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Ist deutsche Comedy wirklich so schlecht?

Illustration: Julia Schubert

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Aus der Ferne sehe ich das Meer aus Funktionsjacken an Haltestelle 7. Im Rhythmus des S-Bahnplans werden Wellen von Mittfünfzigern in praktischer Alltagskleidung an die Sammelstelle gespült. Schrille Lacher hallen wie Möwenschreie durch den Zentralen Omnibusbahnhof. Wenige Schritte später stehe ich im Zentrum dieses Schwarms. „Papa, warum lachen die schon? Die Tour ist doch noch gar nicht losgegangen“, fragt ein Junge seinen Vater, der sich darauf konzentriert, das perfekte Foto von dem Schild zu machen, das das Programm der nächsten anderthalb Stunden verkündet: Comedybus München – Abfahrt 20:30.

Deutsche Comedy, das heißt für mich: Geschlechter-Klischees, Witze von Ausländern über Ausländer, denn Deutsche dürfen die ja leider nicht mehr machen und „ausgeflippte Typen“, die sich ununterbrochen bewegen, um die Schwächen ihres Programms zu überspielen. Die Pointen sind beliebig, flach und ohne Mut, etwas Neues auszuprobieren. Die Zeiten der Loriots, Schmidts und Schneiders sind lange vorbei. Heute sorgen Barths, Ceylans und Mockridges für ausverkaufte Hallen und gute Einschaltquoten. Doch sind die deutschen Komiker wirklich so, wie ich sie aus dem Fernsehen kenne? In der Heimatstadt von Karl Valentin und Gerhard Polt will ich Antworten finden. Meine Suche führt mich an die Basis der Comedy-Szene: „Die lustigste Stadtführung Münchens.“

 

Als ich im Gang stehe, stürmt eine Frau auf mich zu und umarmt mich, als wäre ich ein alter Freund

Mittlerweile hat der der Fahrer die Tür des Busses geöffnet und davor einen roten Teppich ausgelegt, über den gleich unzählige Wanderschuhe schreiten. Dann verkauft er Getränke. Der Vater von eben erfährt die erste Enttäuschung schon bevor es losgeht: „Was? Bier ist schon alle?“ „Das macht gar nix!“, sagt seine Frau, grinst und zieht den Kopf zwischen ihre Schultern, um sich spielerisch vor einer imaginären Ohrfeige zu schützen. Ich betrete als Letzter den Bus. Als ich im Gang stehe, stürmt eine Frau auf mich zu und umarmt mich, als wäre ich ein alter Freund, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat. „Wie heißt du denn?“ „Raphael.“ „Hi ich bin Susanne. Wir duzen uns hier.“ Susanne heißt mit Nachnamen Plassmann und ist Comedienne. Sie wird die Tour leiten.  

Weil ich alleine bin, werde ich zu einer „Mädelsgruppe“ gesetzt, wie sie die Frauen aus dem Oberpfälzer Faschingsverein nennt. Ich sitze neben Kathrin. Kathrin ist Mitte 40 und wirkt sympathisch. In der Hand hält sie eine silberne Prosecco-Dose. Kaum sitze ich, macht Susanne schlüpfrige Anspielungen darüber, was meine Sitznachbarin alles mit mir anstellen könnte. Kathrin und ich schauen uns entschuldigend an. Bevor es losgeht, gibt uns Susanne Anweisungen. Wenn sie „Rechts“ ruft, sollen alle rechts aus dem Fenster schauen und „Oooh!“ rufen. „Links“: Bitte nach links schauen und „Aaah!“ sagen. Zur Übung schreit Susanne zehn Mal schnell hintereinander „Links! Rechts!“, alle ziehen mit. Außer mir. Ich will mich dieser Spaßdiktatur nicht unterwerfen und beobachte das Geschehen, aber das bleibt nicht unbemerkt: „Was ist da los?!“, schreit die Comedienne und zeigt – tatsächlich wütend – mit ausgestrecktem Finger auf mich. Wie in jeder Diktatur sind auch hier Querulanten unerwünscht. Wenn ich mich nicht anpasse, halt ich hier nicht lange durch, denke ich und beschließe, ein Teil dieser heiteren Masse zu werden. Susanne macht ja schließlich auch nur ihren Job und ich will etwas über deutsche Comedy lernen. Vielleicht gehört es einfach dazu, einen Teil meines freien Willens dafür abzugeben.

Die nächste Anweisung ist kompliziert. Ute und Frank bekommen jeweils ein Deospray überreicht. Sie seien ihre „Deopeople“, sagt Susanne. Klatschen, donnerndes Lachen im Bus. Die Komik dieses Ausdrucks erschließt sich mir nicht, aber hinter mir wiederholt ihn jemand amüsiert und betont dabei jede Silbe: „DE-O PEO-PLE!“ Susanne kündigt an, dass sie im Laufe der Tour „Deo!“ schreien, die Arme hochreißen und durch die Reihen laufen wird. Frank und Ute sollen sie dann mit Deo besprühen. Sie proben den Vorgang einmal, dann setzt sich der Bus in Bewegung. Den Witz habe ich immer noch nicht verstanden.

Vielleicht habe ich sogar richtig Spaß, wenn ich meinen Comedy-Hass für die verbleibende Stunde vergesse

Den Comedybus mit dem Motto „Comedy findet Stadt“ gibt es in allen deutschen Großstädten. Die Veranstalter versprechen auf ihrer Homepage, dass ich am Ende nicht nur die Stadt, sondern auch mein Zwerchfell kennen werde. Wer auf Comedy „abfährt“, solle diesen Bus nicht verpassen. 27 Euro kostet die Tour. Dass sie abends stattfindet, wenn man kaum noch etwas sieht, hat einen praktischen Grund: „Die Straßen sind da nicht so überfüllt. Ich musste mal 'ne Vollbremsung machen, da lag mir die Komikerin vorne in der Windschutzscheibe“, sagt mir Michi, der Busfahrer, der auch darauf besteht geduzt zu werden.

Wir fahren am Hauptbahnhof vorbei. „Mann, ist der hässlich!“, kommentiert Susanne – dann geht es über den Königsplatz zum Karolinenplatz. „Der Platz ist strahlenförmig angeordnet, hier seht ihr einen Obelisken. Bitte alle Aaaah! machen“, sagt Susanne und die Masse gehorcht. Nach ein paar Informationen zur Bedeutung des Obelisken, verwoben mit Kalauern, wird Susanne wieder richtig laut. „Der Michi möchte jetzt ein bisschen Oktoberfest machen“, schreit sie und zieht die letzte Silbe ganz lang. Michi beginnt den Kreisverkehr zu umrunden. Einmal, zweimal, dreimal. Der ganze Bus stimmt auf Aufforderung „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ an. „Ihr habt Bier und euch ist schlecht. Auf dem Oktoberfest kosten zwei Maß und 'ne Achterbahnfahrt 26€“, sagt Susanne nach der vierten Runde. Immer noch günstiger als diese Veranstaltung, denke ich und wäre jetzt lieber auf der Wiesn, von mir aus auch mitten in einer Gruppe grölender Australier.

Über den Stiglmaierplatz geht es weiter zum Nymphenburger Kanal – „hier sind Motorboote und Dreimaster verboten“ – und dann weiter zum Schloss. Michi parkt den Bus, zündet eine Wunderkerze an und läuft damit an den Fenstern vorbei: „Das sind Sternschnuppen“, sagt Susanne. Jeder soll sich was wünschen. Die Mädels schreien ihr Lachen hinaus und Tränen schießen ihnen in die Augen. Ich verstehe zwar nicht genau, was sie so sehr amüsiert, aber ich freue mich darüber, wie sehr sie sich freuen. Vielleicht habe ich sogar richtig Spaß, wenn ich meinen Comedy-Hass für die verbleibende Stunde vergesse. Zehn Minuten lang fahren wir über den Mittleren Ring. Damit die wenig spektakuläre Strecke nicht auffällt, singt Susanne ein paar Lieder und macht Witze über Religion. Aus den Boxen kommt Kirchenmusik. Susanne ruft: „Hallelujah, griaß di no a moi“, während sich auf der linken Seite die Fassade der BMW-Welt schemenhaft vom Schwarz der Nacht abhebt. „Was haben ein BMW Kombi und Jesus Christus gemeinsam?“, fragt Susanne. „Es sind beides Mehr-Türer.“ Ich ertappe mich dabei, wie ich schmunzle.

Die Comedienne beugt sich umständlich zur Stereoanlage. Im dritten Anlauf findet sie den Skip-Knopf. Die Anlage plärrt „Danke für diesen guten Morgen“ durch den Bus. „Und jetzt alle!“ Die Leute gehorchen und grölen mit, während Susanne mit einem Zerstäuber jedem einzeln ins Gesicht spritzt. „Jetzt seid ihr katholisch!“ Um das zu feiern, sollen sich die Gäste jetzt mit den Worten „Griaß di, du Lump, du katholischer“ umarmen oder küssen. Viele schreien vor Vergnügen. In die ohnehin schon kochende Stimmung brüllt Susanne: „Deo!“ und rennt mit erhobenen Armen durch die Sitzreihen. Karin und Frank sprühen, wie sie es geprobt haben. Der säuerliche Duft der Weleda-Citrus-Deodorants mischt sich mit der Kombination aus Schweiß, Bier und Prosecco, die seit der Wiesn-Simulation durch den Bus wabert. Ein Geruch, noch penetranter als die gespielte gute Laune der Komikerin. Ich warte, ob diese Aktion noch eine Pointe bereithält, einen Layer, der diesen Lauf legitimieren würde. Vergeblich.

Während ich mit der U-Bahn nach Hause fahre, läuft in meinem Kopf „Skandal im Sperrbezirk“ in Dauerschleife

Meine guten Vorsätze von eben sind schlagartig verschwunden. Die Abneigung ist zurück und wird sich heute auch nicht mehr unterdrücken lassen. Noch 30 Minuten. Der Bus fährt zur Münchner Freiheit. „Die einzige U-Bahnstation, die nach einer 80er-Jahre-Band benannt wurde.“ Sie legt „Ohne Dich“ auf. Vier Minuten später ist das Lied zu Ende und der Bus fährt am Siegestor vorbei. Die Komikerin zählt die Gemeinsamkeiten zwischen den Bauwerken und der Architektur aus Rom, Paris und Florenz auf. Keine Info wird geliefert, ohne dass unmittelbar darauf ein Sparwitz folgt. „Hier ist die Sissi geboren. Die war schon bulimisch, bevor es modern war.“ Der Bus ist zum ersten Mal leise. Nach dem Gag-Orgasmus von eben, scheint auch den anderen Fahrgästen die Luft auszugehen. Susanne beginnt uns alle nacheinander zu massieren. Ich habe mittlerweile aufgegeben, nach einem Sinn zu suchen. Dafür hatte ich in den vergangenen 75 Minuten mehr Körperkontakt mit fremden Menschen als im gesamten letzten Jahr.

Dann zurück zu Altbewährtem: dem immer gleichen Dreiklang aus Information, Witz und Musik. Maximilianstraße: Wurde von König Maximilian I. gebaut, hier kostet ein Espresso 20 Euro, „Schickeria“ von der Spider Murphy Gang. Glockenbachviertel: Münchner Schwulenviertel, Hape Kerkeling habe hier den Film Faustdick von hinten gedreht, wieder die Spider Murphy Gang, diesmal „Skandal im Sperrbezirk“. Die anderen Gäste lachen mittlerweile wie antrainiert jedes Mal, wenn Susanne bei der Pointe ihre Stimme hebt und die letzten Silben langzieht. Pawlow wäre stolz. Während Günther Sigl ein letztes Mal „Skandal um Rosie“ durch die Lautsprecher haucht, fährt der Bus in den ZOB ein. „Gar nicht so schlecht wie erwartet. Die Zeit ist zumindest schnell vergangen“, sagt Kathrin neben mir, obwohl sie sehr viel gelacht hat.

Sie weiß wohl auch, dass sie soeben nicht Zeugin feingeistigen Humors geworden ist und das ist bei den anderen Gästen ähnlich. Die Zeit ist halt schnell vergangen, über München hat man auch etwas gelernt und einige haben einen Rausch, von dem sie den Rest der Abends zehren können. Susanne Plassmann hat ihren Job gemacht und 90 Minuten lang fast den gesamten Bus unterhalten. Ich kann zumindest verstehen, warum sich viele diese Stadttour anstatt einer drögen Info-Veranstaltung aussuchen. Trotzdem, meine Vorurteile wurden bestätigt. Deutsche Comedy hieß auch heute: eine seichte Mischung aus Sexismus, Sparwitzen und Showelementen. Die Leute werden es schon schlucken. Während ich mit der U-Bahn nach Hause fahre, läuft in meinem Kopf „Skandal im Sperrbezirk“ in Dauerschleife. Zuhause schaue ich mir einen Auftritt von Bill Burr an. Im schwarzen Sweatshirt sitzt der US-Komiker vor Tausenden von Menschen auf einem Barhocker. Keine Bewegung zu viel, kein Satz, der nicht auf den Punkt sitzt. Nach zwei Minuten lache ich zum ersten Mal an diesem Abend laut auf.  

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