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Mädchen, fühlt ihr euch von Hormonen gesteuert?

Foto: as_seen / photocase.de; Illustration: jetzt

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Liebe Mädchen,

bevor wir euch diese Frage stellen, ist es Zeit für ein Geständnis: Wir sind Tiere. Jawohl. Oink, oink. Wir sehen von außen vielleicht aus wie Büroangestellte, Ticketkontrolleure und Bademeister, aber in uns, da grunzt und scharrt es. 

Nur ist ja aber nicht Tier gleich Tier, wohlgemerkt. Da gibt es ja auch ganz knuffelige. Deshalb soll das hier auch nicht auf die Forderung nach einer Art Generalamnestie für Männer hinauslaufen, in Richtung „Boys will be boys“ beziehungsweise „Männer sind nunmal Schweine“. Sondern nur so viel heißen wie: Unser Verhalten und unsere Entscheidungen werden, insbesondere in Liebes- und Sexdingen, oft spürbar von Hormonen, Unbewusstem, „Tierischem“ gesteuert. Manchmal bis hin zu dem Punkt, dass wir das sogar von außen bei uns beobachten können. Zum Beispiel, wenn wir als pubertierende Lümmel pausenlos zwanghaft auf sekundäre Geschlechtsmerkmale starren müssen, obwohl wir eigentlich auch Besseres zu tun hätten. 

„Habt ihr unwillkürlich Lust auf wildes Rumferkeln, sobald ihr die Pille absetzt?“

So, und nach dieser Offenbarung habt ihr hoffentlich das Gefühl, dass folgende Frage auf Augenhöhe gestellt wird: Wie ist das denn eigentlich bei euch so mit den Hormonen? 

Auch wenn Männer nicht mehr oder weniger triebgesteuert sind als Frauen (von der grundsätzlichen Frage nach einem freien Willen mal ganz zu schweigen), gibt es doch in Bezug auf Frauen zumindest deutlich spezifischere (Sexual-)Hormon-Annahmen und -Klischees. Bei uns scheint es auf den ersten Blick nur die Zustände vor und nach dem Sex (normaler Testosteronspiegel) und während dem Sex (leicht erhöhter Testosteronspiegel) zu geben. Bei euch scheint das Hormonkonzert ein bisschen virtuoser zu sein. 

Stimmt es zum Beispiel, dass ihr in eurer fruchtbaren Phase, also kurz vor dem Eisprung besonders horny und „weiblich“ werdet, wie es Studien nahelegen? Wird eure Stimme tatsächlich eine Winzigkeit höher und eure Backen röter? Fühlt ihr euch dann mehr zu markanten Kiefern und tiefen Stimmen hingezogen? Was passiert in euch, wenn ihr kinderlos und Mitte Dreißig seid und das frisch geschlüpfte Baby eurer Freundin im Arm haltet? Habt ihr unwillkürlich Lust, euren Freund für wildes Rumferkeln zu verlassen, sobald ihr die Pille absetzt? Verändert sich euer Geruchssinn, wenn ihr schwanger seid? Merkt ihr, ob und wie eure Stimmung von eurem Zyklus abhängig ist? Und auch: Tut ihr euch schwer, damit umzugehen, dass ihr – wie wir – manchmal unleugbar hormongesteuert seid?

Mit vor Neugier bebender Hirnanhangsdrüse,

eure Jungs

Die Mädchenantwort:  

Liebe Jungs, 

früher hätte ich brüllend von mir gewiesen, hormongesteuert zu sein. Und das, obwohl der Anblick von Babys bei mir schon kurz nach der ersten Periode Muttergefühle auslöste. Es ist aber nun mal die weitaus schönere Vorstellung, man sei des Charakters wegen „kinderlieb“, nicht der Hormone wegen. Stichwort Personality, sehr wichtig! Da passt es dem menschlichen Ego eher nicht in dem Kram, dass ein Großteil des eigenen Verhaltens, Denkens oder Fühlens tatsächlich körperlich bedingt sein könnte.

Nun hatte ich seit der Pubertät aber schon einige Jährchen Zeit, in denen mich meine Geschlechtshormone gehörig rumkommandiert haben. In denen ich mich wunderte, wo mein Heißhunger herkam und später feststellte, dass sich dadurch einfach meine Periode angekündigt hatte. In denen ich Männer anziehend fand, die mir charakterlich überhaupt nicht gefielen. In denen ich zehn Kilogramm zunahm, weil meine Pille nicht zu mir passte.

„Um genau zu sagen, wann die Hormone schuld sind, müssten wir akribisch Tagebuch führen“

Genauso geht es vielen anderen Frauen, die ich kenne. Meine Schwester hätte sich während ihrer Schwangerschaft mal fast übergeben, weil ich einen Spritzer Parfum trug. Freundinnen erzählten mir, dass sie nach dem Absetzen der Pille endlich wieder Lust auf Sex, dafür aber weniger Haare auf dem Kopf hatten. Und eine andere kann seit ihrer Schwangerschaft keine Doku mehr anschauen, in der Kinderkrankenhäuser vorkommen.

Ihr merkt: Sexualhormone machen was mit uns. Übrigens auch, wenn wir zu wenige davon haben. Östrogenmangel kann unter anderem zu Schlafstörungen und Depressionen führen. 

Trotzdem fällt uns schwer, immer genau zu sagen, wann die Hormone schuld sind – oder was im Gegenteil einfach zu unserer Persönlichkeit oder unserer körperlichen Gegebenheit gehört. Immerhin müssten wir dafür akribisch unseren Zyklus beobachten, Stimmungstagebuch führen und dazu alle möglichen körperlichen Veränderungen festhalten. Die wenigsten von uns sind so wachsam, immer zu wissen, wann ihre fruchtbaren Tage sind – und dann noch herauszufinden, ob sich ihre Stimme nun minimal mehr nach Glöckchen anhört. 

Wir tendieren dazu, den Satz „Das sind die Hormone“ nicht als Erklärung zu verstehen

Richtig beobachten tun wir unseren Hormonhaushalt eigentlich nur in drei Fällen. Erstens: wenn sich unser Körper nicht so entwickelt, wie er das vielleicht sollte – wir statt einmal im Monat nur einmal im Halbjahr bluten zum Beispiel. Zweitens: wenn wir schwanger werden wollen, sind oder vor kurzem waren. Und drittens: wenn wir unsere Pille absetzen. Denn in allen drei Fällen läuft meistens etwas auffällig schief oder auffällig anders: Haut und Haare verändern sich oft dabei, genauso wie unsere Gefühle und/oder unsere Schmerzempfindlichkeit. Wir spüren in solchen Zeiten also zum ersten Mal bewusst, wie groß der Einfluss unserer Hormone tatsächlich ist.

Wir tendieren trotzdem dazu, die Erklärung „Das sind die Hormone“ lange nicht als solche zu verstehen. Auch, weil der Satz meistens von Außenstehenden kommt und mit einem Augenrollen verbunden ist. Er wird höchstens dann als echte Begründung verstanden, wenn er sich auf eine Schwangere bezieht. Menstruiert eine Frau oder hat anders bedingte Hormonschwankungen, zählen die Hormone eher nicht als Entschuldigung.

Das ist einigermaßen arschig von der Menschheit. Denn Hormone sind ja ein realer Grund für Akne, Hitzewallungen, Ängste und vieles mehr. Dass wir uns dagegen kaum wehren können, lässt uns Frauen oft verzweifeln. Wir sind also froh, dass ihr gefragt habt, liebe Jungs. Denn vielleicht können wir von nun an gemeinsam daran arbeiten, dass „Das sind die Hormone“ und Augenrollen nicht mehr zwangsweise zusammenfallen.

Eure Mädchen

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