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„Ein Liebesbrief ist nicht da, um zu bekommen, was man will“

Foto: Milena Schilling & Fiona Menzel

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Egal wie lange die Beziehung her ist und egal wie weh die Trennung getan hat – einen Liebesbrief würde trotzdem kaum jemand wegwerfen. Und: Nur wenige Menschen schreiben überhaupt noch welche. Sollte man aber, findet Veronika Fischer, 35. Sie schreibt beruflich Liebesbriefe.

Angefangen hat sie damit zu Beginn der Corona-Pandemie. Veronika Fischer wollte mehr Wärme und positive Gefühle, und zwar analog. Also begann sie ihren Liebesbriefe-Service. Heute schreibt sie an zwei Tagen pro Woche Liebesbriefe für fremde Menschen. Damit sich das möglichst viele Menschen leisten können, hat sie keine festen Honorare. Denn von Liebesbriefen, findet sie, kann man viel über die eigenen Gefühle und gute Kommunikation in Beziehungen lernen. 

SZ Jetzt: Was mache ich, wenn ich gerne einen Liebesbrief von dir hätte?

Veronika Fischer: Die meisten meiner Kund:innen kontaktieren mich per Mail. Wir vereinbaren einen Termin, bei dem wir dann etwa eine Stunde reden. Eine Woche später schicke ich den fertigen Brief per Mail. Und die Kund:innen schreiben ihn selbst nochmal per Hand auf.

Worüber sprichst du dabei mit deinen Kund:innen?

Ich lasse mir viel über die Person erzählen, für die der Brief bestimmt ist: Erinnerungen, schöne Momente, persönliche Gedanken. Viele weinen bei den Gesprächen. Die Menschen schenken mir viel Vertrauen und intime Einblicke. Ich wundere mich immer, wie tief man in so kurzer Zeit in das Leben Fremder eintauchen darf. 

Was sind das für Menschen, für die du Liebesbriefe schreibst? 

Meine jüngste Kundin war 22, mein ältester über 70. Es sind vor allem unsichere Menschen. Sie haben Angst, der Brief könnte ihnen nicht so gelingen, wie sie es sich wünschen. Aber Liebe ist ja nicht nur diese eine, romantische Beziehung. Ich habe schon auch schon an Geschwister, Familienmitglieder oder Freunde geschrieben. 

Erinnerst du dich noch an deinen ersten professionellen Liebesbrief? 

Er war für eine Frau, die schon länger mit ihrem Mann verheiratet war. Es war ein Weihnachtsgeschenk für ihn. Sie meinte, der Brief habe mindestens genauso viel mit ihr selbst gemacht wie mit ihm – weil sie darüber nachdenken musste, was genau sie überhaupt an ihm mag. 

Zwingt uns ein Liebesbrief also, über unsere Gefühle nachzudenken?

Man muss sich schon darüber im Klaren sein, was man sagen will – und damit auch darüber, was man für die Person empfindet. 

Entsprechen solche analogen Briefe denn noch unserer Zeit? 

Liebe und Liebeskummer heute unterscheiden sich nicht von den Gefühlen, die Menschen vor 50 Jahren hatten. Es heißt ja immer, die junge Generation wolle sich nicht binden. Ich denke eher, dass der Hype um lockere Beziehungen vorbei ist. Dass die Lust auf echte und tiefe Beziehungen wieder da ist und bei vielen auch nie weg war. Wir wollen geliebt werden, egal ob wir 18 oder 80 sind. Das ändert sich nicht. Die Geschichten werden nur vielfältiger, weil es mehr Möglichkeiten gibt, Liebe zu finden und auszuleben. 

Schreibst du auch privat Liebesbriefe?

Für mich ist das eine sehr wichtige Komponente in einer Beziehung und ich hebe jeden einzelnen auf. Mit 16 Jahren habe ich an meinen ersten Freund meinen ersten Liebesbrief geschrieben. Heute habe ich einen Partner und drei Kinder. Bei uns ist viel Kommunikation nötig, leider ist die oft eher pragmatisch: „Bringst du noch Milch mit?“ Deshalb nehme ich mir gerne Zeit und schreibe etwas romantisches auf, selbst wenn es nur drei Zeilen sind.

Was lernt man vom Schreiben eines Liebesbriefes?

Das Gegenüber wahrzunehmen. Ich habe immer wieder Anfragen von Männern, die sagen, der Brief müsse sitzen, damit die Frau kapiert, dass es ihm ernst ist. Oft haben die beiden eine Affäre und die Männer sind diejenigen, die dann doch etwas Festes wollen. Aber so funktioniert das nicht, das ist nicht der Sinn eines Liebesbriefs. Er ist nicht da, um zu bekommen, was man will. Es geht darum, sich in die geliebte Person hineinzuversetzen und zu überlegen, was ihr guttun könnte. 

Macht es wirklich so einen großen Unterschied, ob ich das per Brief oder Whatsapp angehe? 

Der Unterschied ist die Haltbarkeit. Ein Liebesbrief ist ein Zeitdokument. Eine SMS oder Whatsapp-Nachricht findet man in 20 Jahren nicht zufällig auf dem Dachboden und schmunzelt darüber. Briefe sind beständig. Man kann die Worte anfassen. Sie sind handgeschrieben und damit wohlüberlegt. Ein Brief setzt voraus, dass sich der andere Mühe gegeben hat. Und die Freude über ein Kuvert im Briefkasten ist größer als die über eine Nachricht, die aufblinkt. Davon bekommen wir viele. 

So ein Liebesbrief ist doch etwas sehr Persönliches. Findest du es nicht manchmal komisch, ihn für eine fremden Person zu schreiben? 

Ich schätze, die Hälfte meiner Kund:innen nutzt mich als Ghostwriterin, der Rest kommuniziert offen, dass sie den Brief nicht selbst geschrieben haben. Der Inhalt kommt aber immer von den Menschen selbst, ich denke mir ja nichts aus. Ich bringe ihn nur in Form, so wie meine Steuerberaterin meine Steuerunterlagen in Form bringt – einfach, weil sie es besser kann. Ich helfe Menschen, die sich nicht so gut ausdrücken können. Das ist doch auch Wertschätzung: Dass jemandem so wichtig ist, dass der Brief gut ankommt, dass er dafür jemanden beauftragt. 

Wie schaffst du es, jeden Brief möglichst individuell aufzuschreiben? 

So unterschiedlich jede Geschichte ist, so unterschiedlich ist am Ende auch jeder Brief. Ich habe keine Standardformulierungen. Das würde auch gar nicht passen. Ich arbeite mit Sinneseindrücken, die einem in den Kopf kommen, wenn man an diese Person denkt. Ein Brief war zum Beispiel für eine verstorbene Oma, den die Enkelin an deren Beerdigung vorlas. Ich habe dann gefragt: Was hat sie gekocht, an welche Gegenstände erinnerst du dich, wie roch es bei ihr? 

Und wenn ich doch selbst zum Stift greifen will: Hast du ein paar Tipps?

Schreib so, wie du selbst denkst und sprichst. Man sollte sich nicht verkünsteln oder verstellen, sondern authentisch bleiben. Benutz die Sinne, halte Eindrücke und kleine Details aus der Beziehung oder gemeinsamen Erlebnissen fest. 

Das kann ja aber schon schnell kitschig werden …

Das ist eine persönliche Stilfrage. Wer Bock darauf hat und am Geburtstag mit 50 roten Rosen antanzt, der darf auch im Liebesbrief dick auftragen. Die Vorstellung von Romantik ist individuell und so sollte auch die Sprache sein. Und wer sich doch unsicher ist, kann sich Hilfe von einer KI holen. 

Ist das wirklich eine gute Idee? Immerhin geht es um tiefe Gefühle.

Ich habe es ausprobiert und war beeindruckt, wie gut der Brief war. Aber mir fehlte das Spiel mit der Sprache. Ich vermisste Sprachgefühl, Wortspiele, Ironie und Metaphern. Da steckte nichts zwischen den Zeilen. Die Kreativität und die Gefühle müssen schon noch von uns selbst kommen. Das schafft keine Maschine.

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