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Der Hochstapler vor Gericht

Illustration: Julia Schubert

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Selbst am dreizehnten und letzten Prozesstag fallen in den Pausen noch die gleichen fassungslosen Aussagen wie zu Beginn: „Jedem Drehbuchschreiber würde man sagen: Das ist völlig unrealistisch, du spinnst!“ Vor einem Kölner Gericht steht Daniel W., Jahrgang 1983. In unserem ersten Text haben wir ihn Sebastian genannt, weil er damals noch nicht angeklagt war. Daniel hat viele seiner Freunde und Liebhaber über Jahre hinweg belogen, betrogen und bestohlen. Doch nicht nur sie waren seine Opfer, auch Richter, Anwälte und Firmen foppte er. Insgesamt sagen 13 Opfer vor Gericht aus. Daniel hat sich als Anwalt mit wechselndem Namen ausgegeben und seine „Mandanten“ an Amtsgerichten vertreten. Er hat es geschafft, zum Betreuer einer psychisch kranken Frau ernannt zu werden. Auf ihren Namen ließ er Kredite und Kreditkarten laufen. Und von dem Geld bezahlte er sein alltägliches Leben: Wohnung, Möbel, Reisen.

Sein vielleicht größtes Opfer war Tom, den er über vier Jahre hinweg betrogen hat. Er hat Tom jahrelang eine falsche Identität vorgespielt. Zudem hat er eine Rechtsschutzversicherung und mehrere Handyverträge auf ihn abgeschlossen, die er nicht bezahlt hat.

Tom und einige andere Menschen hat er sogar glauben gemacht, dass er als Richter  an den Europäischen Gerichtshof berufen werde. Und: Er hat seine HIV-Infektion verschwiegen. Nicht nur vor Tom. Sondern auch vor anderen Ex-Freunden und –Liebhabern.  

Zu Beginn der Verhandlung streitet Daniel in einem langen Vortrag alles ab. Er sei sehr wohl promovierter Volljurist. Er zählt Stationen seines Referendariats auf, benennt Thema und Publikationsmedium seiner Doktorarbeit. Und er versucht sich sogar selbst als Opfer darzustellen. „Die Mehrheit der Zeugen kommt aus dem homosexuellen Milieu“, trägt er vor. Soll heißen: Die sind alle miteinander bekannt, teilweise verbandelt und hätten sich gegen ihn verbündet. In all diese Erklärungen streut er stockend und teilweise schluchzend seine angebliche Vergewaltigung durch mehrere Männer ein. Das Gericht muss all diese Behauptungen von Daniel prüfen – und in den folgenden Verhandlungstagen wird schnell klar: Daniel hat auch hier vor Gericht das gemacht, was er am besten kann – Geschichten erfinden.

Die Briefköpfe, unter die Daniel seine juristischen Ausführungen setzte, waren von anderen Anwälten geklaut. Sein Staatsexamenszeugnis stammt vermutlich von einem anderen Anwalt, dessen Namen er nutzte. Daniels „Mandanten“ sind allesamt ehemalige Freunde, Bekannte, Liebhaber, die er einlullte und die ihm vertrauten. Und denen er immer unter einem Vorwand Geld aus der Tasche zog. Einige von ihnen hatten Monate oder Jahre mit ihm zu tun. Und ihre Aussagen klingen oft wie das, was Tom auch widerfahren ist. Sie glaubten alle, Daniel zu kennen.

Am vierten Verhandlungstag hat Daniel wieder neun Seiten Vortragsmanuskript dabei. Jetzt, da seine Lügen ohnehin aufgedeckt sind, gibt er zu, kein Jurist zu sein. Aber auch das hätten alle gewusst. Oder sie hätten wegen seiner juristischen Kenntnisse einfach angenommen, dass er es sei. Aus Geltungssucht und Angst vor Isolation habe er das nicht immer gerade gerückt. Aber: Die Welt wollte doch auch belogen werden, sagt er.

„Das wirst du mir büßen und am besten bringst du dich um“

Am fünften Verhandlungstag sagt Tom aus, das langjährige Opfer. Acht Stunden lang redet er sich vor Gericht alles von der Seele. Es ist der Moment, auf den er all die Jahre gewartet hat: „Ich habe die letzten sechs Jahre, vor allem die vier Jahre Beziehung, aber auch die zwei Jahre danach, da reingepackt und alles rausgelassen“, sagt Tom. „Und ich bin froh, dass ich das auch durfte.“ Am Ende befragt ihn Daniels Anwalt. Der will zeigen, dass Tom übertreibt und getrieben ist von Rachegedanken. „Sie haben zum Angeklagten gesagt: ‘Das wirst du mir büßen!’ Ist das richtig?“, fragt er Tom. Und der entgegnet: „Das ist nicht ganz korrekt. Vollständig habe ich gesagt: ‘Das wirst du mir büßen und am besten bringst du dich um.’“ Am Ende geht die Taktik von Daniels Anwalt nicht auf. Der Staatsanwalt wertet die zornige Entgleisung Toms als Indiz für dessen Glaubwürdigkeit. Und der Richter folgt dieser Einschätzung.

Nachdem er seine Aussage gemacht hat, kommt Tom häufiger zur Verhandlung. Die Konfrontation mit Daniel im Gerichtssaal ist wie eine Therapie für ihn. Er setzt sich in die erste Zuschauerreihe und starrt Daniel an. Nur wenige von dessen betrogenen Ex-Freunden konnten das. Aber Tom will sehen, wie er seinen Blicken ausweicht. Und wie Daniel es gleichzeitig zu überspielen versucht, indem er scheinbar konzentriert Notizen macht. Tom kennt diese kleinen Tricks mittlerweile und durchschaut sie .

Eine  Psychiaterin kommt am Ende der Verhandlung in ihrem Gutachten zu folgender Einschätzung: „Der Angeklagte hat einen Hang zur Hochstapelei.“ Aber, und das ist wichtig, er sei kein pathologischer Lügner, „sondern ein habitueller“, so die Analyse. Mit attestierter Krankheit wäre Daniel eventuell unbefristet in die Psychiatrie eingewiesen worden Aber laut Gutachten lügt Daniel eher, weil er es so gelernt und perfektioniert hat."

Als Tom die Worte hört „im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“, rast sein Herz. Sieben Jahre und neun Monate Gefängnis für Daniel. Wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Urkundenfälschung und Missbrauch von Titeln. Die Untersuchungshaft, in der er seit exakt einem Jahr sitzt, wird ihm angerechnet. Hätte Daniel direkt am Anfang gestanden, wäre die verbleibende Haft nur halb so lang gewesen. 

Tom wirkt zufrieden. Auch wenn er für sich selbst schon länger abgeschlossen hat mit Daniel. „Ich kann nicht sagen, dass es gut war, dass mir das passiert ist. Aber ich habe trotzdem sehr viel über mich selbst gelernt. Und warum Daniel mich so einlullen konnte. Ich war einsam, sehnte mich nach Beziehung und war in bestimmten Punkten zu unsicher.“ Auf Anwälte, sogar auf echte, reagiert Tom auch zwei Jahre nach seiner Trennung von Daniel noch reflexhaft mit Ablehnung. Er hat ja auch noch ständig mit welchen zu tun. Dieser eine Mobilfunkanbieter, bei dem Daniel offenbar mehrere Verträge auf Tom abgeschlossen hat, gibt noch immer keine Ruhe. Er versucht das Geld einzutreiben und hat Tom dafür schon dreimal vor Gericht gezerrt. Daniels Verurteilung hilft Tom nur wenig. Denn viele Vorwürfe der Unterschriftenfälschung hat die Staatsanwaltschaft fallen gelassen. Sie hätten alle zweifelsfrei nachgewiesen werden müssen, mit forensischem Gutachten vom Schrift-Sachverständigen. Das ist aufwändig und die Verteidigung hat Revision eingelegt. Also soll das Urteil so wenig angreifbar wie möglich werden. Und für die Straftaten, die ihm einfacher nachgewiesen werden konnten, muss er nun ohnehin lange in Gefängnis.

Auch wenn Tom bald schon wieder vor Gericht muss für einen Handyvertrag, den er seiner Aussage nach nicht abgeschlossen hat, aber zahlen soll: Das Schlimmste hat er wohl hinter sich. Denn der Vertrag stammt aus 2016. „Und 2017 hab ich mich ja schon getrennt.“ Deswegen hofft er: „Dieser Handyvertrag ist vielleicht die letzte Altlast aus der Beziehung mit Daniel.“ *Hinweis der Redaktion: Tom heißt eigentlich anders, sein echter Name ist der Redaktion bekannt.

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