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„Nie hätte ich gedacht, dass unsere Beziehung so intim werden würde“

Foto: Johanna Sagmeister

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Elena und Elyas sind beide Anfang 20 und seit einem Jahr ein Paar. Sie lieben sich, Sex hatten sie aber noch nie. Denn Elena, die wie Elyas anonym bleiben möchte, ist asexuell. Asexualität ist keine Krankheit, es ist eine sexuelle Orientierung wie Homo- oder Heterosexualität und kann sich sehr unterschiedlich ausdrücken. Bei manchen fängt die sexuelle Interaktion erst mit dem eigentlichen Geschlechtsakt an, für andere zählt bereits ein Kuss oder eine Berührung dazu.

Was sich Elena und Elyas bedeuten und warum ihre Beziehung auch ohne Sex funktioniert, haben sie sich in zwei Liebesbriefen geschrieben.

"Soweit du kannst, testest du für mich deine Grenzen, weil ich eine Beziehung ohne Lust nicht aushalten könnte"

Liebe Elena,

erinnerst du dich noch an den Moment, als ich dir zum ersten Mal gesagt habe, dass ich dich mag? Das war vor über einem Jahr auf dem Kirchentag, zu dem ich nur deinetwegen gekommen bin. Ich war verliebt in dich und wollte wissen, wie du mich findest. Deine Antwort hat mich ziemlich überrascht. Du fändest mich auch toll, sagtest du, seist aber asexuell. Diesen Begriff hörte ich damals zum ersten Mal.

Nachdem du ihn mir erklärt hast, war ich verwirrt und wusste nicht so wirklich, ob ich dir glauben kann. Wie kann ein Mensch keinen Sex haben wollen? An diesem Tag suchte ich eigentlich Nähe zu dir, nach unserem Gespräch brauchte ich Abstand.

Elena, es tut mir leid, dass ich damals dachte, asexuelle Menschen seien leidenschaftslos. Ich wusste nichts darüber und auch im Internet war nichts Hilfreiches zu finden. Erst unsere Beziehung hat mir gezeigt, dass du Gefühle und Bedürfnisse hast wie jeder andere Mensch. Dass du gerne kuschelst oder meine Hand hältst und dass du mich mittlerweile sogar oral befriedigen kannst.

Im Internet stand, Menschen mit so vielen Unterschieden könnten nicht zusammen sein. Zum Glück habe ich darauf nicht gehört. Du bist gläubige Christin, ich bin Atheist. Du bist Deutsche, ich bin Iraner. Du bist asexuell und ich bin sexuell. Aber wir haben die gleichen Interessen und können über alles reden. Wir müssen auch über alles

reden. Wie soll ich sonst herausfinden, warum du plötzlich zitterst oder warum du weinst, wenn wir intim werden? Ich möchte dich dann in den Arm nehmen und dich trösten. Aber du blockst mich ab, ballst deine Hände zu Fäusten und stößt mich weg. Plötzlich hast du keine Lust mehr, weiterzumachen und ich habe Angst, unseren Abend

zerstört zu haben.

Ja, für mich ist es schwer, in solchen Momenten nicht sauer zu werden. Aber ich hoffe, du weißt, dass ich deine Asexualität akzeptiere und ich geduldig sein möchte. Soweit du kannst, testest du für mich deine Grenzen, weil ich eine Beziehung ohne Lust nicht aushalten könnte.

Weißt du noch, als es sogar ein Problem für dich war, mich erregt zu sehen? In dem Moment war ich verunsichert und zweifelte, ob das mit uns klappen kann. Diese ersten Monate waren für uns beide sehr schwierig, aber wir sind mutig geblieben. Mittlerweile darf ich dich überall berühren und habe das Gefühl, du genießt es sogar. Mit viel Geduld und Vertrauen haben wir es geschafft, uns auch ohne Sex nah zu sein. Ich finde, wir können stolz auf uns sein.

Dein Elyas

"Du forderst zwar viel Intimität ein, lässt mir aber die Freiheit, jederzeit Stopp zu sagen, wenn es mir zu schnell geht"

 

Lieber Elyas,

 

nie hätte ich gedacht, dass unsere Beziehung so schön und intim werden würde. Ohne dich würde ich wohl immer noch an mir zweifeln, würde denken, dass ich unnormal oder krank bin, nur weil ich keinen Sex will. Wie lange habe ich gebraucht, um mich akzeptieren zu können, wie ich bin.

 

Meine Pubertät war die Hölle. Schon mit zwölf wollten meine Freundinnen Jungs küssen und Sex haben. Ich habe mich davor geekelt. Aber ich war allein mit diesen Gefühlen. Niemand hat mich verstanden, nicht einmal mein erster Freund. Ich war 16 und habe mich zum Sex mit ihm gezwungen. Dabei finde ich die Vorstellung abstoßend. Dieses Gefühl, wenn ein Penis in mich eindringt, halte ich nicht aus. Ich kann ja nicht einmal einen Tampon einführen.

 

Damals bin ich innerlich daran zerbrochen, so sein zu wollen wie die anderen in meinem Alter. Denn mich hat in meiner ersten Beziehung so ziemlich alles überfordert, was mit sexueller Befriedigung zusammenhängt. Meine Hemmungen haben meinen damaligen Freund so verunsichert, dass er sich wegen meiner fehlenden Lust schuldig fühlte.

 

Es hat lange gedauert, bis mir klar wurde, dass ich mich nicht verändern kann und das auch gar nicht muss. Erst als ich im Internet das erste Mal von Asexualität las, merkte ich, dass es vielen Menschen so geht wie mir. Ich war nicht mehr allein.

 

Und dann kamst du und hast mir die Angst vor körperlicher Nähe genommen. Du hast akzeptiert, dass Sex für mich nicht infrage kommt. Ich vertraue dir, kann mich endlich fallen lassen, bin bereit, meine Grenzen auszutesten. Nach meiner ersten Beziehung habe ich mich jeder Art von körperlicher Nähe verschlossen, obwohl ich mit Kuscheln oder Küssen eigentlich gar kein Problem hatte. In kleinen Schritten nähern wir uns immer weiter an. Du forderst zwar viel Intimität ein, lässt mir aber die Freiheit, jederzeit Stopp zu sagen, wenn es mir zu schnell geht. Am Anfang hat es mich Überwindung gekostet, dich oral zu befriedigen. Mittlerweile fühle ich mich wohl dabei, denn ich sehe, was für eine Freude ich dir damit mache.

 

Ich glaube, es ist dir gar nicht so bewusst, aber danach sagst du jedes Mal: danke. Diese kleine Geste hilft mir ungemein. Sie zeigt mir, dass du weißt, dass es nicht selbstverständlich für mich ist.

 

Unsere Beziehung ist ein Kompromiss, aber ein schöner, wie ich finde. Du hast mir geholfen, meine Ängste zu verlieren. Unsere Beziehung ist nicht immer einfach, trotzdem ist sie das Schönste für mich.

 

Deine Elena

 

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