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Rassismus im Fußball: Kanackische Welle Folge 4
Weil sie sich in der Medienlandschaft nicht repräsentiert fühlten, haben Malcolm Ohanwe und Marcel Aburakia einen eigenen Podcast gestartet: die „Kanackische Welle“. In der Kolumne dazu schreiben sie hier alle zwei Wochen über Identität, Popkultur, Sexualität, Rassismus, Politik, Sport und vieles mehr – aus einer post-migrantischen Perspektive.
Immer wenn man denkt, jetzt müssten es doch alle gelernt haben, kommt der nächste Vorfall. Anfang des Jahres riefen Schalke-Fans beim DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Hertha BSC dem Berliner Fußballer Jordan Torunarigha Affenlaute zu. Dann machte der FSV Mainz 05 die Kündigung eines Mitglieds öffentlich, das sich beklagt hatte, es könnte sich nicht länger mit dem Club identifizieren, weil es „zu viele afrikanische Spieler“ gebe. Und der FC Bayern München sah sich gezwungen, einen leitenden Jugendtrainer zu entlassen, der in Whatsapp-Chats von „Drecks Türken“ schrieb, das N-Wort droppte und laufend rassistische Witze über nicht-weiße Spieler machte. Die öffentliche Debatte bleibt meist aus, dabei ist absolut klar: Fußball gibt es ohne Rassismus nicht.
Das aktuellste Beispiel: Steffen Freund, deutscher Ex-Nationalspieler, zog in der wöchentlichen Talkshow „Doppelpass“ über Undiszipliniertheiten zweier Spieler mit nordafrikanischen Wurzeln her und führte ihr Fehlverhalten auf ihre Herkunft zurück. Nabil Bentaleb sei einer der besten Spieler, „aber ist französisch-algerischer Herkunft. Charakter. Wenn sie einen Kaderplaner haben, muss man wissen, dass da auch eine Disziplinlosigkeit schnell kommt, wenn er nicht derjenige ist, der gesetzt ist.“ Und über dessen marokkanischen Mitspieler Armin Harit sagte Freund: „Und dann bin ich eben bei Harit. Auch er kann das natürlich nicht mit seinen Wurzeln.“ Die Reaktion der anderen Gäste und Experten zeigt, wie sehr rassistische Sprache und Denkmuster, gerade im Fußball, für viele weiße Beurteilende selbstverständlich und richtig sind. Denn Freunds eklige Worte erfahren keinen Widerspruch, stattdessen von Bild-Mann und Dauerexperte Alfred Draxler sogar noch beifälliges Nicken.
Dieser Rassismus lässt sich nicht wegcanceln. Freund mag jetzt die Zielscheibe der Kritik sein. Trotzdem wird es – gefühlt morgen schon – zum nächsten Eklat an anderer Stelle kommen. Diese Art des Rassismus ist tief in der Gesellschaft verankert. Etwa in pseudo-wissenschaftlichen Theorien, die belegen möchten, dass Schwarze schneller rennen als Weiße, da sie ein Wunder-Gen haben, rassistischer Berichterstattung und angeblich fundierten Erfahrungsberichten zu Spielern außerhalb des globalen Nordens. Um dem entgegenzuwirken, bleibt nur die Möglichkeit, das Momentum und die oft unbewusste rassistische Denke zu entlarven. Daher hier mein Versuch anhand von drei großen rassistischen Denkmustern im Fußball:
1. Schwarze Talente lügen über ihr Alter
Googelt doch mal „Youssoufa Moukoko“. Bei der Suche nach dem Stürmer von Borussia Dortmund poppt als einer der ersten Vorschläge „Alter“ auf. Das spielt deshalb eine Rolle, weil diverse Medien vermuten, der Deutsche mit kamerunischen Wurzeln habe einen falschen Pass. Die Forderung, seine Geburtsurkunde zu veröffentlichen, wurde laut. Junge Schwarze Talente stehen unter dem Generalverdacht, ihr Alter falsch anzugeben. Bei afrikanischen Geburtsurkunden könne man ja nicht so sicher sein, heißt es oft. Damit erklären sich viele die sportlichen Leistungen Schwarzer Spieler: Nur, weil sie älter sind, können sie besser kicken als manche ihrer weißen Peers. Insofern es dazu keine handfesten Beweise gibt, ist diese Spekulation über das Spieleralter rassistisch. Die problematische Denke wird klar, wenn man überlegt, ob in so einer Regelmäßigkeit das Alter von Spielern wie Manuel Neuer oder Mario Götze hinterfragt wurde. Die Antwort soll jeder für sich selbst finde. Ich bin mir sicher: Nein.
2. Weiße sind schlau und Schwarze sind körperlich
Steffen Freund sprach auch von falscher Kaderplanung und ordnete nicht-weißen Spielern emotionale Eigenschaften aufgrund ihrer Herkunft zu. Kaderplanung im Fußball heißt: Gesucht ist Spielertyp A und diese Lücke wird anhand von Kriterien wie Spielintelligenz, Körperlichkeit oder Dynamik gefüllt. So entscheiden sich Karrieren: Spieler werden aussortiert, weil ihnen regelmäßig wichtige Attribute abgesprochen werden. Einen Beitrag dazu leisten Sportkommentatoren wie Steffen Freund, die, wie eine Studie zeigt, bei weißen Sportlern kognitive Tugenden wie Spielintelligenz in den Fokus rücken, während sie körperliche Attribute wie Geschwindigkeit bei Spielern mit dunklerer Hautfarbe in den Vordergrund stellen. Das teilt die Sportwelt in zwei Gruppen: Weiße sind Geisteswesen, stehen für Spielintelligenz, Arbeitsmoral, Disziplin und Cleverness, während Schwarze als Körperwesen für Athletik, Heißblütigkeit und Temperament stehen. Dabei wissen wir längst, dass es keine markanten Unterschiede in der Genetik gibt, die bestimmte körperliche oder emotionale Eigenschaften bestimmen könnten.
3. Doppelter Standard für weiße und BPoC-Fussballer
Dann ist da noch der doppelte Standard, an dem nicht-weiße Spieler gemessen werden. Beispiele dafür gibt es viele. Der Sportjournalist Benjamin Heinrich hat das zuletzt etwa anhand des aktuellen Falls von Nabil Bentaleb in einem Twitter-Thread auf den Punkt gebracht: Bentaleb kam mit zehn Jahren in eine Nachwuchsakademie, zog mit 14 alleine nach Belgien und wechselte mit 18 zu Tottenham Hotspurs, einem großen Verein in England. Er debütierte mit 19 und spielt aktuell bei Schalke 04. Alles absolut unmöglich ohne Reife, Zielstrebigkeit, hohe Arbeitsmoral und natürlich Ehrgeiz und Antrieb. Dennoch wird versucht, eine Verbindung zwischen der Herkunft und aktuell mangelnder Disziplin herzustellen. Ein Gegenbeispiel: Max Kruse von Union Berlin. Er ist weiß, wuchs in der Nähe von Hamburg auf und schaffte bis 24 ein Bundesligaspiel. Hängt offenbar lieber im Hamburger Nachtleben rum und war lange eher bekannt für seinen Lebensstil rund um Shisha, Poker und exzessives Zocken. Doch anstatt hier möglicherweise kritisch zu sein, liebt die Sportwelt seine „Echtheit“ und würde niemals die Frage nach der Sozialisierung und Herkunft stellen. Neben Kruse finden sich diverse Fälle, in denen weiße, nur-deutsche Spieler nach einem weniger strengen Maß gemessen wurden als ihre nicht-weißen, plus-deutschen Mitspieler. Mesut Özil wurde medial zerrissen für seine politische Sichtweise, während die Kritik an Manuel Neuer verhalten ausfiel, als er ein rassistisches Lied im Kroatien-Urlaub sang.
Es bleibt die Frage nach den Konsequenzen. Das Teeren und Federn einzelner Experten mag die erste Welle der Wut besänftigen, hilft aber der Gesamtproblematik eher wenig. Es wäre auch naiv, den aktuellen Vorfall als einzigartige Chance für einen Dialog zu verstehen. Denn Chancen gibt es, wie anfangs erwähnt, genug. Das Jahr 2020 hat gezeigt, dass der Fußball sich selbst am heiligsten bleibt – auch angesichts der „Black Lives Matter“-Bewegung, des starken globalen Wandels und lauter sozialer Forderungen. Nicht nur bei Rassismus, sondern auch beim eklatanten Sexismus und Homophobie erkennen wir die wahre Bereitschaft dieser weißen Männerwelt, Probleme zu erkennen und anzugehen. Der Fußball mag sprichwörtlich allen gehören, solange aber nicht durch Workshops, Quoten oder Stipendien Veränderung herbeigeführt wird, bleibt es nur beim Sprichwort. Denn so gehört er einfach rassistischen, sexistischen und/oder homophoben weißen Männern.