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Mädchen, warum wollt ihr uneitel wirken?

Illustration: Julia Schubert

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Liebe Mädchen,

wenn ihr schnell im Bad seid, dann freut ihr euch, wenn wir euch dazu Komplimente machen. Auf Instagram verwendet ihr Hashtags wie #nomakeup und zeigt euch in eurer feinsten Gammelgarderobe. Ganz offensichtlich wollt ihr heute nicht mehr dem abgenudelten Klischee der Frau entsprechen, die viel zu lange vor dem Spiegel braucht und auf die der Mann entnervt, schon fertig angezogen, warten muss. Für euch ist es ein Lob, als uneitel zu gelten. Prinzipiell ist das natürlich super: Zum Glück lösen sich Geschlechterrollen immer mehr auf und Frauen und Männer können so auf die Straße gehen, wie sie Lust haben. Unsere Frage wäre aber: Hängt das irgendwie zusammen? Wollt ihr uneitel sein, einfach, weil ihr es könnt?

Nur, dass man uns da nicht falsch versteht: Wir finden es super, dass die aktuelle Generation Frauen lässiger ist als jede zuvor. Wir finden es toll, dass es Trends gegen zu viel Schminke und Fake-Nägel gibt und dagegen, dass Frauen auf Events nur in Pumps und Kleidern rumlaufen dürfen. Das liegt daran, dass viele von uns euch #nofilter am liebsten mögen. Wir haben dann das Gefühl, dass wir euch in echt erleben, wenn ihr euch nicht erst nach zwei Stunden vor dem Schminkspiegel zeigt. Aber warum ist euch das so wichtig? Warum wollt ihr, dass wir eure Uneitelkeit komplimentieren?

Wir finden es gut, dass ihr heute weniger auf das gebt, was andere denken

Ist das so eine „Jetzt-Sind-Wir-Mal-Dran“-Mentalität? Die Frau musste sich in vergangenen Generationen immer rausputzen, während bei dem Mann das Äußere meist zweitrangig war, solange man erkannte, dass er in seinem Job hart arbeitete. Wollt ihr jetzt mal die sein, die für ihren unangepassten Look gefeiert wird?

Wir sind uns ziemlich sicher, dass der Trend zur Natürlichkeit mit dem Patriarchat zu tun hat und damit, dass Frauen immer als die schönen Beistellwerke ihrer Männer gesehen wurden. Wir verstehen nur nicht ganz, wieso sich das in #nomakeup und Jogginghose-Spiegel-Selfies äußert. Wir finden es gut, dass ihr heute weniger auf das gebt, was andere denken. Deshalb wüssten wir gerne, woher ihr dieses Selbstvertrauen im Vergleich zu älteren Frauen-Generationen nehmt. Verratet ihr es uns?

Eure Jungs

Die Mädchenantwort:

Liebe Jungs,

auf die Straße zu gehen, wie wir Lust haben, ist etwas Tolles. Aber das hat weniger etwas damit zu tun, dass wir uneitel wirken wollen. Wir genießen es einfach, so zu sein, wie wir sind. Die Wenigsten von uns tun das, weil sie Komplimente dafür haben wollen, dass sie heute nur fünf statt 20 Minuten im Bad gebraucht haben. Es ist einfach viel entspannter, sich nicht in enge Hosen und Kleider zu zwängen und stattdessen die chilligere und weitere Mom-Jeans anzuziehen. Es ist auch für uns angenehmer, nicht so viel Zeit mit unserem Aussehen zu verschwenden und stundenlang den perfekten Lidstrich zu ziehen.

Und ja, bestimmt hat das auch etwas damit zu tun, dass sich Geschlechterrollen auflösen und Frauen aus ihren Klischees rauswollen. Kleidung und Make-up waren lange Zeit Instrumente, um die Rolle des „schwachen Geschlechts” zu unterstreichen und Frauen zu einem Objekt zu machen. Frauen, aber auch Männer hatten gesellschaftlich festgelegte Vorschriften, was sie zu tragen haben. Im 19. Jahrhundert war es verpönt, dass Frauen Hosen trugen. Mitte der 60er Jahre galt der Minirock dann als Symbol des Empowerments. Frauen wollten sich von der Erwartungshaltung lösen, immer adrett auszusehen. Vielleicht gehört der Schlabber-Look, den viele Frauen heute gerne im Alltag bevorzugen, noch zu den Nachbeben dieser revolutionären Befreiungsbewegung.

Im Übrigen ist das Phänomen von sich auflösenden Rollenklischees auch seit einigen Jahren bei Männern zu beobachten: Auch sie kleiden sich gerne etwas femininer, tragen Make-up auf und bevorzugen selbst bei schicken Events einen lässigen Look.

Diese Freiheit, die wir heute haben und die sicherlich auch eine Errungenschaft des Feminismus ist, nutzen wir einfach gerne. Immer mehr Frauen „trauen” sich auf diese Art und Weise, im Schlabber-Look und wenig bis gar nicht geschminkt rauszugehen, ohne direkt eine Bemerkung wie „Irgendwie siehst du heute krank aus” zu hören. Es wird zunehmend zum Trend. Und wie man sieht, hat sich auch eure Erwartungshaltung in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Ihr findet es schön, wenn wir natürlich sind.

Unser No-Make-up-Look im Oversize-Pulli ist ein Zusammenspiel aus Freiheit und Bequemlichkeit und hat nichts damit zu tun, dass wir jetzt demonstrieren wollen, was wir neuerdings alles dürfen. Klar, finden wir es toll, wenn ihr oder auch andere Frauen uns Komplimente machen. Aber darüber freuen wir uns genauso sehr, wenn wir an einem Abend mal länger im Bad gebraucht haben.

Eure Mädchen

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