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„Jeder hier möchte eine Europäerin heiraten“

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„Tonight's the night, let's live it up!” dröhnt es fordernd aus den Boxen. Trotz Klimaanlage ist die Luft im Little Buddha stickig. Arabische Männer tanzen europäische Frauen an. Auf der Tanzfläche des Nachtclubs thront eine Buddha-Statue pharaonischen Ausmaßes, davor räkeln sich zwei Go-go-Tänzerinnen. Ahmed* schenkt ihnen keine Beachtung. Ganz in Weiß gekleidet tanzt der 21-Jährige eng umschlungen mit der sieben Jahre älteren Meike* aus Stuttgart. Sein Freund Karim* schaut den beiden zu. Er trägt Afro und hat Löcher in seiner engen Jeans. Seine Stirn legt sich in Falten, als er sieht, wie sich Ahmed und Meike küssen. Sie lassen erst voneinander ab, als sie von einem Sicherheitsmann darum gebeten werden.

Wild knutschen – das geht nicht in Ägypten. Auch nicht in Hurghada, Tauchparadies und Mekka europäischer Liebes- und Sextouristinnen. Früher ein kleines Fischerdorf, wurde es in den 80er Jahren zum größten Badeort am Roten Meer ausgebaut. Seitdem kommen jährlich Millionen Touristinnen nach Hurghada. Hier finden sie Sonne, Meer – und manche von ihnen auch Sex mit jungen ägyptischen Männern. Anders als beim männlichen Sextourismus in Südostasien oder Lateinamerika findet der in der Regel im Rahmen romantischer Urlaubsbeziehungen statt. Trotz aller Romantik suchen die meisten Frauen dabei jedoch eher eine flüchtiges Abenteuer als den Mann fürs Leben. Die Männer dagegen haben einen anderen Traum: Sie wünschen sich eine langfristige Beziehung mit einer Frau, die ihnen hilft, aus ihrer Armut auszubrechen.  

Die vergangenen Tage haben die beiden Freunde zu Konkurrenten gemacht

Einer von ihnen ist Ahmed. Er sitzt am nächsten Tag vor einem Reisebüro und soll Touristen in den Laden locken. Das Geschäft läuft schleppend. Doch Ahmed strahlt. Im Gegensatz zu Karim ist er gestern Nacht nicht alleine nach Hause gefahren. „Wir waren an einem romantischen Ort. Das Motorrad habe ich dort gelassen. Wenn Meike da ist, vergesse ich alles.“ Immer wieder greift Ahmed zu seinem Smartphone und schreibt Meike. „Ich werde nervös, wenn nach fünf Minuten keine Nachricht von ihr kommt.“ Zwischen ihm und Karim herrscht dagegen Funkstille. Die vergangenen Tage haben die beiden Freunde zu Konkurrenten gemacht. 

Drei Wochen später sitzt Karim in seinem Lieblingscafé und raucht Shisha. Früher hatte er sich hier mit Ahmed getroffen. Doch damit ist jetzt Schluss. „Er geht jeden Tag mit Meike aus und hält sie von mir fern.“ Dabei kennen sich Karim und Ahmed seit Kindertagen. Sie kommen aus einem ärmlichen Viertel in Luxor. Vor fünf Jahren sind sie zusammen nach Hurghada gezogen. Auf der Suche nach Arbeit und Geld. Gefunden haben sie neben Gelegenheitsjobs vor allem europäische Frauen. Sie gingen in die Clubs, um sie zu erobern. Und nach anfänglichen Rückschlägen lernten sie irgendwann, wie das geht. Wie man tanzt und welche Sprüche am besten ankommen. Manchmal fühlte es sich an, als gehöre die Nacht ihnen – und die Frauen gleich dazu. In solchen Nächten vergessen sie die Demütigungen ihres Alltags. Vergessen, dass sie tagsüber in den öden Einkaufspassagen stundenlang auf Touristen warten. Vergessen, dass sie wie Schmeißfliegen verscheucht werden, sobald endlich jemand kommt, den sie ansprechen können. 

Die Frau, die ihnen den Ausstieg aus der Armut ermöglicht, scheint nur einen Kuss entfernt

„Jeder hier möchte eine Europäerin heiraten und mit ihr ein Geschäft eröffnen. Oder nach Europa gehen. Das ist der Traum“, sagt Karim. Im nächtlichen Rausch wird dieser Traum plötzlich greifbar. Die Frau, die ihnen den Ausstieg aus der Armut ermöglicht, scheint nur einen Kuss entfernt. Doch nach dem Rausch folgte bis jetzt immer der Kater. „Zurück in Europa melden sich die meisten Frauen nicht mehr.“ Die ägyptische Liebe bleibt ihnen als exotisches Abenteuer in Erinnerung. Mit jeder enttäuschten Romanze platzt für Karim und Ahmed ein weiterer Traum vom besseren Leben.

Meike ist die Verkörperung dieses Traums. Sie hat wasserstoffblonde Haare und ein strahlendes Lächeln. Ihre helle Haut ist von der Sonne gerötet. Eine Hochzeit mit ihr wäre ein Ticket nach Europa. Karim erinnert sich noch gut an ihre erste Begegnung am Strand. „Ich war funky, funky. Relaxed. Hab ihr Komplimente gemacht.“ Meike war geschmeichelt und verabredete sich mit ihm auf ein Bier. „Aber ich bringe meine Schwester mit.“ Also brachte Karim Ahmed mit. Teamarbeit. Die Schwester kam dann doch nicht. Dafür verstanden sich Meike und Ahmed umso besser. Sie lachte über dessen Witze, nicht über Karims, fühlte sich von Ahmeds Komplimenten geschmeichelt, nicht mehr von seinen. Karim spürte, dass er den Zweikampf zu verlieren drohte und legte sich noch stärker ins Zeug. Doch entspannt war er nicht mehr. „Ich war wütend auf Ahmed. Ich dachte, wir sind Freunde. Aber er denkt nur an sich. Wie eine Schlange.“ Am Ende des Abends verabredeten sich Ahmed und Meike für Sonntagnacht. Tanzen im Little Buddha.

„Aber wenn Meike wieder zu Hause ist, wird sie ihn vergessen“

Seitdem geht Karim alleine in die Clubs. Er kann immer noch nicht verstehen, warum sich Meike für Ahmed entschieden hat. „Ich bin doch schlau, sexy. Ihr Traummann.“ Gerade als Karim zu einer neuen Schimpftirade über Ahmed ansetzt, taucht dieser mit Meike im Café auf. Nach kurzem Zögern setzen sie sich dazu. Karim zieht die Augenbrauen hoch und sieht das Pärchen an. Doch Ahmed meidet Karims Blick. Die beiden wechseln kein Wort. Zärtlich streichelt Meike Ahmeds Hand und erzählt, dass sie morgen abreisen wird, aber bald wiederkommen möchte: „Wir wollen heiraten. Erst hier und dann in Deutschland.“ Jetzt lächelt Ahmed und schaut Karim fest in die Augen. Er beugt sich zu Meike und flüstert ihr etwas zu. Die beiden stehen auf und verabschieden sich. Karim schaut ihnen nach und sagt: „Ahmed führt sie von Café zu Café, um mit ihr anzugeben. Aber wenn Meike wieder zu Hause ist, wird sie ihn vergessen“. Er zieht an seiner Shisha und bläst den Rauch in die Luft, während das Paar Hand in Hand in der Nacht verschwindet.

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

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