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„Manche haben überhaupt keine Knuffelkontakte“

Der 30-jährige Maxime Adam Levy macht in diesem Jahr vielleicht Hunderte Menschen glücklich.
Foto: Bruno Maes

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Weihnachten soll das Fest der Liebe sein – und ist doch für viele Menschen eher das Fest der Einsamkeit. Dass das dieses Jahr dank Reise- und Kontakt-Beschränkungen ein noch verbreiteteres Problem sein wird als sonst, ist klar. Gerade in Brüssel werden wohl viele Menschen alleine Weihnachten feiern, weil sie nicht zu ihren Familien reisen können. Denn in der Stadt haben mehr als 50 Prozent der Einwohner*innen ausländische Wurzeln, viele leben nur für wenige Jahre in Brüssel und werden deshalb auch „Expats“ genannt. Um der Einsamkeit vorzubeugen, hat der 30-jährige Belgier Maxime Adam Levy eine Facebook-Kampagne gestartet: „Adopt me for Christmas“ – „Adoptiere mich für Christmas“. Hier sucht er für Menschen, die alleine feiern müssten, „Gastfamilien“ für die Weihnachtszeit – coronakonform natürlich. Mit jetzt spricht er darüber, wie viele mitmachen, und ob es nicht auch unangenehm sein kann, bei einer fremden Familie zu feiern. 

jetzt: Die Anmeldefrist für dein Projekt inzwischen vorbei. Wie viele Menschen wollen denn mitmachen?

Maxime: Insgesamt haben sich bei mir mehr als 450 Menschen gemeldet, davon waren immerhin mehr als 200 Familien, die ihr Zuhause für jemand Fremden öffnen wollen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das so viele sein würden! Aber hier in Belgien gab es auch viel regionale Berichterstattung über die Kampagne – und das hat das Ganze natürlich  hochgetrieben. Ich habe einen ganzen Tag und eine ganze Nacht gebraucht, die Menschen zu „matchen“.

Glaubst du, es ist eine gute Idee, Menschen in der Pandemie an Weihnachten zusammenzuführen? 

Belgien hat strenge Regeln, und zwar auch an Weihnachten – viel strenger als beispielsweise in Deutschland, wo sich ja zehn Personen treffen dürfen. In meiner Kontaktvermittlung steht deswegen auch „adoptieren“, weil es wirklich darum gehen soll, dass es im Rahmen der Corona-Regeln stattfindet und einen familiären Charakter hat. In Belgien darf man auch nur noch einen engen Kontakt haben, beziehungsweise, wenn man allein lebt, zwei.

„Knüffelkontakte“ heißen die, oder?

Genau, der Begriff ging ja viral. Und das gilt auch an Weihnachten.

Wie hast du die Matches zusammengeführt?

Da haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Die Leute mussten vorher einen kleinen Fragebogen ausfüllen. Ich habe dann beim „Matchen“ darauf geachtet, dass die Menschen eine gemeinsame Sprache sprechen, nicht zu weit entfernt voneinander wohnen. Auch so Faktoren wie Essensallergien haben beim Matchen eine Rolle gespielt. 

Sind auch ein paar einsame Seelen übrig geblieben?

Ja, aber auch für die hat sich eine Lösung gefunden: Ich habe die übrigen Menschen gefragt, ob sie vielleicht auch bereit wären, selbst das Fest auszurichten und jemanden aufzunehmen. Da haben wieder viele Ja gesagt, und so konnte ich alle matchen. 

„Manche haben überhaupt keine Knuffelkontakte, die kennen ja noch niemanden“

Und, hast du dich auch selbst gematcht?

Nein, bisher nicht. Meine Eltern leben gerade in Kanada, wo ich im Moment auch nicht hin kann, aber vielleicht besuche ich meinen Freund Arthur in Kassel. Sollte das auch nicht gehen, suche ich mir auf jeden Fall eine Gastfamilie in Brüssel. Ein paar Menschen haben mir nach meinem Aufruf aber auch angeboten, mich aufzunehmen. 

Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen? 

In Brüssel leben sehr viele sogenannte „Expats“, also Leute, die in Brüssel arbeiten, deren Familie aber in einem anderen Land lebt. Ich bin zwar Belgier, aber weil ich für meinen Job auch viel reise und meine Familie ja auch im Ausland lebt, weiß ich, wie hart die Einsamkeit seit dem Ausbruch der Pandemie ist. Dabei ist es natürlich schwer für Expats, die erst seit Kurzem in Belgien leben. Manche haben überhaupt keine Knuffelkontakte, die kennen ja noch niemanden.

Deine Aktion erinnert ein wenig an Jamal und Wanda aus den USA. Die beiden feiern ja nun schon seit fünf Jahren zusammen Thanksgiving, nachdem Wanda sich in der Nummer vertippt hatte, und Jamal nur aus Versehen eine Einladung von der fremden Frau bekommen hatte. War diese Geschichte eine Inspiration für dich?

Nein, davon hatte ich noch gar nicht gehört! Aber es gibt mir Hoffnung, dass die Menschen sich tatsächlich auch längerfristig näher kommen können und wirklich wie eine Art Familie werden.

Und glaubst du nicht, dass das auch ein bisschen unangenehm sein könnte, mit einer fremden Familie zu feiern?

Nein, das sind ja Leute, die das freiwillig machen, mit dem Wunsch, anderen zu helfen. Allein deswegen ist das ja schon etwas Schönes. Aber ich bin natürlich auch gespannt, wie es am Weihnachtsabend so sein wird. Die ersten Leute haben auch schon gesagt, dass sie das jetzt jedes Jahr machen möchten – aus diesem Jahr können wir also viel lernen.

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