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Shahak Shapira will Deutschland neuen Humor beibringen

Shahak Shapira.
Foto: Moritz Künster/ZDF

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An einem deutschlandgrauen Tag im März sitzt Shahak Shapira am vielleicht unlustigsten Ort der Welt, einem Raum im zehnten Stock des Hotels Meridién Hamburg, Blick in den Hinterhof, vor sich das ewige Trio der Pressetermin-Tristesse: Apfelschorle, Filterkaffee, Wasser (laut/leise). Er sagt: „Ich arbeite momentan von 8 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts, ich hab nicht mal Zeit für Groupies.“ Dann lacht er sein gequältes Lachen, lächelt sein „ich weiß es doch auch nicht, weißt du es?“-Lächeln, als lerne ausgerechnet er als Profi gerade, wie schmerzhaft trefflich der Ausdruck „Galgenhumor“ sein kann. Und wieder einmal fragt man sich, warum er sich das antut: ZDF-Pressetag, Journalisten und Journalistinnen seinen Humor erklären, lächeln, lachen, bitte, danke.

War er nicht schon ganz oben? Also, zumindest im Netz? Hatte er sich nicht mit einigen supersmarten Aktionen hunderttausende Follower erspielt, saß bei Böhmermann auf der Couch, schrieb einen Bestseller (über sein Aufwachsen als Jude in Ostdeutschland) und dann noch einen (eine Übersetzung der Bibel in Internetsprache)? Was will so jemand beim sterbenden Medium Fernsehen?

Wenn am 8. April endlich Shahak Shapiras TV-Show „Shapira Shapira“ startet, wird man es endlich wissen. Seit zwei Jahren raunt es durch Netz und Medien-Branche, der Netz-Künstler und Comedian bastle beim Talentefunkhaus ZDFneo an etwas Großem. Und heute, in diesem grauen Hotelraum vor einem stillen Wasser, verrät der 31-Jährige auch, woran und warum: „Ich will machen, was es im deutschen Fernsehen noch nicht gab: Wöchentlich eine halbe Stunde Standup und Sketche, immer frisch produziert, vor Publikum. Wie die Amerikaner. Entweder ich scheitere grandios – oder es wird revolutionär.“ Und wieder das Lächeln. Ich weiß es nicht, weißt du es?

Und dieser leicht nerdige, fast schüchterne Typ will auf die Bühne?

Shahak Shapira hat also eine Mission. Er ist ausgezogen, den Deutschen das Lachen zu lehren. Er will nichts weniger, als diesem sachlichen Land eine andere Humorkultur beizubringen. Kann das klappen?

Wir erinnern uns: Im August 2017 sprühte ein junger Mann in einer gelben Warnweste rassistische und antisemitische Hass-Tweets direkt vor die Twitter-Zentrale in Hamburg, um gegen die lasche Reaktion des Netzwerkes auf solche Inhalte zu protestieren. Die New York Times und Al-Jazeera berichteten, sogar der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas schaltete sich mahnend in die Debatte ein. Es war nicht die erste aufsehenerregende, mit kleinen Mitteln effektive, „virale“ Aktion des Mannes namens Shakak Shapira. Anfang 2017 hatte er für die Aktion „Yolocaust“ auf einer Webseite die Aufnahmen von Touristen veröffentlicht, die am Holocaust-Mahnmal in Berlin für Urlaubsbilder posiert hatten, und ihnen Bilder aus den Vernichtungslagern gegenübergestellt. Weltweite Aufmerksamkeit folgte, 2,5 Millionen Menschen sahen die Seite innerhalb einer Woche. Ein Jahr zuvor hatte er gemeinsam mit der Partei DIE PARTEI Dutzende rechtsradikale Facebook-Gruppen der AfD infiltriert und sie öffentlich bloßgestellt.

Wer innerhalb kurzer Zeit mit solchen Aktionen das deutsche Netz umkrempelt, wird zu den digitalen Klassentreffen eingeladen. So sitzt Shapira im Herbst 2017 im Münchner Volkstheater beim Netzkongress des Zündfunks (BR), nachdem er in einem Vortrag kurz erklärt hatte, wie „viral“ eigentlich gehe, und dass ihm seine Reichweite inzwischen natürlich immens dabei helfe. Das Netz kennt den Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben. Nach seinem Auftritt aber winkt er ab: „Eigentlich will ich ja nur Standup machen. Schon immer.“ Er erzählt, was viele junge Comedians in Deutschland erzählen, die (zu) viel Louis CK geschaut haben: Hierzulande gebe es kaum echte Comedy, das können nur die Amerikaner, aber man werde es ihnen schon zeigen. Ein paar Mädchen, um die 18 Jahre alt, kommen an den Tisch. „Können wir ein Foto mit dir haben?“ Shapira sagt ja, aber wohl ist ihm dabei nicht, das sieht man. Und dieser leicht nerdige, fast schüchterne Typ will auf die Bühne?

Er will, und er geht. Ein paar Monate später tourt er mit seinem Standup-Programm „German Humour“ durch ausverkaufte Hallen. Auf der Bühne verwandelt sich der schüchterne blonde Durchschnittstyp in einen sehr souveränen blonden Durchschnittstypen – mit einem gut gearbeiteten Comedy-Programm. Die Witze: Hart, aber herzlich; die so simple wie brutal schwere Comedy-Schule: Schneide ein Stück aus der Realität aus, das per se schon absurd ist („Auschwitz hat im Netz als Sehenswürdigkeit nur eine durchschnittliche Bewertung von viereinhalb Sternen“). Nimm es todernst („Der McDonalds am Alexanderplatz hat nur drei“). Treibe es auf die Spitze („Technisch gesehen sind Chicken McNuggets also schlimmer als der Holocaust“). Genieße die Lacher.

Ist das das Drama des begabten Kindes? Einer, der viel kann, will immer was Neues?

Das funktioniert. Zumindest in der Nische. Das Publikum? „Genau wie beim Böhmermann“, meint ein Besucher zu seiner Freundin. Studenten, 20 bis 30 Jahre alt, urban. Leute, die Shapiras Vorbilder im Netz auf Englisch sehen oder deren deutsche Adaptionen. Die hiesigen Entertainer mögen generell hintendran sein, aber ihre Avantgarde kopiert die Amerikaner nicht erst seit gestern. Erst Harald Schmidt, dann Jan Böhmermann schauen sich seit Jahrzehnten erfolgreich ab, was David Letterman oder Jimmy Kimmel treiben. Die Konkurrenz bleibt, da hat Shapira völlig recht, in Deutschland jedoch überschaubar. Jemand wie er, mit einer treuen Gefolgschaft, einer greifbaren Persönlichkeit und einem soliden Programm schafft es hier recht schnell sehr weit. Und wieder die Frage: Wozu Fernsehen? Im Vergleich zur einsamen, aber ehrlichen Bühne geht es hier um Produktionsabläufe, Senderwünsche, große Teams, sprich: Kompromisse. Ist das das Drama des begabten Kindes? Einer, der viel kann, will immer was Neues?

März, kurz vor der ersten Ausstrahlung. „Ich orientiere mich mit der Sendung eben eher bei Louis CK, Dave Chapelle, Bill Burr. Leute, die in Deutschland nicht viele kennen.“ Shapira will also eine Mischung aus Sketch-Comedy und Standup, „die es in der Form in Deutschland noch nie gab“, wie er quasi als Warnung auf der Seite für den Ticketkauf schreibt. Seine Anforderung ans Publikum: „Wenn ihr Stand-Up liebt, Humor lieber ehrlich als „richtig“ habt und auch mal Freude in unangenehmen Witzen finden könnt, kommt bitte unbedingt! Wenn ihr aber politisches Kabarett und einen Performer erwartet, der lediglich eure eigenen Ansichten bestätigt, werdet ihr vielleicht woanders glücklicher!“ Was soll das heißen? „In Deutschland gibt es entweder das belehrende Kabarett mit fester politischer Haltung, meistens eher links, quasi Opposition auf der Bühne“, sagt er, „oder sehr simple Comedy ohne echte Botschaft.“ Er aber will: Anspruch ohne Zeigefinger. „Wenn ich dich gedanklich nicht irgendwo mitnehmen kann, wohin du selbst nicht kommen könntest, verschwende ich deine Zeit.“

In den ersten veröffentlichten Clips der Sendung auf YouTube führt er sich ein als „Eiskunstläufer, Zumba-Trainer, Sänger“, parodiert R. Kelly („I believe I can touch a child“) und tanzt albern herum. Dabei merkt man – in der angestrengten Selbstironie, die eigene Persönlichkeit und Humorverortung für einen Prolog künstlich aufzuführen – ihm das Fremdeln mit dem Medium, mit der Rolle als Star und Zugpferd noch an. „War nicht meine Idee“, sagt er, „es musste plötzlich schnell ein Vorstellungsvideo für die erste Sendung her.“

„Ich weiß ehrlich nicht, ob irgendjemand beim Fernsehen mich versteht“

Auf der Bühne funktioniert das tausendmal besser: wenn er zum Beispiel fantasiert, dass man per App bald Obdachlosen spenden und sie kontrollieren kann, was sie davon kaufen, lachen alle. Über die Vorstellung, die Gesellschaftskritik und die kleine Geschichte, die Shapira hier erzählt. Storytelling, dieses unselige Modewort, es hat in der Comedy seine Berechtigung. Und so ist auch einer der ersten Sketche sehr lustig, in dem er dem Terminus „toxische Männlichkeit" ein Gesicht gibt: Um sich neue geile Produkte auszudenken, steigern er und zwei weitere hypermännliche Männer sich immer weiter in einen sexistischen, rassistischen Brüll-Anfall hinein („Hart Muschis ficken!“), der immer wieder von gnadenlos ehrlicher Selbstanalyse unterbrochen wird, woran die Boys eigentlich leiden: „Das patriarchale Männerbild, mit dem ich nur versuche, meine sexuelle Unsicherheit zu überspielen.“

Das ist relevant, auf der Höhe des Diskurses und in der Ausführung das kleine bisschen irrer und mutiger, als viele andere es gerade dürfen (oder sich trauen). „Bis jetzt lassen sie mich komplett machen“, sagt Shapira, „und ich weiß ehrlich nicht, ob irgendjemand beim Fernsehen mich versteht. Muss ja aber auch nicht.“ Sein Referenzrahmen ist ein anderer. Am liebsten steht er in Berlin auf Standup-Bühnen, die angelsächsisch geprägt sind. Und liefert auf Englisch ab. „Die englische Szene in Berlin ist besser, vor allem, weil es sie viel länger gibt.“

In diesen Tagen wird hier tatsächlich gerade viel über Humor gestritten. Was darf man noch, was nicht (mehr)? „Die Frau, die zu Bernd Stelter auf die Bühne geht und sich über seine schlechten Witze beschwert, ist jedenfalls für mich keine Heldin“, sagt er. „Sich beleidigt fühlen ist keine Qualität.“ Und Religion? „Ich komme aus einem Land, das von Religion tagtäglich zerrissen wird, deshalb habe ich dafür nicht so viel Liebe übrig.“ Er hat eine Nummer über Jesus und seine „Sixpacks“, die so sexy seien, und wieso könne die Kirche dann etwas gegen Homosexuelle haben, wenn ihr Messias aussähe wie ein schwules Model? „Jesus ist so hot, ich würde Jesus auch nageln“, sagt Shapira auf der Bühne. Seine eigene Religion bedeutet ihm nichts. „Der jüdische Gott“, so eine Nummer, „verarscht die Juden doch nur. Er hat sie 40 Jahre durch die Wüste laufen lassen, nur um sie an den einzigen Fleck im Nahen Osten zu bringen, an dem es kein Erdöl gibt.“

„Das ist auch so deutsch: Dass man dann sofort und für immer der Jude ist“

Was uns doch noch zur Sache mit seiner Herkunft bringt. Die erste mediale Aufmerksamkeit bekam er, als ihn am Silvesterabend 2014 mehrere arabische Jugendliche in der Berliner U-Bahn angriffen, weil er Jude ist. „Ich wollte aber kein Opfer sein“, sagt er. Also ging er an die Netzöffentlichkeit, erzählte seine Geschichte, wie seine Mutter es für eine gute Idee hielt, die Siedlung im Westjordanland, wo Shahak aufwuchs, zu verlassen und sich im südlichen Sachsen-Anhalt niederzulassen, da war er 14. Wie sein kleiner Bruder von Neonazis zusammengeschlagen wurde, wie Shahak in New York studierte und Werber wurde, ins weltoffene Berlin ging.

In seinem Programm macht er seine Herkunft zum Thema, will keine erfundene Figur darbieten. „Aber das ist auch so deutsch: Dass man dann sofort und für immer der Jude ist. In den USA, einer durchmischteren, gewissermaßen auch entspannteren Gesellschaft, kann man mit seinen Wurzeln spielen, ohne sich festlegen zu müssen.“ Vergangenes Jahr nahm Shahak Shapira die deutsche Staatsbürgerschaft an. Wer „den Deutschen“ einen anderen Humor beibringen will, muss eben Opfer bringen. Ob es sich gelohnt hat, wird sich zeigen. „Wenn die Sendung floppt“, sagt er, „probiere ich es weiter – bis es klappt.“ Ein letztes Lächeln. Ich weiß es nicht, aber Du? So lange das Fernsehen diese Art von Talenten noch locken kann, sollte man ihnen zuschauen.

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