in den unterschiedlichsten Fällen bei Schmerzen helfen kann. Und die Belohnung ist hinterher einmalig. Dieser Zauber der Geburt, wenn ein Neugeborenes von seinen Eltern das erste Mal bestaunt wird, geht auch im Berufsalltag nicht verloren und macht definitiv süchtig.

Die Aussichten

Nach dem Facharzt kann man überlegen, ob man sich in der Klinik oder in einer Praxis niederlassen will. Eine Praxis ist familienfreundlicher, weil man nicht an Wochenenden oder Weihnachten arbeiten muss. Man darf sich aber nichts vormachen. Eine Praxis bedeutet noch mal mehr Büroarbeit und dazu kommt die Frage, ob es sich finanziell lohnt. Das ist generell etwas, was mich abstößt: Ich finde es falsch, dass unser Gesundheitssystem an ökonomische Faktoren gebunden ist. Aber insgesamt ist es ein toller Beruf.

Als Gynäkologin kann ich noch einen Schwerpunkt, kurz SP, wählen. Ich möchte mich auf jeden Fall auf spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin, also die Versorgung von Kindern kurz vor und nach der Geburt, spezialisieren. Das dauert noch mal drei Jahre, aber ich kann die Ausbildung im letzten Jahr meines Facharztes schon parallel absolvieren.

Zusätzlich kann man sich für eine Karriere in der Klinik entscheiden, das heißt, nach dem Facharzt Oberärztin oder Chefärztin zu werden: Dann hat man mehr Verantwortung und kann auch ausbilden, aber muss über alles den Überblick haben. 

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