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Jungs, sorgt ihr euch um eure Fruchtbarkeit?

Illustration: Katharina Bitzl

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Die Mädchenfrage:

Liebe Jungs,

vergangene Woche ging eine Meldung durch die Medien, die viele von euch vermutlich erst einmal mit Schrecken erfüllt hat: „Männer produzieren weniger Spermien“ war da die Schlagzeile, Boulevardmedien sprachen auch direkt von einer „Spermakrise.“

Wissenschaftler aus Israel und den USA hatten festgestellt, dass sich die durchschnittliche Spermienanzahl von Männern aus Europa, Nordamerika und Ozeanien seit 1973 um 52,4 Prozent verringert hat. Noch drastischer: Pro Samenerguss kommen bei euch fast 60 Prozent weniger Spermien raus als früher bei euren Großvätern. Hagai Levine, Leiter der Studie, sprach daraufhin von einem „dringenden Weckruf für Forscher und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt“ – denn ohne Spermien keine Kinder, ohne Kinder keine Zukunft für die Menschheit. Doof.

Zwar ist noch immer nicht geklärt, woher der neue Spermienmangel kommt und am Ende ist ja auch nur wichtig, dass eine der Millionen Spermien auf dem Weg zur Eizelle auch ihr Ziel erreicht, aber trotzdem: Wir hatten ja schon das Gefühl, dass diese Meldung euch beunruhigt hat. Und das fanden wir interessant.

Normalerweise ist es in unserer Gesellschaft nämlich so, dass sehr viel über die mögliche Unfruchtbarkeit von Frauen gesprochen wird - über die von Männern sehr viel weniger. Das liegt vermutlich auch daran, dass unsere eigene Fruchtbarkeit für uns sehr viel früher Thema wird: Mit 13 bis 15 Jahren gehen wir das erste Mal zum Gynäkologen, da gibt es dann schon mal einen ersten Checkup. Sowas habt ihr gar nicht. Außerdem verhüten 55 Prozent der Paare in Deutschland mit der Pille, viele Mädchen nehmen sie bereits zum Ende der Pubertät. Da fragt man sich schon mal häufiger: Knalle ich mir diese ganzen Hormone gerade vielleicht umsonst rein?

Ihr Jungs hingegen wirkt da sehr viel lockerer. In der Phase, in der wir uns über Eisprünge und funktionierende Eileiter Gedanken machen, seid ihr meist völlig begeistert davon, dass euer Penis überhaupt funktioniert und wollt das zu jeder Gelegenheit beweisen. Ob ihr am Ende Platzpatronen schießt, ist da vielleicht gar nicht so wichtig – oder täuscht das? Macht ihr euch insgeheim vielleicht doch Sorgen? Googelt ihr heimlich „Strahlen“ und „Spermien“, wenn ihr mal wieder tagelang mit dem Handy in der Tasche rumgelaufen seid? Oder macht ihr vielleicht sogar Fruchtbarkeitstests, von denen wir gar nichts wissen, um euch der eigenen Potenz zu versichern?

Also liebe Jungs, klärt uns doch auf: Wie viele Gedanken macht ihr euch um eure Fruchtbarkeit?

Die Jungsantwort: 

jungsantwort

Illustration: Katharina Bitzl

Liebe Mädchen,

Stellen wir uns unsere Fruchtbarkeit mal als eine Person vor. Nennen wir sie mal, höhö, Samuel. Samuel begegnet uns im Laufe unseres Lebens immer mal wieder. Diese Begegnungen und damit unser Verhältnis zu Samuel ändern sich im Laufe unseres Erwachsenwerdens.

Dass Samuel existiert, realisieren die meisten von uns in der Pubertät. Beziehungsweise dann, wenn wir anfangen, Sex mit jemand anderem als uns selbst zu haben. Wenn wir, wie du sagst, begeistert davon sind, was man da alles erleben kann und das natürlich ganz dringend sehr oft wollen. Nur: Samuel ist dabei anfangs definitiv nicht unser Freund. Eher ein Risiko. Wenn wir uns grade mitten in unserer Begeisterung befinden, kann er ziemlich nerven. Samuel ist die Gefahr einer Schürfwunde oder eines gebrochenen Handgelenks, das wir beim Skaten bekommen können und wegen dem unsere Mutter uns befiehlt, einen Helm aufzusetzen und Ellbogen- und Handgelenkschoner zu tragen. Samuel ist aber auch die Erkältung, vor der uns Mama warnt, wenn wir als Sechsjährige den ganzen Tag im Freibad Arschbomben machen wollen und dann zu hören bekommen: „Komm mal lieber raus jetzt, du hast schon ganz blaue Lippen!“ In dieser Phase fürchten wir unsere Fruchtbarkeit also, gleichzeitig müssen wir auch immer auf sie aufpassen. Wir arrangieren uns in dieser Phase mit Samuel also primär aus Vernunftgründen.

Irgendwann beginnen wir aber zu ahnen, dass Samuel vermutlich später wichtig werden wird. Dementsprechend haben wir, meistens nach Lektüre einer neuen Gefahrenmeldung, kurze Phasen, in denen wir Unfruchtbarkeits-Prävention betreiben. Wir tragen unser Handy eine Weile lieber in der Gesäßtasche als vorne. Wenn wir viel Rad fahren, erkundigen wir uns nach Sätteln, die so einen Luftschlitz haben, der angeblich kühlen und einer Überhitzung des Hodens vorbeugen, weil das ja schlecht sein soll. Meistens wandert das Handy aber irgendwann wieder nach vorne, weil es ungemütlich ist, da ständig drauf zu sitzen. Und den Sattel löschen wir wieder aus unserem Amazon-Einkaufskorb, weil er uns zu teuer ist. Unsere Angst vor Unfruchtbarkeit kann man vielleicht ganz gut mit dem menschlichen Verhalten in Sachen Klimawandel vergleichen. Wir ahnen, dass wir ein bisschen achtsamer sein müssten, aber wenn das auf Kosten der Bequemlichkeit geht, erscheinen uns die Gefahren doch ganz schön weit weg.

Heißt auch: Wir sprechen da eher nicht drüber. Unfruchtbarkeit ist kein klassisches Thema für eine Jungsrunde. Höchstens in Form von blöden Witzen. Wenn es in einer Halbstarken-Runde um Unfruchtbarkeit geht – was ziemlich unwahrscheinlich ist – sagt vermutlich irgendwann einer einen Satz wie: „Unfruchtbar sein? Wäre doch voll praktisch, Mann. Kannste voll rumvögeln, ohne dass eine schwanger wird.“

Unser kurzsichtiger und pennälerhafte Umgang mit dem Thema hat vermutlich was damit zu tun, dass der Wunsch nach eigenen Kindern für die meisten von uns bis ins Erwachsenenalter weit weg ist. Was wiederum vermutlich zu einem beträchtlichen Teil an gesellschaftlichen Normen und Gewohnheiten liegt, denen wir von Kindesalter ausgesetzt sind: Dreijährige Mädchen kriegen Puppen geschenkt und spielen Mama. Dreijährige Jungs kriegen einen Fußball und bolzen aufs Tor.

Irgendwann aber beginnen wir unsere Fruchtbarkeit aka Samuel, the Spielverderber, mit anderen Augen zu sehen. Manche von uns kommen selbst drauf, dass der ja eigentlich doch ein guter Typ ist. Der vermutlich etwas größere Teil von uns braucht dafür ein paar Schubser, die nicht selten von unseren Freundinnen kommen, die da gedanklich schon etwas weiter sind.

 

Diejenigen unter uns, die sich in dieser Phase befanden, als letzte Woche die von dir zitierte Meldung kam, waren da also unter Umständen etwas alarmiert. Wahrscheinlich haben sie dann ein bisschen gegoogelt – und sich wieder ein bisschen beruhigt, als sie gelesen haben, dass selbst unser vergleichsweise minderwertiges Sperma noch immer etwa 50 Millionen Samen pro Milliliter Ejakulat enthält. Bis Unfruchtbarkeit eintritt, bräuchte es schon noch ein paar Milliönchen weniger.

 

Diese Reaktion lässt sich ganz gut verallgemeinern: Über Unfruchtbarkeit denken wir selbst dann, wenn wir uns Kinder so langsam vorstellen können, nur nach, wenn wir von außen damit konfrontiert werden und es Anzeichen gibt, dass bei uns etwas nicht stimmen könnte. Wenn also meinetwegen ein Kind her soll, aber nicht kommt, und schon geklärt ist, dass das eher nicht an euch liegt. Das liegt vermutlich auch daran, dass wir keine Routine in solchen Sachen haben. Bei uns gibt es eben keine uns lange vertraute Frauenärztin. In einer anderen Jungsantwort hat mein Kollege Jakob geschrieben, wir gehen nur zum Urologen, wenn was kaputt ist und gerichtet gehört.

 

Ein freiwilliger vorsorglicher Fruchtbarkeitstest, wie du ihn vermutest, ist also vollkommen undenkbar. Allein der Gedanke an so einen Test lässt uns vor Unbehagen schwitzen. Die Vorstellung, da in irgendeinem Klinikzimmer eine Spermaprobe abgeben zu müssen – ja Hilfe! Da kriegen wir Panik! Wie soll das denn gehen? Wie soll man erregt sein, wenn alle, die vor der Tür im Wartezimmer sitzen, wissen, was man jetzt machen soll? Und in diesem Zimmer: Liegen dann da lauter halb zerfledderte Pornohefte mit deutlichen Gebrauchsspuren? Apropos Gebrauchsspuren: Was ist mit der Vorstellung, dass da vor dir lauter andere Männer mit demselben Auftrag drin waren? Was, wenn da einer nicht richtig gezielt hat? Und wo zielt man da überhaupt rein? Was für ein Gefäß kriegt man da? Und wem gibt man das dann nachher? Ganz schlimm, das alles.

 

Spätestens in diesem Moment lieben wir Samuel wieder, wie er ist – und sei es, weil wir uns einfach nur nicht genauer mit ihm auseinandersetzen wollen.

 

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