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Mädchen, liebt ihr jetzt plötzlich Loser?

Foto: Netflix

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Liebe Mädchen,

zu Beginn dieser Frage müssen wir jemanden vorstellen: Gestatten, Gus. Gus ist ein netter, aber ziemlich seltsamer Typ. Er schlurft schluffig durchs Leben, auf zu dünnen Beinchen, mit zu dünnen Ärmchen, die unter seinen zu kurzärmeligen Hemden hervorwackeln. In seinem zu bleichen Gesicht sitzt auf einer zu großen Nase eine zu große Nerdbrille. In seinem Job nimmt ihn niemand ernst, in seiner Freizeit sammelt er Filmwissen, das niemand braucht. Als seine Ex-Freundin Gus auffordert, endlich seine vielen DVD-Kisten abzuholen, antwortet er: "Es sind BluRays." Gus hat noch nie gekifft und wahrscheinlich auch noch nie etwas wirklich Cooles getan. Das Mädchen, in das er sich nach seiner Trennung verknallt hat, nennt ihn einen "40-jährigen Zwölfjährigen". Kurz: Gus ist ein Nerd. Und ihr Mädchen findet ihn super.

Deshalb war diese ausführliche Vorstellungsrunde notwendig: weil jedes zweite Mädchen mit einem Netflix-Account in Gus verknallt zu sein scheint, seit er im Februar in der Serie "Love" zu bewundern ist (In unserer Binge-Watching-Kolumne steht übrigens, warum die sehr sehenswert ist). Wenn das Gespräch auf diese Serie kommt, dauert es selten lange, bis eine weibliche Teilnehmerin der Runde betont, wie toll dieser Gus sei, und ihr wirkt dann fast, als würdet ihr zu kreischen beginnen, wenn er vor euch stünde.

Und das müsst ihr uns jetzt bitte mal erklären. Denn auch, wenn wir wissen, dass ihr keine erfolgreichen Highperformer-Supermacker mit Bodybuildermuskeln braucht, dachten wir, dass es ein bisschen klassischer Sex-Appeal und ein bisschen weniger Nerdtum schon sein darf.

Ist Gus also ein Spezialfall? Oder habt ihr irgendwann, als wir mal kurz Kippen holen waren, Loser-Sonderlinge ganz allgemein zu eurem präferierten Material fürs Reinverlieben erkoren? Was gefällt euch an dem oder an denen? Wollt ihr so einen zum Knuddeln und Aufpeppeln? Und was heißt das Ganze eigentlich für uns Jungs im Allgemeinen? Ist das ein Aufruf an uns, unseren inneren Nerd zu entdecken oder hervorzukehren?

maedchenfrage

Die Mädchenantwort:

 

Liebe Jungs,

 

gegen Ende eurer Frage sind wir kurz erschrocken. "Knuddeln" – das haben wir seit dem ersten Tag in der elften Klasse verboten. In Wort und Tat. Und "aufpeppeln" – klingt gruselig dreiviertel vor Bemuttern. Wenn wir knuddeln und aufpeppeln wollen, tun wir das mit Vögelchen, die wir mit gebrochenem Flügel auf unserem Balkon finden, mit Kätzchen und Hündchen oder anderem Getier. Vielleicht noch mit kleinen Geschwistern, wenn sie krank sind. Aber wenn wir mit euch eines nicht tun wollen, ist es Aufpeppeln und Knuddeln. Zumindest wollen wir das unbedingt glauben, deswegen der kurze Schreck. Nicht, dass ihr am Ende recht habt und das der Grund ist für unsere Gus-Verliebtheit.

 

Doch nach eingehendem Selbsterforschen und Nachfühlen können wir sagen: Daran liegt es nicht. Puh. Allerdings habt ihr ganz recht damit, dass Typen wie Gus nicht an den klassischen Hotness-Rezeptoren andocken. Ärmchen, Beinchen, Vögelchen, eben. Sie funktionieren auf einer anderen Ebene. Das gilt übrigens auch für andere tolle Filmloser, Andrew Largeman (Zach Braff) aus "Garden State" zum Beispiel oder Pat (Bradley Cooper) aus "Silver Linings" – auch wenn das bei denen nicht ganz so leicht auseinander zu dividieren ist, die klassische Hotness und das Loserkarma. Letzteres ist es nämlich, das uns anzieh: die Haltung, mit der sich Menschen wie Andrew und Pat und Gus durchs Leben verlieren.

 

Egal, egal, egal

 

Gus hat die falschen Klamotten (Kurzarmhemd!), um wirklich cool zu sein, das falsche Auto (Toyota Prius!), den falschen Rucksack, eine viel zu alberne Lache, ist viel zu ungelenk. Gus wird nie zu den Coolen gehören. Das weiß er, und – Achtung, jetzt kommt das Tolle – es ist ihm total egal (meistens jedenfalls). Die Hipster-Künstler-Avantgarde von Hollywood? Egal. Der Glamour seiner Schauspieler-Kolleginnen? Egal. Der Anspruch, sich als Drehbuchator selbst zu verwirklichen? Egal. Der Traum von einem Haus mit Pool? Egal, egal, egal. Die einzigen Ansprüche, denen Gus genügen will, sind seine eigenen und die sind ziemlich realistisch.

 

Unsichtbare Regeln, unausgesprochene Erwartungen, angeblich unverrückbare Anforderungen können das Leben manchmal ganz schön anstrengend machen. In der Arbeit, zu Hause, überall. Gus bricht mit vielen dieser Normen, die an Menschen zerren. Er tut das ohne Rebellionsgetue, was umgekehrt schon wieder sehr gut in ein Erwartungsraster passen würde. Gus ist einfach Gus, der macht, worauf er Lust hat.

 

Das macht ihn in seinem Losertum ganz schön frei und – Achtung, jetzt kommt das Paradoxe – viel cooler als die Coolen, zu denen er nie gehören wird. Und hier verkehrt sich auch das mit dem Aufpeppeln: Weil Gus so bei sich ist in seinem Losersein, so gegrounded in Nerdness, ist er jemand, der uns Mädchen Halt geben kann, wenn uns die Welt mal wieder verwirrt. Das finden wir ziemlich verliebenswert.

 

Was sich auch noch reinmischt: Wir bewundern euch Jungs für euer Nerd-Gen, das es euch offenbar erlaubt, euch in ein beliebiges Thema reinzuvertiefen und alles Wissen dazu bis auf den letzten Schnipsel einzusaugen. Egal, ob Eishockey, Hiphop, Fahrradschaltungen oder eben Filme, wie bei Gus. Wir bewundern euch für diese Hobbyisten-Leidenschaft, die uns irgendwie fehlt.

 

In "Love" lädt Gus sein Date Mickey einmal zu einer seltsamen Zaubershow voller eigenartiger Spießer ein – und versteht kein bisschen, warum es ihr nicht gefällt. Jede Woche trifft er sich mit seinen Filmnerdfreunden, um alberne Songs zu komponieren. Solche Szenen lassen uns erahnen, dass das Leben mit einem Losernerd wie Gus am Ende doch vor allem eins wäre: ganz schön anstrengend. Was wir so toll an ihm finden – seine Immunität gegenüber Erwartungen –, könnte nämlich sehr nervig werden, wenn es unsere eigenen Erwartungen sind.

 

Deswegen, liebe Jungs: Ihr müsst euch nicht alle in Guses verwandeln. Auch, weil wir nicht wollen, dass unsere Rezeptoren für klassische Hotness total verkümmern. Aber wenn euch danach ist, euren Losernerd rauszuholen, tut das! Unbedingt! Wir finden das nicht lächerlich, nicht das kleinste bisschen. Sondern ganz schön gut.

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