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Dürfen Schwarze über alles lachen, weil sie ja eh nicht rassistisch sein können?

Illustration: FDE

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Weil sie sich in der Medienlandschaft nicht repräsentiert fühlten, haben Malcolm Ohanwe und Marcel Aburakia einen eigenen Podcast gestartet: die „Kanackische Welle“. In der Kolumne dazu schreiben sie hier alle zwei Wochen über Identität, Popkultur, Sexualität, Rassismus, Politik, Sport und vieles mehr – aus einer post-migrantischen Perspektive.

Vor einigen Wochen ging ein Video viral: Schwarze deutsche Jugendliche drangsalieren darin ost-asiatisch aussehende deutsche Jugendliche mit rassistischen Witzen. Es fallen Sprüche über Karate und Kung Fu und noch viel schlimmere rassistische Bemerkungen. Die Betroffenen leiden sichtlich darunter. Dieser Clip, der mittlerweile gelöscht wurde, führte zu einer Diskussion darüber, wie BIPoC (Schwarze, Indigene und People of Color) in Deutschland miteinander umgehen und welche rassistischen Dynamiken dabei entstehen können. Auch ich hinterfragte meine eigenen Verhaltensweisen.

Dass ich selbst von Rassismus betroffen bin, habe ich schon oft besprochen und reflektiert, doch dass ich ihn selbst auch oft reproduziere, nicht so sehr. Dabei ist das wichtig. Zum Beispiel, wenn es um Humor auf Kosten von (ost-)asiatischen Menschen geht. Ich habe meinen viet-, chinesisch- und tamilisch-deutschen Freund*innen aus der Schule definitiv einige rassistische Witze aufgedrückt – von Vergleichen mit Lucy Liu über „Tsching Tschang Tschong“ und Witze über südasiatischen Namen Anusha („Klingt wie Hanuta!“) war alles dabei. Ich bereue das, wenn ich jetzt über mein pubertäres Ich nachdenke und weiß im Nachhinein gar nicht, was das mit den einzelnen Betroffenen wohl gemacht hat. Macht es da einen Unterschied, dass ich nicht der weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft angehöre?

Um rassistisch zu handeln – auch bei Witzen –, braucht es laut vielen Sozialwissenschaftler*innen wie Natasha Kelly oder Wulf D. Hund Machtstrukturen und einen entsprechenden historischen Hintergrund. Rassismus ordnet alle anderen Menschen der weißen Herrenrasse unter. Es ist zum Beispiel etwas anderes, wenn eine Schwarze Person eine weiße deutsche Person „Kartoffel“ oder „Alman“ nennt, als wenn die Schwarze Person umgekehrt „scherzhaft“ mit dem N-Wort bezeichnet wird. Beides kann individuell weh tun, aber nur die eine Richtung ist mit einer Jahrhunderte alten Geschichte von Sklaverei, Verstümmelung, Kolonialisierung, Exotisierung und Massentötung aufgrund der Hautfarbe und der vermeintlichen „Rasse“ verbunden.

Deswegen funktionieren auch sogenannte Alman-Memes, mit denen sich Leute über vermeintlich weiße deutsche Verhaltensweisen lustig machen, auch in der anti-rassistischen Blase so gut: Sie machen auf Unterdrückungs-Mechanismen aufmerksam und treten nach oben, statt bereits existierende rassistische Strukturen zu befeuern oder zu bedienen. Dass der erfolgreiche Instagram-Account „Alman Memes 2.0“ von zwei Weißen betrieben wird, zeigt, dass selbst an vermeintlich anti-weißem Humor, der meiste Profit, zum Beispiel in Form ihres Buchprojekts, von Weißen selbst gemacht wird.

Aber die Welt ist wortwörtlich und im übertragenen Sinn natürlich nicht schwarz-weiß. Nicht nur in Afrika, auch großen Teilen Amerikas, Ozeaniens und Asiens gab es lange Schreckenskapitel, geprägt durch weiße kulturell-christliche Kolonial-Verbrecher, die Leuten ihre Sprachen, Krankheiten und homophoben Gesetze aufzwangen. Längst nicht alle von Rassismus und Kolonialismus betroffenen Menschen sind also Schwarz und selbsterklärend gibt es auch unter den verschiedenen betroffenen Gruppen Vorurteile und Witze. Ist das dann eine „andere Art“ von Rassismus, wenn etwa Schwarze Witze über Asiat*innen machen? In unserem Podcast Kanackische Welle haben wir uns damit auseinandergesetzt und unter anderem die Frage erörtert, ob Schwarze rassistisch gegenüber Asiat*innen sein können und wenn ja, wie sich dieser Rassismus äußert. Oder anders gefragt: Hat anti-asiatischer Rassismus eine spezielle Schwarze Spielart?

„Wenn es um meine Familie geht, wird mir meine eigene Doppelmoral besonders bewusst“

Als Kind habe ich oft Situationen erlebt, in denen Schwarze Menschen krasse Klischees bedient haben, wenn es um Asien geht, etwa in der Popkultur. Wenn der Schauspieler und Komiker Chris Tucker sich über Jackie Chan lustig machte, fand ich das nicht weiter schlimm. Und wenn in meiner Lieblings-Reality-Show „Basketball Wives“ die Afroamerikanischen High-Society-Ladys über Hijabs gackertendie Schwarzen Hausfrauen über Hijabs gackerten, gackerte ich mit. Wenn eine weiße Person dieselben Dinge gesagt hätte, wäre mir das dagegen wohl übel aufgestoßen. Ich habe schon darüber geschrieben, wie rassistisch orientalisch markierte Menschen gegenüber Schwarzen sein können, und dass das benannt werden muss, aber wenn zum Beispiel Afroamerikaner*innen degradierende Witze über Afghan*innen, Japaner*innen, oder Chines*innen reißen, schlägt mein Moralkompass bislang kaum aus. Ich neige dazu, das zu verharmlosen.

Wenn es um meine Familie geht, wird mir meine eigene Doppelmoral besonders bewusst: Wenn mein Schwarzer nigerianischer Vater mal etwas Abfälliges über die „arabische Kultur“ sagte, war das zwar doof, aber traf mich nicht so hart. Wenn meine hellhäutige palästinensische Mutter aber etwas gegen meinen afrikanischen Teil der Familie sagte, schmerzte das richtig. Bin ich ein Heuchler?

Historisch gesehen haben Schwarze Menschen ein anderes Verhältnis zu Asiat*innen als Weiße. Menschen aus Afrika haben nicht systematisch Menschen aus Asien versklavt oder kolonialisiert. Tatsächlich gibt es eine gegenteilige Geschichte. Schwarze Menschen wurden wie Ware auch in Pakistan, Indien, China verkauft und in vielen asiatischen Gesellschaften gibt es sehr rassistische Vorurteile, Literatur, Werbungen und Filme über Schwarze und dunklere Menschen allgemein. In den Regionen dagegen, wo die meisten Afrodeutschen ihre Wurzeln haben, wie Nigeria, Ghana, Eritrea oder auch Ruanda, sind negative Stereotype gegenüber asiatischen Menschen auf struktureller Ebene dagegen kaum dokumentiert. Anna Dushime, die zu Gast in der erwähnten Podcast-Folge war, kommt aus Ruanda. Neben den ehemaligen weißen Kolonial-Herren, so erzählte Anna, gebe es in ihrem Heimatland auch viele indische und chinesische Geschäftsleute, die die Einheimischen finanziell ausbeuteten. Ähnliche Dynamiken kenne ich aus meiner Zeit in Nigeria. Und Ayesha, eine Gästin in einer Podcast-Folge zu diesem Thema, deren Eltern Inder*innen sind, die in Kenia gelebt haben, bestätigt dieses Machtgefälle. Ihre Eltern konnten sogar nachvollziehen, warum Schwarze ostafrikanische Menschen teils eine Anti-Haltung gegenüber ihnen hatten. Sie kam daher, dass asiatische Menschen in der Geschichte zu den Unterdrücker*innen zählten.

„Als Teil einer westlichen Dominanz-Kultur und als Individuen können wir sehr wohl super rassistisch und verletzend sein“

Machtstrukturen sind also auch unter PoC und von Kolonialismus geprägten Gesellschaften komplex. Die Frage, ob „Humor“ von Schwarzen Menschen auf Kosten asiatisch markierter Menschen rassistisch ist, würde ich also wie folgt beantworten: Schwarze haben kollektiv und pauschal betrachtet weder die Macht noch den entsprechenden historischen Hintergrund, um strukturell rassistisch gegen asiatisch markierte Personen vorzugehen. Das ist aber kein Freifahrtschein für doofe Sprüche oder Witze, egal wie sie gemeint sind. Denn als Teil einer westlichen Dominanz-Kultur und als Individuen können wir sehr wohl super rassistisch und verletzend sein. Die Schwarzen Kids, die die ostasiatisch aussehenden Kids in dem Video wegen ihres Äußeren ausgelacht haben, haben keine besondere Schwarze Spielart des anti-asiatischen Rassismus ausgeübt, sondern weiß-westlichen Rassismus einfach wiedergegeben. Und das tut weh, egal von wem er ausgeht, wie auch Minh Thu Tran im Podcast unterstreicht. Und darum sollte es doch gehen. Nur weil der Ausruf „Kartoffel“, anti-muslimische oder anti-asiatische Witze aus der Warte einer Schwarzen Person keine strukturelle Echokammer haben, also nicht mit einer lagen schmerzhaften Geschichte und einer Vormachtstellung in einem rassistischen System einhergehen, heißt das nicht, dass sie nicht verletzen. Deswegen gilt ganz klar: Nein, auch Schwarze dürfen nicht über alles lachen und ja, zumindest auf individueller Basis, können Schwarze sehr wohl rassistisch gegenüber anderen PoC und auch Schwarzen sein.

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