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„Man muss sich in den Armen liegen und schwitzen“

Foto: Getty Images/Gina Wetzler

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Erinnert ihr euch? Es gab mal die Skater, die Punks, die Emos oder den klassischen Jutebeutel-Indie-Hipster – wirklich überlebt hat aber keine dieser Subkulturen. Nur die Metalheads scheinen nicht auszusterben – weder in Schulklassen, noch in den Hörsälen oder in Büros. Und nach Wacken pilgern Jahr für Jahr Zehntausende – auch am vergangenen Wochenende zählten die Veranstalter rund 75 000 Besucher. Aber wieso ist Metal so trendresistent und was macht die Kultur eigentlich aus? Wir haben Prof. Rolf Nohr, Heavy-Metal-Experte und Autor des Buches „Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt“ gefragt.

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Professor Rolf Nohr in früheren Jahren, während seiner Hardrock- und Metal-Phase.

Foto: privat
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Jahre später: Buchautor und immer noch Metal-Experte  Rolf Nohr.

Foto: JACOBY Fotodesign / Holger Jacoby

jetzt: Herr Nohr, ist Metal unsterblich?

Rolf Nohr: Also streng musikwissenschaftlich gesehen ist er eigentlich schon länger tot und mehrfach wiederauferstanden. Es wird zwar in einer Außenperspektive oft von einer zusammenhängenden Metal-Tradition ausgegangen, aber das, was früher Heavy Metal war, Iron Maiden zum Beispiel, das hat für heutige Metal-Fans fast Schlager-Status. Trotzdem stimmt es, dass es unabhängig vom Musikgenre Metal seit vielen Jahrzehnten Metaller gegeben hat und wahrscheinlich auch noch lange geben wird.

Woran liegt das? 

Ja, das ist eigentlich die Frage nach dem Heiligen Gral – was macht eigentlich Metal oder Metaller sein aus und wie unterscheidet sich die Subkultur von anderen? Als Punk kann sich beispielsweise jeder bezeichnen, ob man die Musik jetzt mag oder nicht. Bei Metal ist das nicht so. Wer die Musik scheiße findet, ist kein Metaller. Anders als bei anderen Subkulturen besteht Metal eigentlich fast ausschließlich aus dem Kern der Musik. Es gibt keine übergeordnete Ideologie, nach der sich die Metalkultur richtet. Stattdessen richtet sich alles auf den zentralen Moment des Rituals des Live-Konzerts aus. Alles andere braucht man nur, um die Zeit zwischen den Konzerten zu überbrücken.

Für Außenstehende wirken Metaller mit ihrem düsteren Erscheinungsbild und lauten, aggressiven Musikgeschmack oft furchteinflößend. Tatsächlich sind sie aber erfahrungsgemäß sehr harmonieliebende Menschen. Wie passt das zusammen?

Das stimmt. Von Punk-Konzerten kommt man grün und blau geprügelt, von Metal-Konzerten kommt man höchstens besoffen nach Hause. Tatsächlich ist die Metal-Subkultur eine eher friedliche Gemeinschaft, für die die Zusammenkunft und das Gemeinschaftsgefühl eine äußerst wichtige Rolle einnehmen. Man kann sagen, dass jeder Verstoß gegen das Gemeinschaftsgefühl auch ein grundsätzlicher Verstoß gegen die Subkultur ist. Auch die Qualitätsansprüche an die Metal-Konzerte sind sehr auf das intensive gemeinsame körperliche Miterleben zugeschnitten, anders als bei vielen anderen Subkulturen. Am Ende des Tages muss es matschig sein, man muss sich in den Armen liegen und schwitzen. Darüber hinaus darf es auch gerne virtuos sein, die Bühnenshow darf spektakulär sein und natürlich darf es auch eine Message geben. Aber wenn nicht ein Haufen Leute die Haare wirbeln, mitsingen und im Moshpit hüpfen, dann ist es nichts. Das ist der Metal-Gottesdienst.

Was bedeutet das Wacken Open Air für die Metal-Community?

Wenn ich gerade das Metal-Konzert als Gottesdienst bezeichnet habe, dann ist Wacken vielleicht sein Hochamt. Genaus so wie bei Metal-Kreuzfahrten oder dicken Coffee-Table-Books über die Metalkultur ist man einerseits stolz, dass es sowas gibt und der Welt zeigt, dass man eben nicht nur ein dummer Satanist vom Dorf ist. Andererseits hat das dann auch immer etwas Ekliges – wie eben alles, was die Kulturindustrie anfasst und mal so richtig auf Event-Kultur bürstet.

Auch bei Nicht-Metallern ist das Wacken inzwischen sehr beliebt. 21 Stunden nach dem Vorverkauf für die Wacken-Saison 2020 sind die Karten bereits ausverkauft. Macht es den Metallern zu schaffen, dass das Wacken so kommerziell geworden ist?

Genau das ist eben das Grundproblem der Subkultur Metal, wie auch das aller anderer Subkulturen. Wenn du einmal aus der Garage raus bist, hast du dich verkauft. Dann stehst du mit einer halbe Millionen Leute auf einem Acker und schunkelst mit, wenn Mambo Kurt auf der Heimorgel Slayer spielt. Andererseits ist es vielleicht genau das, was die Metalkultur so widerstandsfähig macht: Sie nimmt sich und die Kulturindustrie nicht so ernst. Dann gehen Mambo Kurt, Wacken und slowenischer Grindcore-Metal elegant nebeneinander und keiner muss sich ärgern, wenn die Leute zum Gaffen kommen.

nbü

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